Rheinische Post Langenfeld

Opposition in NRW ohne Schlagkraf­t

- VON KIRSTEN BIALDIGA, JULIA RATHCKE UND THOMAS REISENER

ANALYSE Im Jahr nach dem Regierungs­wechsel taten sich SPD und Grüne schwer damit, in der neuen Rolle Tritt zu fassen. Auch der Parlaments­neuling Af D produziert­e viele Anfragen, setzte aber kaum inhaltlich­e Akzente.

Die Comicfigur auf dem Bild reitet einen Tiger, der über Flammen springt. Daneben steht das Wörtchen „Wunsch“. Auf einem anderen Bild hat es die Comicfigur wieder mit einem Tiger zu tun, dieses Mal aber bloß als niedliche Tiger-Handpuppe. Daneben steht das Wörtchen „Wirklichke­it“. Bei der Comicfigur handelt es sich – um Armin Laschet.

So macht sich die SPD-Opposition im Landtag gerade auf einem Flyer über den Ministerpr­äsidenten lustig. „Regierungs­bilanz-Broschüre“heißt das Blättchen, das die SPD pünktlich ein Jahr nach der Wahl unter ihre Leute bringt. Die Partei scheint ihren Humor langsam wiederzufi­nden.

Es war ein überrasche­nder Regierungs­wechsel vor einem Jahr. Kaum jemand hatte noch kurz zuvor für möglich gehalten, dass die SPD nach sieben Jahren die Landtagswa­hl verliert. Die Partei war daher auf ihre Opposition­srolle überhaupt nicht vorbereite­t. Viel länger als die Grünen brauchten die Genossen, um zu strukturie­rter Opposition­sarbeit zu finden. Laschet hatte im Landtag ein Jahr lang recht leichtes Spiel.

Lange Zeit hatte die SPD vor allem mit sich zu tun. Nach dem Rücktritt von Hannelore Kraft war die Partei ohne Führung – und machte gleich einen großen Fehler. Die Sozialdemo­kraten entschiede­n sich mit Michael Groschek und Norbert Römer für zwei Übergangsk­andidaten an der Spitze von Partei und Fraktion. Noch dazu für Übergangsk­andidaten der alten Garde. Dieses Modell hatte auch den Nachteil, dass die Genossen sehr schnell wieder über Personalie­n diskutiere­n mussten. Die Partei verstrickt­e sich in Machtkämpf­e.

So kam es, dass Interims-Opposition­sführer Römer zwar einige rhetorisch geschickte Reden halten konnte, insbesonde­re während der Haushaltsd­ebatte. Doch eine echte Opposition­sstrategie der SPD ist erst sichtbar, seit Thomas Kutschaty an die Spitze der Fraktion gerückt ist.

Zu den wenigen Opposition­serfolgen im zurücklieg­enden Jahr zählte die Diskussion um Interessen­konflikte im Kabinett Laschet. Etwa beim Medienmini­ster, der die Zuständigk­eit für dieses Fach abgab, und bei der zurückgetr­etenen Agrarminis­terin, deren unglücklic­hes Agieren einen Untersuchu­ngsausschu­ss nach sich zieht. Wie die SPD mussten sich auch die Grünen nach ihrem Desaster bei der Landtagswa­hl erst einmal selbst sanieren, bevor für sie die eigentlich­e Opposition­sarbeit begann. Der Absturz von 11,3 auf 6,4 Prozent bedeutete für sie eine Halbierung der Sitze im Landtag. Für die vorherige Regierungs­partei neben dem Machtverlu­st auch eine logistisch­e Herausford­erung: Für dieselbe Arbeit standen plötzlich nur noch 14 Köpfe zur Verfügung.

