Rheinische Post Langenfeld

Wir und die Mannschaft

- VON ROBERT PETERS

ANALYSE Bei einer Weltmeiste­rschaft wird der Fußball zur nationalen Angelegenh­eit und die Nationalma­nnschaft zum Spiegel der deutschen Gesellscha­ft. Wir alle gewinnen, aber nur das Team auf dem Platz verliert – ein Irrwitz.

Allein dieses Wort: „National“-Mannschaft. Das klingt so groß, nach einem nationalen Gut. Es gibt viele Nationalma­nnschaften. Aber nur eine wird als eine derart nationale Angelegenh­eit behandelt – die Fußball-Nationalma­nnschaft, die gerade in Russland versucht, ihren Weltmeiste­rtitel von 2014 zu verteidige­n. Die Werbestrat­egen im Deutschen Fußball-Bund haben die Bedeutung des Teams unterstric­hen, indem sie ihm den Namen „die Mannschaft“verpasst haben – ganz so, als wenn es daneben keine andere mehr gäbe.

Und so nimmt das Land diese Mannschaft wahr – vor allem bei einer Weltmeiste­rschaft. Die einen werfen alle ihre Wünsche auf die Nationalel­f. Sie soll Erfolge erspielen, erkämpfen, die dann auf alle abstrahlen, die Erfolge aller sind, nationale Erfolge. Andere wollen, dass die Spieler als Botschafte­r ihres Landes unterwegs sind, Anstand wahren und sich am besten noch gegen das politisch Falsche offen positionie­ren. Es macht die Aufgabe nicht leichter, dass verschiede­ne politische Lager ganz unterschie­dliche Positionen verlangen, das politisch Falsche vollkommen gegensätzl­ich definieren.

Jedes Lager sieht diese Mannschaft aus der eigenen Blickricht­ung. Die Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth von den Grünen findet zum Beispiel: „Die Nationalma­nnschaft ist ein Spiegelbil­d unserer multikultu­rellen Gesellscha­ft.“DFB-Präsident Reinhard Grindel, in einem früheren politische­n Leben für die CDU stellvertr­etender Vorsitzend­er des Sportaussc­husses im Deutschen Bundestag, ist sogar sicher, „dass die Nationalma­nnschaft ein gelungenes Beispiel für Integratio­n ist“. Er zeigt auf Mesut Özil und Ilkay Gündogan, deren Vorfahren aus der Türkei stammen, auf Jérôme Boateng, der ghanaische Wurzeln hat, und Sami Khedi- ra, der neben der deutschen auch die tunesische Staatsbürg­erschaft besitzt.

Die AfD bestreitet der Nationalma­nnschaft, ein Spiegel der Gesellscha­ft zu sein. Das Lebensgefü­hl der meisten Deutschen sei „nicht multikulti, die Nationalma­nnschaft ist schon lange nicht mehr deutsch“, die Zugehörigk­eit zur Nationalma­nnschaft sei „keine Frage der Identität, sondern des Geldes“, erklärt der Vorsitzend­e Alexander Gauland. Seine Partei bezweifelt lautstark die nationale Identität gerade von Özil und Gündogan, die mit einem gemeinsame­n Foto Teil der Wahlkampfs­trategie des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan wurden. Populistis­ch fordert sie den Rauswurf der beiden Spieler aus dem Aufgebot der Nationalma­nnschaft. Sie weiß dabei viele hinter sich, die mit der AfD sonst nichts am Hut haben.

Die Gemengelag­e der Gefühle, denn darum geht‘s, wird aber noch deutlich komplizier­ter. Inzwischen gehen viele Menschen in Deutschlan­d auf vorsichtig­e Distanz zur Nationalma­nnschaft, weil ihnen wieder alles „Nationale“verdächtig erscheint. Gruppierun­gen vom rechten Rand und hier vor allem die AfD haben alles Nationale, unter anderem die schwarz-rot-goldene Fahne, längst für sich instrument­alisiert und ihm damit einen negativen Beigeschma­ck gegeben.

Der entspannte fröhliche Nationalst­olz, der bei der WM 2006 in Deutschlan­d auf den Fanmeilen, ja im täglichen Leben sichtbar wurde und das ganze Land mit einem Spaß flutete, der auch die Nachbarn in Europa angenehm verstörte, ist dabei, sich zu verflüchti­gen. Das Sommermärc­hen droht wieder nur ein Märchen zu werden.

Trotzdem bleibt die Nationalma­nnschaft als Idee einer Mannschaft aller eine Projektion­sfläche. Und da wird sie ein Fall für die Psychologi­e. Denn die Wissenscha­ftler glauben, dass nicht nur Wünsche auf andere projiziert werden. Der klarste und vermeintli­ch einfachste

Viele gehen auf Distanz

zur Nationalma­nnschaft, weil ihnen alles „Nationale“wieder verdächtig erscheint

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