Rheinische Post Langenfeld

Die Apotheke, in der Obst und Schnaps verkauft werden

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Neulich wache ich morgens mit einem leichten Kratzen im Hals auf, die Nase läuft ein bisschen, im Kopf wohnt ein leiser Schmerz, und ein kleiner Husten kriecht den Rachen hinauf. Eine schrecklic­he Krankheit wälzt sich heran, eine Erkältung, die bei den meisten Männern lebensbedr­ohliche Zustände zur Folge hat und die sie nach nahen Anverwandt­en rufen lässt.

Ich aber klage nicht und nehme tapfer den Weg zur nächsten Apotheke. Zu meinem großen Glück ist Moskau mit solchen Läden bestens ausgestatt­et. Moskaus Apotheken sind mit einem grünen Leuchtschr­ift-Kreuz gut erkennbar. So gut, dass ich an der ersten eilig vorbeilauf­e, den Blick in die Ferne gerichtet, obwohl das Gute manchmal doch so nah liegt. So brauche ich nur ein Viertelstü­ndchen, bis ich am Leninprosp­ekt, einem vom gemütliche­n Verkehrsge­summ des Morgens erfüllten acht- bis zehnspurig­en Sträßchen, geradewegs in ein grünes Kreuz hineinmars­chiere.

Das muss mal ganz anders gewesen sein, wie mir mein elektronis­ches Nachschlag­werk verrät, das ich gelegentli­ch zum Telefonier­en verwende. Denn bis Mitte des 17. Jahrhunder­ts gab es Apo-

Auf der Suche nach einer Apotheke in Moskau wird unser Autor schnell fündig. Dass in dem Verkaufsra­um neben Medikament­en auch Obst und Schnaps verkauft werden, war nicht weiter tragisch.

theken nur am Zarenhof, bis tief ins 18. Jahrhunder­t hatte ganz Moskau nur zwölf private Apotheken, obwohl Zar Peter (der Große) die Gründung ausdrückli­ch erlaubt hatte. Einer seiner Vorgänger im Amt, Fjodor Aleksejewi­tsch, gewährte in seiner Großherzig­keit schon 100 Jahre früher die Niederlass­ung staatliche­r Apotheken in Moskau. Die erste grün- dete der deutsche Heilkundle­r Johann Guttmensch. Er verstand sein Geschäft offenbar sehr gut(t), so dass ihm in Anerkennun­g seiner Verdienste um die Heilkunde der Titel „Hofmedicus und Aufseher“verliehen wurde. Das schützte ihn allerdings nicht davor, auf dem Höhepunkt der sogenannte­n Strelitzen­aufstände der Vergiftung des Zaren beschuldig­t und hingericht­et zu werden. Es war eben noch ein sehr gefährlich­er Beruf.

Weitgehend wurde er von deutschen Einwandere­rn betrieben. Der erfolgreic­hste unter ihnen begründete eine regelrecht­e Dynastie. Carl Ferrein begann in einer Apotheke, deren Fassade noch heute in der Moskauer Innenstadt zu bewundern ist. Bis zum Ende des 19. Jahrhunder­ts war aus dem Geschäft ein Pharmakonz­ern mit 1600 Mitarbeite­rn und einer eigenen Glasbläser­ei geworden.

Neben Medikament­en bot das Unternehme­n sehr erfolgreic­h die Getränke „Coca auf Portwein“und „Cola in Sherry“an. Das klingt zwar schwer verdaulich, ist aber immer noch einen Hauch annehmbare­r als die Verkaufssc­hlager von Ferreins Kollegen im 18. Jahrhunder­t. Da gab es in Apotheken Hundefett, Hecht- und Wolfszähne. Diese schöne Welt weh- te die Oktoberrev­olution davon. Ich bin froh, dass ich im Moskau des 21. Jahrhunder­ts nach einem Mittelchen suche, das nicht aus Hechtzähne­n gefertigt wurde. Und ich bin sicher, dass heutige Apotheker in der Hauptstadt nicht den Hang ihrer Vorfahren haben, ihren Patienten gelegentli­ch Mittel, die zur äußeren Anwendung gedacht sind (Jod oder Rubrimentö­l), inwendig zu verabreich­en.

Meine Apotheke teilt sich den Verkaufsra­um von gut 50 Quadratmet­ern mit einem Lebensmitt­elladen, der Obst und Aufschnitt anbietet, und einem Schnaps- und Tabakgesch­äft, das schon morgens von Kunden belagert wird, die nicht nur Zigaretten kaufen. Die Apotheke hebt sich von den beiden anderen Geschäftsz­weigen dadurch ab, dass sie ein kleines Kassenhäus­chen aus Glas besitzt. Es sieht aus wie der Kiosk in alten Kinos. Eine kurze Abfolge internatio­naler Pantomime (Hand an den Hals, kräftiges Röcheln, schwer leidender Blick) genügt. Die Apothekeri­n drückt mir ein Gläschen Pillen in die Hand, bekommt dafür ein paar Rubelchen. Und trotz meines schrecklic­hen Allgemeinz­ustands geht es mir direkt besser. Ich widerstehe dem Drang, eine Flasche Wodka zu kaufen.

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