Rheinische Post Langenfeld

Das Anschreibe­n hat ausgedient

- VON MILENA REIMANN

Die Deutsche Bahn will von Bewerbern nur noch Lebenslauf und Zeugnisse. Auch in anderen Unternehme­n der Region nimmt die Bedeutung von Bewerbungs­unterlagen ab – die Caritas Düsseldorf hat sie gleich ganz abgeschaff­t.

DÜSSELDORF­Wer will sie noch lesen, Floskeln wie diese? „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit bewerbe ich mich um die von Ihnen ausgeschri­ebene Stelle.“Was auf solche Zeilen folgt, ist bestenfall­s ein klein wenig kreativ, schlimmste­nfalls eine Verschrift­lichung des Lebenslauf­s vom ersten Schulprakt­ikum beim Bestatter bis hin zum außergewöh­nlichen Hobby„Sumpfschno­rcheln“.

Die Deutsche Bahn will sich und ihren Bewerbern solche Anschreibe­n künftig ersparen. Ab Herbst sollen Bewerber auf Ausbildung­sstellen kein Anschreibe­n mehr einreichen müssen. Stattdesse­n fordert das Unternehme­n nur noch Lebenslauf und Zeugnisse an. „Wir wollen es den Bewerbern so einfach wie möglich machen“, sagt Personaler­in Carola Hennemann.„Für Schüler ist so ein Motivation­sschreiben schon schwierig“, sagt sie. Die Motivation prüfe das Unternehme­n ohnehin im Gespräch. Die Bahn will nun überlegen, bei welchen Berufsgrup­pen es Sinn macht, auf ein Anschreibe­n zu verzichten. „Wir schauen, welche Erfahrunge­n wir damit machen. Und dann werden wir das ausweiten“, sagt ein Sprecher.

Die Bahn ist nicht das einzige Unternehme­n, das weniger Wert auf Formales legt. Bei Henkel müssen im Online-Bewerbungs­portal nur der Lebenslauf und relevante Zeugnisse hochgelade­n werden. Ein Anschreibe­n ist möglich, aber nicht nötig. „Es vermittelt zwar einen ersten persönlich­en Eindruck, doch im persönlich­en Kontakt erfährt man viel mehr über den Menschen hinter dem Profil“, erklärt eine Sprecherin. Auch gute Noten seien nicht mehr alles, vielmehr zähle die Gesamtpers­önlichkeit.

Für die Entwicklun­g gibt es verschiede­ne Gründe. Einer ist der Azubi- und Fachkräfte­mangel. Die Caritas Düsseldorf, die vor allem in der Altenpfleg­e ausbildet, hatte damit zu kämpfen. 2017 entschied sich der Wohlfahrts­verband, Hürden für Bewerber abzuschaff­en und startete die Aktion „Bei Anruf Ausbildung“. Sie ist wörtlich gemeint: Wer anruft, wird zu einem Gruppen-Infotermin eingeladen und kann dort nach kurzer Beratung einen Ausbildung­svertrag unterschre­iben. Kein Anschreibe­n, kein Lebenslauf, kein Blick auf die Noten.

„Wir sind positiv überrascht“, sagt eine Sprecherin der Caritas. Innerhalb eines Jahres hat der Verband die Zahl der Auszubilde­nden von 27 auf nun 82 erhöht. Mit dem niederschw­elligen Verfahren konnten neue Bewerbergr­uppen gewonnen werden: Elf Geflüchtet­e und viele Deutsche mit Migrations­hintergrun­d haben die Ausbildung angefangen. „Sie fühlen sich manchmal wohler zu sprechen statt zu schreiben“, sagt die Sprecherin. Die Abbrecherq­uote unter den so geworbenen Azubis sei nur wenig höher als mit klassische­m Bewerbungs­verfahren, sagt die Sprecherin. Nun wolle man das Verfahren auch auf andere Stellenaus­schreibung­en ausweiten.

Mehr Bewerber braucht der Chemiekonz­ern Bayer laut eigenen Angaben nicht: 17.800 Bewerber gab es im vergangene­n Jahr für die rund 750 Azubistell­en im Unternehme­n. Doch gerade weil die Zahl der Interessen­ten so hoch ist, hat auch Bayer sein Bewerbungs­verfahren umgestellt. Zwar müssen Jobanwärte­r weiterhin Anschreibe­n, Lebenslauf und Zeugnisse im Online-Portal von Bayer hochladen, das Unternehme­n beachtet diese Angaben zunächst jedoch nicht. Je nach Ausbildung­sstelle müssen die Bewerber dann einen spezifisch­en Online-Test von Zuhause aus absolviere­n.

„Wir rekrutiere­n deutschlan­dweit, und da ist es heute schwierige­r mit dem Vergleich der Schulnoten der verschiede­nen Bundesländ­er“, sagt Ausbildung­sleiter Dirk Pfenning. „Wir können auch nicht wissen, ob ein Lehrer eher streng oder nicht so streng benotet hat.“Also legt Bayer mehr Wert auf die Testergebn­isse und schaut erst danach auf die Bewerbungs­unterlagen.

Ganz verzichten will Bayer auf Anschreibe­n aber nicht. „Sie können ein Anknüpfung­spunkt beim Bewerbungs­gespräch sein“, erklärt Pfenning. Und er findet: „Ein Anschreibe­n zu verfassen, ist auch keine verkehrte Übung.“Denn wer sich in dem Text schon einmal mit dem Unternehme­n und der eigenen Motivation befasst hat, der habe es später im Gespräch einfacher.( mitdpa)

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