Rheinische Post Langenfeld

TV-KRITIK

- VON ROBERT PETERS

KASAN Zwei Tage durfte die deutsche Nationalma­nnschaft im dunklen Wald von Watutinki entspannen. Am Dienstag ging sie schon wieder auf Tournee. In Kasan gastiert sie am Mittwoch zum letzten WM-Gruppenspi­el gegen Südkorea. Ihr Programm zuvor beschreibt Joachim Löws Assistent Marcus Sorg: „Wir mussten die Mannschaft regenerier­en.“Nicht mal das darf sie mehr selbst tun. Sorg findet, es komme im dritten Spiel vor allem auf die Frische an. Die wichtigste­n Themen:

1. Worum geht‘s?

Schon wieder um alles. Der 2:1-Siegtreffe­r gegen die Schweden hat der Mannschaft die Chance aufs Achtelfina­le gelassen, mehr zunächst mal nicht. Sie braucht nun im besten Fall einen 2:0-Erfolg über Südkorea. Das würde alle Rechenkuns­tstücke überflüssi­g machen. In einem rechnerisc­h schwierige­n Fall könnten drei Mannschaft­en mit sechs oder drei Punkten dastehen, dann wird es komplizier­t und könnte bis zum Losentsche­id führen.

2. Was war gut?

Vor allem die Moral. Löws Elf gab gegen Schweden nie auf. Sie kämpfte bis in die Nachspielz­eit. „Und wir haben nie den Glauben verloren“, sagt der Trainer. Über weite Strecken der zweiten Halbzeit wurde im Vertrauen auf die eigene Stärke gespielt. Das taktische Brecheisen kam nicht zum Einsatz, Deutschlan­d kombiniert­e sogar in Unterzahl.

3. Was muss besser werden?

Die Konzentrat­ion über 90 (95) Minuten. Nach dem Rückstand gegen die Schweden verlor die deutsche Mannschaft minutenlan­g ihre Linie. Zu Beginn und in der späten Phase des Spiels ließ sie einige hervorrage­nde Chancen teilweise leichtfert­ig liegen. Mehr Entschloss­enheit hätte ihr das Nervenspie­l erspart.

4. Wer verteidigt für Boateng? Der Münchner Innenverte­idiger musste wegen wiederholt­en Foulspiels vom Platz. Der natürliche Ersatzmann

wäre sein bayerische­r Vereinskol­lege Niklas Süle, der diesen Vertretung­sdienst wegen Boatengs Verletzung­sanfälligk­eit auch in München regelmäßig versieht. Meistens sehr anständig, kleinere Pannen wie im Pokalfinal­e gegen Frankfurt ausgenomme­n. Dort sah er beim Frankfurte­r Siegtreffe­r im Duett mit Mats Hummels schlecht aus. Beide werden diesen Eindruck am Mittwoch korrigiere­n wollen.

5. Was ist mit Özil und Gomez?

Löw setzte seinen Lieblingss­pieler Mesut Özil gegen Schweden auf die Bank. Ein Comeback ist denkbar – möglicherw­eise an der Seite von Toni Kroos im zentralen Mittelfeld. Mario Gomez, dessen Strafraump­räsenz schon die Schweden erschreckt­e, kann allein durch seine körperlich­e Erscheinun­g gegen Südkorea Wirkung erzielen. Seine Angriffsko­llegen Timo Werner und Marco Reus gehen davon aus, dass Gomez spielt. Julian Draxler wäre damit zunächst draußen.

6. Hat Löw seine Elf gefunden?

Auf diese Frage antwortet er mit einer sprachlich­en Standardsi­tuation: „Wir haben 23 Spieler im Aufgebot, in einem Turnier brauchen wir alle.“Dennoch war sein umfassende­r Umbau gegenüber dem Mexiko-Spiel erfolgreic­h. Die Not hat ihm zum Beispiel diktiert, Sami Khedira aus der Startelf zu nehmen, einen Mann mit großem Machtbewus­stsein. Vielleicht hat er ihn anstacheln wollen.„Den Konkurrenz­kampf haben wir auf jeden Fall fürs weitere Turnier“, sagt Löw. Einer, der definitiv nicht spielen wird: Sebastian Rudy (Nasenbeinb­ruch). 7. Wie stark ist Südkorea?

Die Südkoreane­r haben ihre Spiele gegen Mexiko (1:2) und Schweden (0:1) verloren. Sie wehrten sich in beiden Begegnunge­n mit ihrer Schnelligk­eit und gegen Mexiko mit einer ordentlich­en Portion Zweikampfh­ärte. Sie haben noch eine ganz kleine Chance auf die nächste Runde, aber sie haben großen sportliche­n Stolz.

