TV-KRITIK
KASAN Zwei Tage durfte die deutsche Nationalmannschaft im dunklen Wald von Watutinki entspannen. Am Dienstag ging sie schon wieder auf Tournee. In Kasan gastiert sie am Mittwoch zum letzten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea. Ihr Programm zuvor beschreibt Joachim Löws Assistent Marcus Sorg: „Wir mussten die Mannschaft regenerieren.“Nicht mal das darf sie mehr selbst tun. Sorg findet, es komme im dritten Spiel vor allem auf die Frische an. Die wichtigsten Themen:
1. Worum geht‘s?
Schon wieder um alles. Der 2:1-Siegtreffer gegen die Schweden hat der Mannschaft die Chance aufs Achtelfinale gelassen, mehr zunächst mal nicht. Sie braucht nun im besten Fall einen 2:0-Erfolg über Südkorea. Das würde alle Rechenkunststücke überflüssig machen. In einem rechnerisch schwierigen Fall könnten drei Mannschaften mit sechs oder drei Punkten dastehen, dann wird es kompliziert und könnte bis zum Losentscheid führen.
2. Was war gut?
Vor allem die Moral. Löws Elf gab gegen Schweden nie auf. Sie kämpfte bis in die Nachspielzeit. „Und wir haben nie den Glauben verloren“, sagt der Trainer. Über weite Strecken der zweiten Halbzeit wurde im Vertrauen auf die eigene Stärke gespielt. Das taktische Brecheisen kam nicht zum Einsatz, Deutschland kombinierte sogar in Unterzahl.
3. Was muss besser werden?
Die Konzentration über 90 (95) Minuten. Nach dem Rückstand gegen die Schweden verlor die deutsche Mannschaft minutenlang ihre Linie. Zu Beginn und in der späten Phase des Spiels ließ sie einige hervorragende Chancen teilweise leichtfertig liegen. Mehr Entschlossenheit hätte ihr das Nervenspiel erspart.
4. Wer verteidigt für Boateng? Der Münchner Innenverteidiger musste wegen wiederholten Foulspiels vom Platz. Der natürliche Ersatzmann
wäre sein bayerischer Vereinskollege Niklas Süle, der diesen Vertretungsdienst wegen Boatengs Verletzungsanfälligkeit auch in München regelmäßig versieht. Meistens sehr anständig, kleinere Pannen wie im Pokalfinale gegen Frankfurt ausgenommen. Dort sah er beim Frankfurter Siegtreffer im Duett mit Mats Hummels schlecht aus. Beide werden diesen Eindruck am Mittwoch korrigieren wollen.
5. Was ist mit Özil und Gomez?
Löw setzte seinen Lieblingsspieler Mesut Özil gegen Schweden auf die Bank. Ein Comeback ist denkbar – möglicherweise an der Seite von Toni Kroos im zentralen Mittelfeld. Mario Gomez, dessen Strafraumpräsenz schon die Schweden erschreckte, kann allein durch seine körperliche Erscheinung gegen Südkorea Wirkung erzielen. Seine Angriffskollegen Timo Werner und Marco Reus gehen davon aus, dass Gomez spielt. Julian Draxler wäre damit zunächst draußen.
6. Hat Löw seine Elf gefunden?
Auf diese Frage antwortet er mit einer sprachlichen Standardsituation: „Wir haben 23 Spieler im Aufgebot, in einem Turnier brauchen wir alle.“Dennoch war sein umfassender Umbau gegenüber dem Mexiko-Spiel erfolgreich. Die Not hat ihm zum Beispiel diktiert, Sami Khedira aus der Startelf zu nehmen, einen Mann mit großem Machtbewusstsein. Vielleicht hat er ihn anstacheln wollen.„Den Konkurrenzkampf haben wir auf jeden Fall fürs weitere Turnier“, sagt Löw. Einer, der definitiv nicht spielen wird: Sebastian Rudy (Nasenbeinbruch). 7. Wie stark ist Südkorea?
Die Südkoreaner haben ihre Spiele gegen Mexiko (1:2) und Schweden (0:1) verloren. Sie wehrten sich in beiden Begegnungen mit ihrer Schnelligkeit und gegen Mexiko mit einer ordentlichen Portion Zweikampfhärte. Sie haben noch eine ganz kleine Chance auf die nächste Runde, aber sie haben großen sportlichen Stolz.
