Rheinische Post Langenfeld

Devlet Bahçeli ist der Königsmach­er

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ken schlicht unwählbar, wie Kenar betonte: Die CHP steht bei diesen Wählern für die Diskrimini­erung der frommen Muslime in der Zeit vor Erdogans Regierungs­übernahme vor anderthalb Jahrzehnte­n.

Das gute Ergebnis der MHP bewahrte Erdogan davor, mit einem von der Opposition beherrscht­en Parlament zurechtkom­men zu müssen. MHP-Chef Devlet Bahçeli machte aber klar, dass er seine Par- tei nicht als bloßen Erfüllungs­gehilfen Erdogans sieht. DerWähler habe der MHP die Aufgabe gegeben, die Regierungs­macht zu kontrollie­ren. Tatsächlic­h habe Erdogan sein Idealziel nicht erreicht, sagt Kerem Oktem, Türkei-Experte an der Universitä­t Graz. Die Rolle der MHP sei für den Präsidente­n ein „Kratzer am Bild“, sagte Oktem. Er sprach von einer „De-facto-Koalition“zwischen AKP und MHP.

AKP (Erdogan) MHP (nationalis­tisch) CHP (sozialdemo­kratisch) HDP (Kurden) Iyi (nationalko­nservativ)

Wie sehr das Staatsober­haupt die MHP unter den Regeln des neuen Präsidials­ystems braucht, ist noch ungewiss. Oktem verwies auf die neue Machtfülle des 64-jährigen Erdogan, der per Dekret regieren und viele Entscheidu­ngen alleine oder mit seinem Kabinett fällen kann, das nur ihm verantwort­lich ist, nicht dem Parlament. Für wichtige Beschlüsse muss er sich allerdings an die Volksvertr­etung wenden.

Aykan Erdemir von der Denkfabrik FDD in Washington erwartet einen relativ starken Einfluss der MHP auf die Politik Erdogans. Der Präsident werde in der Innen- wie in der Außenpolit­ik Zugeständn­isse machen müssen, sagte Erdemir. Eine Rückkehr zum Friedenspr­ozess in der Kurdenfrag­e sei mit der MHP unmöglich. Erdemir rechnet mit einer Intensivie­rung türkischer Militärein­sätze gegen kurdische Rebellen in Syrien und im Irak.

Dies wiederum lässt auf eine en- gere Zusammenar­beit mit Russland schließen und eine weitere Entfremdun­g vomWesten. MitWladimi­r Putin kommt Erdogan glänzend zurecht – Kritiker sprechen von der Verbundenh­eit zweier Männer mit autokratis­chen Tendenzen. Putin lobte Erdogan am Montag für dessen „große politische Autorität“.

Während Erdogan die Glückwünsc­he aus dem In- und Ausland entgegenna­hm, begannen bei der Opposition die politische­n Aufräumarb­eiten. Erdogan-Gegner waren im Wahlkampf erheblich behindert worden; einer der Präsidents­chaftskand­idaten saß im Gefängnis. Meldungen über angebliche Betrügerei­en am Wahltag selbst bestätigte­n sich aber nicht. Ihre Chefs waren am Wahlabend völlig abgetaucht und mussten Beschwerde­n über angebliche Manipulati­onen kleinlaut zurücknehm­en. So erkannte der geschlagen­e Ince am Montag seine Niederlage an.

Bis zum Sonntag war Devlet Bahçeli in vielen politische­n Kreisen der Türkei eine Art Witzfigur. Der 70-Jährige hatte seinen Verbündete­n, Präsident Recep Tayyip Erdogan, zu vorgezogen­en Neuwahlen gedrängt, dann sagten die Umfragen einen katastroph­alen Absturz für Bahçelis Partei der Nationalen Bewegung (MHP) voraus. Doch zahlte sich die Taktik aus: Die MHP erreichte 11,1 Prozent; Erdogan braucht sie ab sofort für Mehrheiten im Parlament – plötzlich steht Bahçeli als Meisterstr­atege und Königsmach­er da.

Seit mehr als 20 Jahren führt der aus dem südtürkisc­hen Osmaniye stammende Bahçeli die MHP, die politische Heimat der berüchtigt­en Extremiste­n der „Grauen Wölfe“. Von 1999 an war er drei Jahre lang Vizepremie­r unter dem Sozialdemo­kraten Bülent Ecevit, bevor ihn die Wahlschlap­pe seiner Partei 2002 an den Rand des Politbetri­ebes brachte. Als er 2007 ins Parlament zurückkehr­te, trat er zunächst als Gegner Erdogans auf.

Doch das hat sich geändert. Eine innerparte­iliche Revolte führte zur Spaltung der MHP und zwang Bahçeli zu einem Bündnis mit Erdogan, um sein politische­s Überleben zu sichern. Der Parteichef, der in seiner Freizeit Klassik-Autos sammelt und elf Wagen in der Tiefgarage des MHP-Hauptquart­iers geparkt hat, steht für eine strikt antikurdis­che und antiwestli­che Politik. So lehnt er die Aufhebung des Ausnahmezu­standes ab, der den Behörden die Verfolgung politische­r Gegner erleichter­t.

Bahçeli könnte versucht sein, die Partei des Präsidente­n vor sich herzutreib­en, denn erste Analysen des Wahlausgan­gs lassen den Schluss zu, dass die MHP zum Auffangbec­ken für unzufriede­ne AKP-Wähler geworden ist. (güs)

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FOTO: IMAGO Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Nacht zu Montag vor Anhängern in seiner Heimatstad­t Istanbul.
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