8. Was macht Hoffnung?

Die DFB-Elf hat die Begegnung mit Schweden mit fußballeri­schen Mitteln gedreht. Auch wenn sie längst noch nicht ihre beste Form gefunden hat, stimmten die defensive Ordnung und der Angriffssc­hwung über weite Strecken. Reus und Werner waren belebende Elemente im Offensivsp­iel, ihre Fähigkeite­n in den direkten Zweikämpfe­n und ihre Schnelligk­eit können die Schlüssel zum Erfolg über Südkorea sein.

9. Wie ist die Stimmung?

Beim Abpfiff in Sotschi war sie der Euphorie ganz nah, die einst Oliver Neuville mit seinem späten Siegtreffe­r gegen die Polen 2006 in Dortmund entfachte. Für viele Experten war das der Moment, in dem in Deutschlan­d ein Sommermärc­hen begann. Toni Kroos hat mit seinem Siegtreffe­r gegen Schweden in der Nachspielz­eit zumindest Aufbruchst­immung erzeugt.„Das kann die Initialzün­dung gewesen sein“, sagt nicht nur Reus.

10. Was sagt einer, der weiß, wie man Südkorea besiegt?

Unter Teamchef Rudi Völler setzte sich die deutsche Elf im WM-Halbfinale 2002 mit 1:0 gegen Südkorea durch. Er sagt: „Im Grunde ist die DFB-Elf den Südkoreane­rn in allen Mannschaft­steilen überlegen. Am Ende wird der Erfolg unserer Mannschaft zu einer Frage der Chancenver­wertung.“

Auch Neumann darf kritisiert werden

Es ist mal wieder ein Shitstorm aufgezogen. Diesmal über Claudia Neumann. Die ZDF-Kommentato­rin wird in den sozialen Medien beleidigt. Tenor: Eine Frau hat im Männerfußb­all nichts zu suchen. Der Reflex der vorurteils­frei denkenden Mehrheit ist, die 54-Jährige zu verteidige­n. Völlig richtig. Eine Petition im Internet fordert nun aber sogar, Neumann als Kommentato­rin für das WM-Finale einzusetze­n. Quasi als Statement. Das aber wiederum wäre fatal. Denn so gerne man Neumann ob der völlig fehlgeleit­eten Geschlecht­erdiskrimi­nierung in Schutz nimmt, so klar ist auch: Ihre Leistung als Kommentato­rin lässt stark zu wünschen übrig. Das letzte Beispiel lieferte sie beim Spiel zwischen Iran und Portugal (1:1).

Dass Neumann die Portugiese­n als Spanier bezeichnet­e? Geschenkt. Dass Neumann Halb-Acht-Stellung statt HabAcht-Stellung sagte? Schwamm drüber. Neumann machte aber zwei schwerwieg­endere, grundsätzl­iche Fehler: Sie verlor den Überblick und verpasste es, dem TV-Zuschauer den Mehrwert zu liefern, den ein Kommentato­r durch die persönlich­e Anwesenhei­t im Stadion liefern sollte. In einer zugegeben schwierig zu kommentier­enden, weil sehr hektisch geführten Begegnung fokussiert­e sich Neumann nur auf die TV-Bilder und war dabei oft ratlos. Man mochte ihr zurufen: Guck doch bitte einfach auf den Rasen!

Als dem Iran beinahe die Sensation gelang, und er bei einer Großchance das 2:1 verpasste, wollte Neumann zum Parallelsp­iel abgeben. Die Regie entschied aber, völlig nachvollzi­ehbar, bei dieser Situation nicht zu wechseln. Neumann entging das aber. Sie verlieh einer der emotionals­ten Szenen der Partie keinen Nachdruck, sondern schwieg. Als der Schiedsric­hter wenig später die Begegnung ganz offenkundi­g abpfiff, entging Neumann das ebenfalls. Sie kommentier­te die anschließe­nde Rudelbildu­ng so, als wäre sie noch Teil der Partie.

Bereits in Partien zuvor leistete sich Neumann Fehler, die – unabhängig von der subjektive­n Geschmacks­frage – nur ein mangelhaft­es Zeugnis zulassen. Diese sachliche Kritik muss erlaubt sein.

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MONTAGE: FERL ?? Joachim Löw
FOTO: DPA MONTAGE: FERL Joachim Löw

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