8. Was macht Hoffnung?
Die DFB-Elf hat die Begegnung mit Schweden mit fußballerischen Mitteln gedreht. Auch wenn sie längst noch nicht ihre beste Form gefunden hat, stimmten die defensive Ordnung und der Angriffsschwung über weite Strecken. Reus und Werner waren belebende Elemente im Offensivspiel, ihre Fähigkeiten in den direkten Zweikämpfen und ihre Schnelligkeit können die Schlüssel zum Erfolg über Südkorea sein.
9. Wie ist die Stimmung?
Beim Abpfiff in Sotschi war sie der Euphorie ganz nah, die einst Oliver Neuville mit seinem späten Siegtreffer gegen die Polen 2006 in Dortmund entfachte. Für viele Experten war das der Moment, in dem in Deutschland ein Sommermärchen begann. Toni Kroos hat mit seinem Siegtreffer gegen Schweden in der Nachspielzeit zumindest Aufbruchstimmung erzeugt.„Das kann die Initialzündung gewesen sein“, sagt nicht nur Reus.
10. Was sagt einer, der weiß, wie man Südkorea besiegt?
Unter Teamchef Rudi Völler setzte sich die deutsche Elf im WM-Halbfinale 2002 mit 1:0 gegen Südkorea durch. Er sagt: „Im Grunde ist die DFB-Elf den Südkoreanern in allen Mannschaftsteilen überlegen. Am Ende wird der Erfolg unserer Mannschaft zu einer Frage der Chancenverwertung.“
Auch Neumann darf kritisiert werden
Es ist mal wieder ein Shitstorm aufgezogen. Diesmal über Claudia Neumann. Die ZDF-Kommentatorin wird in den sozialen Medien beleidigt. Tenor: Eine Frau hat im Männerfußball nichts zu suchen. Der Reflex der vorurteilsfrei denkenden Mehrheit ist, die 54-Jährige zu verteidigen. Völlig richtig. Eine Petition im Internet fordert nun aber sogar, Neumann als Kommentatorin für das WM-Finale einzusetzen. Quasi als Statement. Das aber wiederum wäre fatal. Denn so gerne man Neumann ob der völlig fehlgeleiteten Geschlechterdiskriminierung in Schutz nimmt, so klar ist auch: Ihre Leistung als Kommentatorin lässt stark zu wünschen übrig. Das letzte Beispiel lieferte sie beim Spiel zwischen Iran und Portugal (1:1).
Dass Neumann die Portugiesen als Spanier bezeichnete? Geschenkt. Dass Neumann Halb-Acht-Stellung statt HabAcht-Stellung sagte? Schwamm drüber. Neumann machte aber zwei schwerwiegendere, grundsätzliche Fehler: Sie verlor den Überblick und verpasste es, dem TV-Zuschauer den Mehrwert zu liefern, den ein Kommentator durch die persönliche Anwesenheit im Stadion liefern sollte. In einer zugegeben schwierig zu kommentierenden, weil sehr hektisch geführten Begegnung fokussierte sich Neumann nur auf die TV-Bilder und war dabei oft ratlos. Man mochte ihr zurufen: Guck doch bitte einfach auf den Rasen!
Als dem Iran beinahe die Sensation gelang, und er bei einer Großchance das 2:1 verpasste, wollte Neumann zum Parallelspiel abgeben. Die Regie entschied aber, völlig nachvollziehbar, bei dieser Situation nicht zu wechseln. Neumann entging das aber. Sie verlieh einer der emotionalsten Szenen der Partie keinen Nachdruck, sondern schwieg. Als der Schiedsrichter wenig später die Begegnung ganz offenkundig abpfiff, entging Neumann das ebenfalls. Sie kommentierte die anschließende Rudelbildung so, als wäre sie noch Teil der Partie.
Bereits in Partien zuvor leistete sich Neumann Fehler, die – unabhängig von der subjektiven Geschmacksfrage – nur ein mangelhaftes Zeugnis zulassen. Diese sachliche Kritik muss erlaubt sein.