„Irgendwann sehen wir uns wieder“
Vor zwei Jahren starb Nina Zacher an den Folgen der Muskelschwäche ALS. Ihr Leiden machte sie damals öffentlich. Mit dem Buch „Such dir einen schönen Stern am Himmel“erfüllt nun ihr Mann posthum ihren Herzenswunsch.
MÜNCHEN Wie bringen Eltern ihren noch jungen Kindern bei, dass ihre Mutter nicht mehr lange zu leben hat? Oder lässt man sie besser im Unklaren? Fragen, die verzweifeln lassen. Nina und Karl-Heinz Zacher aber mussten sie für sich beantworten. Im Dezember 2013 erhielt Nina Zacher die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Die unheilbare Nervenkrankheit lähmt die Muskulatur, am Ende auch die Atmung, und führt nach zwei bis drei Jahren zum Tod. Nina Zacher wollte, wie ihr Mann es im Buch „Such dir einen schönen Stern am Himmel“schildert, ihren vier Kindern nichts vormachen, wollte, dass sie Anteil nehmen an ihrem Weg, sich nicht ausgeschlossen fühlen. „Mama hat zuerst mit uns gesprochen“, wird ihre zwölfjährige Tochter Helena zitiert. „Sie sagte, dass irgendwann jeder gehen muss, aber dass es bei ihr vielleicht früher sein kann.“
Nina Zacher hat nicht nur gegenüber ihren Kindern mit offenen Karten gespielt, sie hat ihr Sterben öffentlich gemacht. Mit persönlichen, berührenden Texten auf Facebook, obwohl ihr das Schreiben zusehends schwer fiel und sie am Ende nur noch mit einem speziellen Computer, der ihre Augenbewegungen in Sprache umsetzte, kommunizieren konnte, mit Zeitungsartikeln und mit Auftritten in Talkshows. „Meine Frau wollte sich nicht verstecken, es nicht als Makel empfinden, sich durch die Krankheit nicht entwerten lassen“, schreibt Karl-Heinz Zacher. Und sie wollte die Öffentlichkeit für eine Krankheit sensibilisieren, die einen qualvollen wie hoffnungslosen Leidensweg bedeutet. Ihr Vorhaben, ihre Gedanken in einem Buch festzuhalten, aufzuzeigen, wie schnell sich alles ändern kann und wie wertvoll das Leben ist, konnte sie nicht mehr umsetzen. Nina Zacher starb am 21. Mai 2016, mit 46 Jahren. Ihr Mann vollendete das Projekt für sie, angereichert um die Perspektive der Familie, der die Mutter genommen wurde.
Es ist ein Buch, das bewegt und erschüttert, weil Zacher den Verfall ihres Körpers einerseits fast analytisch reflektiert, ihren Lebenswillen aber nie verliert. „In Lethargie zu verfallen, dafür war Nina nicht der Typ“, schreibt ihr Mann. „Genauso wenig wie für Hoffnungslosigkeit. Selbstverständlich hatte Nina kei- ne Hoffnung mehr auf Heilung. Ihr war bewusst, dass sie sterben wird. Aber was bedeutet das denn, ,hoffnungslos’? Das verbindet man auch immer mit ,aufgeben’, und das wollte sie keinesfalls.“Die Frage „Wie geht es dir?“bringt sie auf die Palme, weil bei ihr jeder Tag vonVerlust geprägt ist, weil sie nie weiß, ob sie etwas zum letzten Mal erlebt.
Täglich muss sich Zacher von etwas verabschieden. Etwas, das man gerne getan hat, was das Herz schneller schlagen lässt. Irgendwann verfasst sie eine Liste mit Dingen, die sie gerne noch tun würde: „Einen kleinen Spaziergang in den Isarauen machen. Mit meinen Kindern über eineWiese toben. Ins tiefe Wasser springen. Bei Sonnenschein einen tiefverschneiten Hang spuren. Eine Nacht lang ohne Schmerzen schlafen. Keine Angst mehr vor dem nächsten Tag haben.“
Nina Zacher macht sich auch Sorgen darüber, was sie ihren Kindern mit auf den Weg geben soll, für die Zeit ohne ihre Mutter. Sie will das Gefühl haben, am Leben ihrer Lie- ben teilzunehmen. So verfasst sie Briefe und Nachrichten an ihre Kinder, für besondere Ereignisse in deren Leben – die Erstkommunion, den ersten Liebeskummer, den 18. Geburtstag. Ihr Mann verwahrt sie für die Kinder auf. Einige Briefe, die sie für die Zeit direkt nach ihrem Tod geschrieben hat, sind im Buch abgedruckt, auch die Zeilen an ihre jüngste Tochter Lola zu deren fünftem Geburtstag. Es fällt schwer, sie zu lesen, weil hier jemand sein Innerstes offenbart, seine intimste Gefühls- und Gedankenwelt preisgibt.
Auch ihre Beziehung sparen die Zachers nicht aus, verabschieden sich in Briefen voneinander, in denen sie sich ihrer Liebe vergewissern, aber auch den unfassbaren Schmerz thematisieren, den dieser Abschied auf Raten bedeutet. „Unsere Jüngste, Lola, ist vier Jahre alt, und die ersten Kindheitserinnerungen bleiben etwa ab fünf“, schreibt Karl-Heinz Zacher. „Du glaubst, sie wird sich irgendwann nicht mehr an dich erinnern. Ich würde dir die Trauer in so einer Situation gern nehmen, aber es ist schwer für mich. Ich bin nicht hilflos. Aber manchmal fehlen mir die Worte.“
Seine Frau aber ringt sich bis zuletztWorte ab, weil sie weiß, dass diese bleiben. Mit dem Akt des Schreibens klammert sie sich an die Welt, um sie gleichzeitig mit dem, was sie sagt, loszulassen. Etwa in ihrem Brief an Lola, „ihren wunderschönen Schmetterling“. „Auf deinem Weg werde ich dich, auch wenn ich nicht mehr körperlich vorhanden bin, immer begleiten, das verspreche ich dir“, schreibt sie. „Such dir einen schönen Stern am Himmel aus, der besonders hell leuchtet, auf dem werde ich sitzen und dich beschützen. Irgendwann werden wir uns sicher wiedersehen.“
Dieses Buch ist oft deprimierend. Und auch wieder nicht: Weil es zeigt, wie sich ein Mensch nicht der Krankheit ergibt, sondern seine Würde behauptet, zwar mit dem Schicksal hadert, aber nie resigniert. Weil es zeigt, was Liebe, was Familie vermag. Und vielleicht auch, weil es zeigt, dass es weitergeht. Irgendwie.