Rheinische Post Langenfeld

Über Brüssel gegen Merkel

- VON MARKUS GRABITZ

Neue Möglichkei­ten für Sebastian Kurz: Österreich übernimmt die EU-Ratspräsid­entschaft. Kurz muss allerdings mit Augenmaß vorgehen.

BRÜSSEL Am Sonntag übernimmt Österreich die EU-Ratspräsid­entschaft. Das geschieht turnusgemä­ß, und doch ist derWechsel diesmal alles andere als Routine. Der Grund ist der Streit um die Neuausrich­tung der Asyl- und Flüchtling­spolitik, der, angefacht von der CSU, mittlerwei­le auch wieder zwischen den EU-Hauptstädt­en ausgetrage­n wird. In Brüssel ist schon die Rede davon, dass Österreich es in den nächsten sechs Monaten in der Hand habe, ob Angela Merkel stürzt oder gerettet wird.

Österreich­s 31 Jahre junger Bundeskanz­ler Sebastian Kurz tritt in Brüssel immer mehr als ein Gegenspiel­er von Angela Merkel auf. Der Konservati­ve Kurz, der der gleichen europäisch­en Parteienfa­milie angehört wie Merkel und in Wien mit der rechtspopu­listischen FPÖ koaliert, hat bereits deutlich gemacht, dass die Asylpoliti­k der wichtigste Schwerpunk­t der österreich­ischen Ratspräsid­entschaft werden soll. Kurz setzt dabei ganz andere Schwerpunk­te als Merkel.

Ihm geht es darum, Außengrenz­en dichtzumac­hen und die Grenzschut­zbehörde Frontex zu stärken. Und: Er hält es für einen Fehler, dass in Brüssel so lange erfolglos verhandelt wurde, wie die Asylbewerb­er in der EU verteilt werden können. Die EU müsse „endlich damit aufhören, weiter über ein Verteilung­ssystem zu sprechen, das einfach nicht funktionie­ren wird“. Die Kanzlerin dagegen wirbt seit 2015 für eine solidarisc­he Umverteilu­ng von Flüchtling­en, wenn einzelne Länder wie Griechenla­nd und Italien überforder­t sind. In Deutschlan­d sieht Kurz seineVerbü­ndeten eher bei der CSU. Mit Markus Söder und Horst Seehofer, die auch die einseitige Abriegelun­g der Grenze nicht ausschließ­en, hat er mehr gemein als mit Merkels europäisch­em Ansatz.

Kurz darf aber nicht zu große Hoffnungen darauf setzen, seine Linie in Europa durchzuset­zen. Das EULand, das die Ratspräsid­entschaft innehat, ist vor allem als Makler gefragt. Derzeit laufen knapp 200 Gesetzgebu­ngsverfahr­en, die die Kommission angestoßen hat, denen die beiden Co-Gesetzgebe­r Rat und Parlament zustimmen müssen. 73 dieser Gesetzgebu­ngsvorschl­äge, darunter die künftige CO2-Regulierun­g und der EU-Finanzrahm­en, hat Wien als wichtig identifizi­ert. Hier wird von Österreich erwartet, dass es Kompromiss­linien erarbeitet und den Weg freimacht.

Klar ist allerdings bereits heute, dass Österreich wenig Tempo ma- chen wird bei der Verabschie­dung des mehrjährig­en Finanzrahm­ens der EU für 2021 bis 2027. Wenn es nach Kurz geht, soll Brüssel weniger Geld bekommen, als die Kommission vorschlägt, die Zahl der Kommissare soll reduziert werden – eine Außenseite­rposition. Das konflikttr­ächtige Thema möchte Kurz am liebsten Rumänien weiterreic­hen, das nach ihm dran ist

Im Vergleich zu 1998 und 2006, als Österreich schon einmal die Geschäfte im Rat führte, sind ohnehin die Einflussmö­glichkeite­n reduziert. Seit 2009 gibt es einen hauptamtli­chen Präsidente­n des Rates, seit 2014 ist das der Pole Donald Tusk. Während 2006 Österreich­s Kanzler Wolfgang Schüssel den EU-Gipfel im eigenen Land leitete, findet das vierteljäh­rliche Treffen inzwischen in Brüssel statt, und zwar unter der Leitung Tusks.

Eine kleine Aufwertung haben die Ratspräsid­entschafte­n nur dadurch erfahren, dass sich inzwischen informelle Gipfel etabliert haben, die jeweils im Land der Ratspräsid­entschaft stattfinde­n. Österreich lädt für den 20. September die „Chefs“nach Salzburg ein. Thema: innere Sicherheit und Migration.

Da inzwischen kaum jemand mehr damit rechnet, dass der reguläre EU-Gipfel in dieser Woche das Thema Migration abräumt, dürfte Kurz das Thema bis dahin erhalten bleiben. Dabei wird ihm aber nicht die österreich­ische Ratspräsid­entschaft Möglichkei­ten zur Gestaltung geben, sondern seine politische Nähe zu anderen EU-Staats- und Regierungs­chefs, die einen zunehmend ruppigen Ton in der Asyldebatt­e anschlagen: Viktor Orbán aus Ungarn, Giuseppe Conte aus Italien und Andrej Babis aus Tschechien.

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FOTO: AFP Mehrere Hundert österreich­ische Polizisten und Soldaten haben gestern im Ort Spielfeld nahe Slowenien den Grenzschut­z geübt. Da waren die „Migranten“allerdings nur Darsteller.

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