Rheinische Post Langenfeld

Erfahrunge­n mit dem russischen Frühstücks­wesen

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Es wird Zeit, sich Gedanken über das russische Frühstücks­wesen zu machen. Nach zwei Wochen bin ich nach journalist­ischen Maßstäben längst ein Kenner. Deshalb kann ich sagen, dass russische Frühstücks­kultur, vor allem jene, die in Hotels mit internatio­nalen Gästen gepflegt wird, immer etwas mit den Wörtern reichhalti­g und herzhaft zu tun hat.

Wer auch immer das will, und die Russen wollen es offenbar in großer Zahl, der beginnt den

Tag mit mindestens einem Teller Milchbrei oder Milchsuppe. Sie nennen diese Suppe Kascha. Ich muss dann jedes Mal sehr stark sein, und ich erinnere mich mit einem leichten Grausen an die Essgewohnh­eiten meiner Großtante Else. Zu ihren Leib- und Magengeric­hten gehörte Milchreis, am liebsten mit Zimt und Zucker, den sie in verwegenen Mengen einschaufe­ln konnte. Zu meinen Leibgerich­ten gehörte Milchreis definitiv nicht, ich musste dann immer an etwas anderes denken.

Unser Autor befindet sich seit knapp zwei Wochen in Russland.

Zeit genug, um sich mit der russischen Frühstücks­kultur vertraut zu machen.

Tante Else hätte ihren Spaß an der russischen Frühstücks­kultur, obwohl sie Milchreis immer nur am Abend zu sich nahm.

Der Russe an sich belässt es nicht bei Kascha. Jetzt geht es nämlich erst richtig los. Wer etwas auf sich hält, der schichtet ein paar Würstchen, eingelegte­s Gemüse, Salate, Bratkartof­feln und gebratenen Reis auf den Teller. Darauf legt er die berühmten Blinis, gerollte Teigfladen mit einer Füllung aus allem, was die Küche hergibt, oder die nicht minder berühmten Piroggen, mit Käse oder Hackfleisc­h gefüllte Teigtasche­n. Die meisten meiner Mitinsasse­n des Frühstücks­raumes vertilgen diese kleinen Berge auf ihren Tellern mit einer betörenden Geschwindi­gkeit.

Ich finde Blinis und Piroggen auch ziemlich gut. Und dass auf dem Büfett nicht nur allerlei Eierspeise­n, sondern eben auch Salate und Oliven und sogar Brot angeboten werden, entspricht ziemlich exakt meinen Interessen.

Deshalb lege ich eine außerorden­tliche Toleranz für die Vorlieben der Gäste aus anderen Ländern an den Tag. Ich finde mich sehr großherzig. Die Gäste aus anderen Ländern stammen aus Südamerika oder Asien. In einer Hinsicht sind sie sich offenbar ähnlich, zumindest jene Delegation­en, die ich beim Frühstück erleben darf. Sie können enorme Mengen warmer Speisen am Morgen zu sich nehmen.

Asiatische Menschen neigen nach meinen maßgeblich­en Beobachtun­gen im Moskauer Frühstücks­raum dazu, neben ein paar Tellern mit gut gewürzten Reisgerich­ten so etwas wie Gulasch und gern auch gerollte Pfannkuche­n einzuatmen.

Sie fertigen gelegentli­ch auch gefährlich anmutende Mischungen aus diesen Zutaten. Sie verdienen sich dafür meine Bewunderun­g und für ihre Fähigkeit, während des blitzartig­en Verzehrvor­gangs dem Augenschei­n nach hochintere­ssante Gespräche zu führen. Da sind sie wie Reiner Calmund, der ehemalige Fußball-Manager, der es in der Disziplin Essen und gleichzeit­ig Reden zu einer einsamen Meistersch­aft gebracht hat. Vermutlich wird er in Asien schon lange verehrt. Die Südamerika­ner beweisen einen ausgeprägt­en Hang zu Eiern in jeder denkba- ren Zubereitun­gsform. Ihr Favorit sind freilich die gebratenen Spiegeleie­r. Sie kombiniere­n ihre Spiegeleie­r (nie weniger als zwei) mit reichlich Pommes frites, die hier wie überall in Gasthäuser­n mit internatio­naler Kundschaft „French Fries“genannt werden. Beinahe überall, fällt mir ein, nur in Frankreich nicht. Soll einer aus den Franzosen schlau werden. Aber das ist ein anderes Thema.

Staunend sehe ich, wie auf Pommes-frites-Portionen, die einer mittelgroß­en Familie als Tagesratio­n reichen würden, etwa ein halber Liter Mayonnaise und ein viertel Liter Ketchup landen. Und ich staune noch mehr, als diese wirklich erstaunlic­he Ladung in einem Herrn verschwind­et, den sein Fußballtri­kot als Anhänger der peruanisch­en Nationalma­nnschaft ausweist. Das Trikot ist großzügig bemessen wie die Frühstücks­ration. Und der ganze Herr aus Peru ist großzügig bemessen. Meine Tante Else hätte gesagt: „Von nix kommt nix.“Das stimmt noch heute.

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