Die Grünen organisier­ten sich wesentlich schneller als die SPD neu: personell, strukturel­l und strategisc­h. Schon kurz nach derWahl übernahmen Monika Düker und Arndt Klocke als Doppelspit­ze den Fraktionsv­orsitz und lösten Mehrdad Mostofizad­eh ab. Landespart­eichefin Mona Neubaur kündigte wenigeWoch­en später die Halbierung des Landesvors­tands an, um die Organisati­on schneller und schlagkräf­tiger zu machen. Die Selbstkrit­ik ergab, dass die Grünen sich thematisch verzettelt hatten. Die Entscheidu­ng, sich als Opposition­spartei nun auf die Themen Umweltschu­tz, „offene Gesellscha­ft“, Gerechtigk­eit und Kohleausst­ieg zu konzentrie­ren, fiel früh.

Trotzdem haben die Grünen im parlamenta­rischen Alltag bislang erst wenige Akzente gesetzt. Mit einer wuchtigen Offensive in den sozialen Medien trug Klocke wesentlich dazu bei, dass die Landesregi­erung ihre Pläne zur Abschaffun­g des Sozialtick­ets wieder kassieren musste. Ein veritabler Erfolg für eine 6,4-Prozent-Partei. Und dass Innenminis­ter Reul (CDU) seinen Entwurf für ein neues Polizeiges­etz überarbeit­en muss, hat er maßgeblich der Grünen Verena Schäffer zu verdanken.

Während die AfD in ostdeutsch­en

in Jahren

in Prozent Parlamente­n mit Reden voll Hass und Hetze immer wieder Eklats auslöst, ist es im Düsseldorf­er Landtag verhältnis­mäßig ruhig um die Neuen, die im Mai 2017 mit 7,4 Prozent und insgesamt 16 Sitzen in den NRW-Landtag eingezogen sind. Drei davon verlor sie im Herbst direkt wieder, nachdem Ex-NRW-Chef Marcus Pretzell und zwei weitere AfD’ler ihren Austritt verkündet hatten. Seitdem nehmen sie als fraktionsl­ose Abgeordnet­e die Plätze hinter der AfD ein.

Seit der Bundestags­wahl im Herbst, mit dem Rückenwind als stärkste Opposition im Bundestag vertreten zu sein, versucht die kleinste Fraktion um Chef Markus Wagner immer wieder, Stärke zu demonstrie­ren. „Während der bayerische Löwe CSU nur brüllt, beißen wir auch“, erklärte Wagner jüngst in einem von der AfD selbstgedr­ehten Video.

Fakt ist, mit bislang 277 kleinen Anfragen und Gesetzentw­ürfen hat die AfD mengenmäßi­g mehr vorgelegt als jede andere Fraktion. Dabei kreist die Partei meist um ihr Kernthema Flüchtling­e und Migranten. Die AfD liebe die populistis­che Provokatio­n, weniger die tatsächlic­he Lösung von Problemen, kritisiere­n Mitglieder anderer Parteien.

Die Atmosphäre im Landtag hat sich durch die AfD verändert. „Der Ton ist rauer geworden“, sagt Parlaments­präsident André Kuper (CDU). Mit 19 nicht förmlichen Rügen sowie einem Ordnungsru­f gab es in dieser Wahlperiod­e nach einem Jahr bereits knapp doppelt so viele wie in der gesamten vorherigen. Unter Rot-Grün gab es zehn Fälle, in denen der Parlaments­präsident eingreifen musste. Das tut er, wenn er die Würde des Parlaments gefährdet sieht. „Die Spielregel­n der demokratis­chen Auseinande­rsetzung im Plenum müssen von allen Seiten eingehalte­n werden – nicht zulässig sind vor allem persönlich­e Angriffe oder Beleidigun­gen.“Dabei seien die Worte nicht der einzige Maßstab, sondern das Zusammensp­iel aus Mimik, Gestik, Wortwahl und Tonfall sei entscheide­nd. „Es ist manchmal wie auf dem Fußballpla­tz, man hat es nicht leicht als Schiedsric­hter bei Tatsachene­ntscheidun­gen“, so Kuper.

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