Rheinische Post Langenfeld

Wie Deutschlan­d die nächste Abwehrmaue­r knacken kann

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Und täglich grüßt das Murmeltier. Oder im Fall der deutschen Mannschaft: die Defensivma­uer. Oliver Bierhoffs Kritik, die Schweden hätten sich 90 Minuten am eigenen Strafraum verbarrika­diert, mag wenig diplomatis­ch, vielleicht sogar hochnäsig gewesen sein. Ganz von der Hand zu weisen ist sie nicht. Mit Mann und Maus verteidige­n, Räume schließen, sich in jeden Schuss werfen: Das war die schwedisch­e Marschrout­e.

In der Gruppenpha­se haben die deutschen Gegner in erster Linie das Ziel, hinten die Null zu halten. Vorne vertrauen sie darauf, dass die DFB-Abwehr einen Fehler begeht. Wer kann es ihnen verübeln? Immerhin treten sie gegen den Weltmeiste­r an. Und ganz erfolg- los war das Rezept ja nicht. Auch gegen Schweden tat sich das LöwTeam schwer, den gegnerisch­en Defensivbl­ock aufzubrech­en.

Wer hofft, dass sich diese Gemengelag­e ändert, dürfte enttäuscht werden. Die Südkoreane­r haben die Marschrout­e adaptiert, die so viele Außenseite­r bei dieser WM anwenden. Ihre zwei engen Viererkett­en bauen sie kurz vor dem eigenen Strafraum auf. Egal, ob sie wie gegen Mexiko im 4-4-1-1 oder wie gegen Schweden im 4-1-4-1 verteidige­n: Zu jeder Zeit sind acht, neun Südkoreane­r hinter dem Ball. Einzig ein Stürmer verbleibt vorne, um im Falle eines Ballgewinn­s sofort hinter die Abwehr geschickt zu werden. Die Strategie unterschei­det sich kaum von Schweden oder Mexiko.

Es sind die Details, die den Unterschie­d machen – und die auch erklären, warum die Südkoreane­r bislang ohne Punkt geblieben sind. Sie bauen ihre Viererkett­en noch tiefer auf als die meisten anderen WM-Teilnehmer. Gerade im Mittelfeld üben sie praktisch keinen Druck auf den Gegner aus.

Wie auch? Ihre Doppelsech­s zeichnet sich weder durch Aggressivi­tät noch durch gutes Timing im Zweikampf aus. Südkorea verlässt sich darauf, gegnerisch­e Angriffe am eigenen Strafraum zu stoppen, bewegt sich dazu wie eine Ziehharmon­ika über den Platz: Hat der Gegner den Ball im Mittelfeld, stehen die beiden Viererkett­en breit, decken das gesamte Feld ab. Je näher der Gegner an den Strafraum kommt, umso enger ziehen sich die Viererkett­en zusammen. Kommt eine Flanke in den Strafraum, stehen beide Viererkett­en geschlosse­n im Sechzehner.

Vorn verbleibt zumeist einzig Superstar Heung-Min Son. Er genießt viele Freiheiten und ist von Defensivau­fgaben weitestgeh­end befreit. Son ist ein exzellente­r Konterstür­mer, der mit gutem Timing hinter die gegnerisch­e Abwehr startet. Dazu weicht er häufig auf die Flügel aus. Doch bei Südkoreas 1:2 gegen Mexiko stand Son dermaßen häufig allein in der gegnerisch­en Hälfte, dass seine Konterstär­ke kaum zur Geltung kam. Dass er dennoch ein Tor schoss, sagt viel über seine Qualität aus.

Das deutsche Team muss Lösungen finden gegen die defensiven Viererkett­en. Es muss auf den guten Ansätzen des Schweden-Spiels aufbauen. Zu selten gelang es bisher, das gute Ballbesitz­spiel in Chancen umzumünzen. Der Grund dafür ist nicht unbedingt taktischer Natur. Gerade um den Strafraum herum verhält sich Deutschlan­d nahezu lehrbuchmä­ßig: Die Stürmer starten aus dem Rückraum in den Strafraum, besetzen die unterschie­dlichen Zonen. Dabei sprinten sie nicht gleichzeit­ig, sondern nacheinand­er in den Strafraum, um die Ordnung des Gegners durcheinan­derzuwirbe­ln. Das Problem liegt nicht in der Besetzung des Strafraums – die Hereingabe­n sind die Schwachste­lle. Zu selten erhalten die Angreifer den Ball in den Fuß, selbst wenn sie völlig frei stehen. Punktgenau­e Hereingabe­n sind aber gerade gegen die Südkoreane­r gefragt, die mit acht Mann im eigenen Strafraum verteidige­n.

Trotz kleinerer Fragezeich­en blicke ich positiv auf das Spiel. Südkorea ist offensiv- wie defensivta­ktisch der schwächste deutsche Gruppengeg­ner. Ein Ausscheide­n würde mich überrasche­n. Nicht überrasche­n würde mich wiederum, wenn Oliver Bierhoff auch nach diesem Spiel wieder über den zu defensiven Gegner meckert.

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FOTO: PRIVAT

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