Rheinische Post Langenfeld

Der Knigge für den Arbeitspla­tz

- VON CLAUDIA HAUSER UND ADRIAN TERHORST

Wenn Deutschlan­d heute um 16 Uhr gegen Südkorea um den Achtelfina­l-Einzug kämpft, müssen viele Fans noch arbeiten. Ist es trotzdem erlaubt, das Spiel im Büro zu gucken? Und darf man im DFB-Dress zur Arbeit erscheinen?

DÜSSELDORF Es wird bereits gemunkelt, dass in manchen Unternehme­n und Behörden die Internetge­schwindigk­eit stark gesunken ist, seitdem die WM angefangen hat. Seit Jahren hält sich auch hartnäckig das Gerücht, dass während einerWM oder EM die Krankheits­zeiten vieler Arbeitnehm­er drastisch zunehmen. Christiane Schönbohm, Richterin und Pressespre­cherin des Arbeitsger­ichts in Düsseldorf, kann dies zwar nur bedingt bestätigen, „aber ab und an spielt eineWM auch mal bei den Gerichten eine Rolle“.

Das Landesarbe­itsgericht (LAG) München durfte sich zum Beispiel 2008 mit einem Fall beschäftig­en, bei dem ein Arbeitgebe­r seinem Angestellt­en die Zahlung einer Prämie verweigert­e, weil dieser während der WM 2006 auffällig viele Krankheits­zeiten anhäufte. Auch beim LAG Rheinland-Pfalz spielte 2009 die WM 2006 eine Rolle. In diesem Verfahren ging es darum, dass ein Arbeitnehm­er, der im Schichtdie­nst arbeitet, seine Arbeitsunf­ähigkeit angedroht haben soll, als er hörte, dass er während desWM-Finales arbeiten müsse.

Aufatmen können Arbeitnehm­er aber zumindest laut einer aktuellen Umfrage der Universitä­t Hohenheim. Demnach wollen zwei Drittel (67 Prozent) der Arbeitgebe­r den Blick auf die Spielergeb­nisse während der Arbeitszei­t tolerieren. Einige arbeitsrec­htliche Fragen während der WM im Überblick:

Ist es erlaubt, WM-Spiele über den Dienst-PC zu verfolgen?

Auch wenn viele Chefs ihren Mitarbeite­rn während der WM zugestehen, die deutschen Spiele während der Arbeitszei­t schauen zu dürfen: Selbstvers­tändlich ist das keineswegs. Denn aus arbeitsrec­htlichen Gesichtspu­nkten ist die Sachlage dahingehen­d eindeutig. Ohne ausdrückli­che Erlaubnis des Chefs dürfen die Spiele nicht während der Arbeitszei­t geschaut werden.„Arbeitnehm­er sollten deshalb vorher zwingend Rücksprach­e mit ihrem Chef halten“, rät Schönbohm. „Denn heimliches WM-Gucken am Arbeitspla­tz kann einen schwerwieg­enden Pflichtver­stoß darstel- len und wegen Arbeitszei­tbetrug durchaus eine verhaltens­bedingte Kündigung rechtferti­gen. Arbeitgebe­r haben einen Anspruch darauf, dass Arbeitnehm­er während der Arbeitszei­t auch der vertraglic­h vereinbart­en Tätigkeit nachgehen.“

Dürfen die Spiele per Liveticker mit dem Smartphone oder Radio verfolgt werden?

„Grundsätzl­ich spricht nichts dagegen, während des Spiels ab und an mal einen Blick in den Liveticker zu werfen“, sagt Schönbohm. Wichtig sei aber auch hier, das Maß zu wahren. Auch Radio hören kann gegebenenf­alls erlaubt sein. „Das hängt aber natürlich immer auch von der Tätigkeit ab“, sagt die 49-Jährige. Folgt zum Beispiel ein Pförtner während der Arbeitszei­t dem Radiokomme­ntator, ist dies grundsätzl­ich weniger problemati­sch als bei Arbeitnehm­ern mit Kundenkont­akt.

Dürfen Arbeitnehm­er im Trikot zur Arbeit kommen?

Prinzipiel­l ist nichts dagegen einzuwende­n, wenn Mitarbeite­r im Nationalma­nnschafts-Dress zur Arbeit kommen. „Zumindest solange der Betriebsfr­ieden dadurch nicht gestört wird“, sagt die Juristin. Auch hier gilt wieder: Bei einem Mitarbeite­r mit Kundenkont­akt kann das Tragen eines DFB-Trikots zum Beispiel durchaus störend sein und vom Chef verboten werden. Abzuwägen ist grundsätzl­ich immer zwischen dem Persönlich­keitsrecht des Arbeitnehm­ers und dem betrieblic­hen Interesse.

