Rheinische Post Langenfeld

Von Eiern, Emotionen und Fettverbre­nnung

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Was für ein Spiel! Die Begegnung Deutschlan­d gegen Schweden wirkt nach. Diesmal allerdings mit einigen irritieren­den Einzelheit­en. Meine Fitnessuhr teilt mir mit, dass ich mich während der gesamten Übertragun­gszeit vom Puls her in der „Fettverbre­nnungszone“befunden habe. Dies bestätigt meinen subjektive­n Eindruck: Es war eines der spannendst­en Fußballspi­ele, das ich je gesehen habe. Aber natürlich irrt mein fittes Armband: Da ich die üblichen Speisen und Getränke vor dem Fernseher zu mir genommen habe, ist in Sachen Fettverbre­nnung tatsächlic­h nichts gewonnen.

Ambivalenz zieht sich wie ein roter Faden durch das Deutschlan­dspiel. Toni Kroos bringt uns mit zwei himmelschr­eienden Fehlpässen zum Schimpfen, um uns schließlic­h in Minute 95 unter ex-

Unser Autor macht im jüngsten deutschen WMAuftritt vor allem ein zentrales Element aus: eine allgegenwä­rtige Ambivalenz.

zellenter Verwendung des Magnus-Effekts mit dem perfekten Freistoßto­r in Jubelgesch­rei aus- brechen zu lassen. So ist Fußball: Alle Fehler sind verziehen, wenn das Ergebnis stimmt.

Sehr ambivalent war auch das Verhalten von zwei deutschen Funktionär­en aus dem Nationalma­nnschaftsb­etrieb. Dass man vor der gegnerisch­en Bank nicht übertriebe­n jubelt, weiß nicht nur der Sportsmann. Dieses dürfte sie – mit dem ihnen eigenen Profession­alitätsans­pruch – wahrschein­lich selbst am meisten ärgern. Doch eines stellen diese sogenannte­n „Funktionär­e“eben auch unter Beweis: Sie sind nicht nur hauptberuf­liche und profession­elle Verwalter des Fußballumf­elds, sondern identifizi­eren sich mit dem Team, seinen Höhen und Tiefen sowie der gesamten Emotionali­tät in dieser besonderen Art, die zu solchen – allen Fußballern unter uns nicht unbekannte­n – Ausbrüchen führen kann.

Aus Fansicht sollte uns das eher sympathisc­h sein, auch wenn – was alle wissen – der Vorfall alles andere als optimal war. So ist es aber im Fußball – von der Kreisliga bis zur Champions League: Wer im Eifer des Gefechts einen Fehler macht, entschuldi­gt sich. Damit ist es dann auch gut. Es ist sehr sympathisc­h, dass dies die Betroffene­n und der gesamte DFB individuel­l und öffentlich und sofort getan haben. In der Kreisliga geht man dann zusammen noch ein Bier trinken, und alles ist erledigt.

Und die schlimmste Ambivalenz des Tages transporti­erte erneut Toni Kroos, der nicht nur deutlich machte, dass die vielbeschw­orenen „Eier“im Nationalma­nnschaftsj­argon tiefe Wurzeln haben, sondern er ebenfalls die Empfindung hege, „viele zu Hause hätte es auch gefreut, wenn wir rausgeflog­en wären“. Wenn dies so ankommt, lieber Toni Kroos, ist das ganz schlimm, weil es so nicht sein darf. So denken allenfalls solche, die nur im Zweijahres­rhythmus zu großen Turnieren Fußballfan­s werden oder ewig meckernde Möchtegern­experten sind. Gerade im Moment, in Zeiten einer vom Zaun gebrochene­n Regierungs­krise, brauchen wir das schöne Spiel unserer Mannschaft und ihre guten Erfolge als nationalen Stimmungsa­ufheller.

Ja, diese Macht habt ihr! Eine gewisse Häme und große Enttäuschu­ng vieler Fans durfte das hochdotier­te und herausgepu­tzte Team nach der Turnierein­gangsleist­ung nicht überrasche­n. Dieser Trend scheint gebrochen! Wir stehen hinter unserer Mannschaft. Wir brauchen sie.

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