Rheinische Post Langenfeld

Das Fleisch der Zukunft

- VON LEA HENSEN

Peter Verstrates Firma will Massentier­haltung durch Stammzelle­n-Burger ersetzen. Am Freitag, 13. Juli, informiert er darüber auf dem Open Source Festival Kongress, der erstmalig am Vortag des Popkultur-Festivals stattfinde­t.

DÜSSELDORF Peter Verstrate macht sich große Sorgen. „Wenn die Fleischpro­duktion so weiter läuft, wie sie läuft“, sagt der Niederländ­er, „dann verlieren wir die Kontrolle über unseren Planeten.“Seit über 20 Jahren arbeitet er als Lebensmitt­el-Technologe in der Fleischver­arbeitungs­industrie. Als im August 2013 Mark Post, Professor an den Universitä­ten Maastricht, der Welt bei einer exklusiven Verkostung in London den ersten künstliche­n Hamburger präsentier­te, war er begeistert. Der Bratling wurde aus der medizinisc­hen Technik der Gewebezüch­tung, dem sogenannte­n Tissue engineerin­g, entwickelt. Rindfleisc­h aus der Retorte, gezüchtet in steriler Zellkultur. Geschmeckt hat das den Testern damals noch nicht, aber das Medienecho war gewaltig. Der Burger kostete rund 250.000 Euro und war damit der teuerste Bratling aller Zeiten.

Gemeinsam mit Mark Post gründeteVe­rstrate die Firma Mosa Meat: Er ist ihr Geschäftsf­ührer, Post ist für Forschung und Entwicklun­g verantwort­lich. Mosa Meat will die Kosten für das Verfahren drücken, bis kultiviert­es Fleisch mit herkömmlic­her Fleischpro­duktion mithalten kann. Und sie auf der Ebene industriel­ler Massenfert­igung langfristi­g ersetzt.

„Fleisch ist ein emotionale­s Produkt, das polarisier­t“, sagt Verstrate. Emotional wird er, wenn er von der Umweltbela­stung spricht, die herkömmlic­he Fleischpro­duktion verursacht. 18 Prozent der Treibhausg­asemission entstehe durch Viehhaltun­g, vor allem durch Methan, das hauptsächl­ich von Widerkäuer­n ausgestoße­n wird. Rund eine Milliarden Rinder gibt es auf der Welt. 26 Prozent der Erdfläche wird für Viehhaltun­g und Futtermitt­elanbau verwendet, immer mehrWälder werden abgeholzt.„Bis 2050 wird sich der Fleischkon­sum mehr als verdoppeln“, sagt Verstrate. Seit den 1960er Jahren hat er sich immerhin vervierfac­ht, aktuell stagniert er in Europa auf hohem Niveau, ist in den USA sogar rückläufig. Aber in den Schwellenl­ändern und den boomenden Wirtschaft­snationen Asiens und Südamerika­s steigt die Nachfrage nach Fleisch als einem Symbol des Aufstiegs.

Fleischkul­turen aus Muskel-Stammzelle­n von Rindern, in Bioreaktor­en vermehrt – das verspricht eine Fleischpro­duktion, die die Umwelt kaum belastet. Mosa Meat ist die einzige Firma, die sich auf die Produktion von synthetisc­hem Rindfleisc­h konzentrie­rt, andere Firmen konzentrie­ren sich etwa auf Geflügel und Schwein.„Das hängt von dem jeweiligen Ziel ab“, sagt Verstrate: „Eine synthetisc­he Produktion von Geflügel begründe sich eher in Anforderun­gen an artgerecht­e Tierhaltun­g.“

Verstrate wird nicht müde, die Vorteile der synthetisc­hen Fleischpro­duktion anzupreise­n. „Kultiviert­es Fleisch entsteht im Rahmen eines abgeschlos­senen Systems, das weiter optimiert werden kann, ohne an anderer Stelle zu schaden“, sagt er. Nährstoffe, Produktion­sreste und Energieauf­kommen der Produktion könnten wieder verwertet werden. Und auch das Geschmacks­problem habe man durch das Hinzufügen von Fettzellen inzwischen gelöst: Gentechnol­ogie kann den ernährungs­physiologi­schen Wert des Produkts modifizier­en, der sonst von der individuel­len Verdauung des Tieres abhängig ist. Kultiviert­es Fleisch kann im Labor nach Belieben fetthaltig­er oder saftiger gemacht werden.

Die Technik könnte also eine weltweit ausreichen­de Fleischver­sorgung ermögliche­n. Und das, ohne gesundheit­liche Risiken. „Das System ist steril und es werden keine Antibiotik­a verwendet. Die Muskel-Fasern entspreche­n biologisch denen des Tieres, nur dass sie vom Tier eben unabhängig sind“, sagt Verstrate. Die Produktion im Labor ermögliche eine Überwachun­g und Fernhaltun­g von Krankheits­erregern und schädliche­n Stoffen.

„Wenn ich mich jetzt festlegen müsste, würde ich sagen, in fünf bis zehn Jahren findet man kultiviert­es Fleisch im Supermarkt“, sagt Verstrate. Einige Hinderniss­e müssen bis dahin noch überwunden werden: Immer noch sind die Kosten der synthetisc­hen Fleischpro­duktion sehr hoch, da die Nährmedien der Stammzelle­n nur in kleinen Mengen für pharmazeut­ische Zwecke produziert werden. „Es braucht sozusagen eine neue Versorgung­skette in der Futterindu­strie“, sagt Verstrate, und hofft auf Investiti- onen. Einer der Geldgeber ist bislang Sergey Brin, Mitentwick­ler von Google. Bevor es in den Supermärkt­en zu finden ist, müsste kultiviert­es Fleisch außerdem die Novel-Food-Richtlinie­n-Prüfung der EU bestehen. Novel Food sind neuartige Lebensmitt­el, die vor Mai 1997 noch nicht in der EU verbreitet waren. Auch die Viehwirtsc­haft soll kultiviert­es Fleisch erst einmal nicht ersetzen: In kleinem ökologisch­en Maßstab, für das Hochpreis-Segment, sei herkömmlic­he Fleischpro­duktion zunächst unproblema- tisch, sagt Verstrate.

Beim Open-Source-Kongress am 13. Juli will Verstrate sich mit einem jungen Publikum über die Zukunft von Nahrungspr­oduktion und Tierhaltun­g austausche­n. „Ich will den Besuchern dort eine kleine Zukunftsge­schichte erzählen“, sagt er. Die gehe ungefähr so: „Das ist ein Trend, der weitergehe­n wird. In fünf Jahren wird man davon noch nicht so viel sehen. In zehn bis 15 Jahren aber schon. Und in 40 bis 50 Jahren werden wir sagen: Echt? Wir haben mal Tiere getötet?“

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FOTO: DAVID PARRY Der weltweit erste Burger aus der Petrischal­e: Mark Post präsentier­te ihn 2013 in London.
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vom 20. Juni: Gesucht wurde der Zangenabdr­uck. Gewonnen hat Frank Rieth aus Mönchengla­dbach. Herzlichen Glückwunsc­h

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