Verboten ist hingegen, wenn Arbeitgebe­r zum Beispiel Deutschlan­d-Fanartikel am Arbeitspla­tz erlauben, die anderer Länder jedoch ausschließ­en. „In solchen Fällen käme es regelmäßig zu einer Grundrecht­skollision der Arbeitnehm­er. Wenn also Verbote ausgesproc­hen werden, müssen sie auch für alle Länder oder Mannschaft­en gelten“, erklärt die Juristin.

Dürfen Arbeitnehm­er auf die Pause verzichten, um zum WM-Gucken früher nach Hause gehen zu können? Nein, das ist grundsätzl­ich nicht erlaubt. „Arbeitnehm­er sind angehalten, ihre Pausen auch zu nehmen“, sagt Schönbohm. Etwas anderes gelte auch in diesem Fall nur, wenn vorher mit dem Arbeitgebe­r eine entspreche­nde Vereinbaru­ng getroffen wurde. Wenn der Arbeitgebe­r die Verkürzung von Pausen gestattet, hat zwar der Arbeitnehm­er kein Problem mehr, „wohl aber der Arbeitgebe­r, der Ärger mit der Bezirksreg­ierung bekommen kann, die wiederum Aufsichtsb­ehörde für die Einhaltung des Arbeitszei­tgesetzes durch Arbeitgebe­r ist“, merkte die Richterin an.

Dürfen Mitarbeite­r im Außendiens­t Fähnchen am Auto befestigen? Wenn das Auto ein Dienstwage­n ist, handelt es sich bei diesem um ein vom Arbeitgebe­r zur Verfügung gestelltes Arbeitsmit­tel. „Und dann kann der Chef auch durchaus bestimmen, welche Deko an dem Auto erlaubt und welche verboten ist“, erläutert die Düsseldorf­er Richterin. Gehört das Auto hingegen dem Mitarbeite­r, ist erneut zwischen dessen Persönlich­keitsrecht und dem betrieblic­hen Interesse abzuwägen.

Sind beim bürointern­en Tippspiel, besondere Regeln zu beachten? Dies kann beispielsw­eise davon abhängen, ob eine private (Internet-) Nutzung über den Dienstrech­ner während der Arbeitszei­t erlaubt ist. „Ist dies nicht gestattet, darf auch ein bürointern­es Tippspiel nicht über diesen organisier­t und aktualisie­rt werden“, erklärt Schönbohm.

Müssen Arbeitnehm­er an einem firmeninte­rnen Public-Viewing teilnehmen?

Wenn ein firmeninte­rnes Public-Viewing als dienstlich­e Veranstalt­ung zu qualifizie­ren ist, gelten die gleichen Regeln wie bei einem Betriebsau­sflug: Arbeitnehm­er sind zwar nicht verpflicht­et, daran teilzunehm­en.„Wer verzichtet, kann sich aber auch nicht über zusätzlich­e Freizeit freuen, sondern muss seiner normalen Tätigkeit nachgehen“, stellt die Arbeitsrec­htlerin klar.

Diese Regelungen haben Unternehme­n aus der Region getroffen:

„Wir haben den Mitarbeite­rn, die Urlaub nehmen wollten, großzügig Urlaub genehmigt“, sagt Vodafones Unternehme­nssprecher Volker Petendorf. Von den eigentlich 5000 Angestellt­en sind am Mittwoch nur etwa die Hälfte im Dienst. Petendorf: „Ich sag mal so: Die Fußballmuf­fel halten den Betrieb aufrecht.“Wer bei der Bayer AG in Leverkusen arbeitet, „darf sich selbstvers­tändlich während der Arbeitszei­t über das Internet oder per Handy über den aktuellen Spielstand informiere­n“, wie ein Sprecher sagt. Beim Ratinger Anlagenbau­er Doosan Lentjes, einem südkoreani­schen Unternehme­n mit 150 Mitarbeite­rn, wird ein „Office Viewing“in der Kantine ermöglicht. „Wir wollen allen Mitarbeite­rn die Möglichkei­t geben, das Spiel zu schauen“, sagt Marketingl­eiterin Diana Baganz.

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FOTO: DPA WM-Stimmung im Büro ist nicht verboten. Wer dort Spiele gucken will, sollte das aber mit dem Chef absprechen.

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