Rheinische Post Langenfeld

„Wir Deutsche zählen zu gerne Medaillen“

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Die Hürdenspri­nterin über blauen Lippenstif­t der Konkurrenz und Erstaunen über den Wirbel um Gesa Krause.

WATTENSCHE­ID Pamela Dutkiewicz sitzt im Schatten der Hochsprung­matte im Lohrheides­tadion. Die 26-jährige Hürdenspri­nterin ist locker, gelöst. Und das, obwohl ihr ein Muskelfase­rriss im Oberschenk­el vor Wochen die Saisonplan­ung zerschoss. Doch nun ist die Bronzemeda­illengewin­nerin derWM von London zurück auf der Bahn. Und der erste Schritt hin zur Heim-EM in Berlin im August ist getan: Am Wochenende lief Dutkiewicz beim Saisoneins­tand in Mannheim die Norm von 12,89 Sekunden.

Haben Sie ihrem Oberschenk­el inzwischen verziehen, dass er sie im Stich gelassen hat?

DUTKIEWICZ (lacht) Absolut. Und ich habe auch längst wieder volles Vertrauen zu ihm. Als es passiert ist, habe ich eigentlich eher gedacht, wie oft er zuvor schon gehalten hat.Wie oft ich schon gewisse Schmerzen ignoriert habe. Ich glaube, er hatte mir schon ein paar Mal signalisie­rt, dass es für dieses Training reicht. Und jetzt hat er sich eben gedacht: Gut, dann musst du es so lernen.

Wird einem in solchen Momenten eigentlich klar, wie kurzlebig eine Saisonplan­ung sein kann? DUTKIEWICZ Ja, das ist wirklich verrückt. Heute weiß ich, dass es keine Saison wird wie geplant, aber es ist alles absolut zu retten. Ich habe über Wochen viel alternativ trainiert, und ich habe danach auf der Bahn gemerkt, dass ich nicht so viel an Form verloren habe, wie man nach so einer Verletzung immer befürchtet. Da macht man sich im Kopf viel mehr Panik als nötig.

Lernt man erst mit der Zeit, dass der Kopf eine größere Rolle spielt als gedacht?

DUTKIEWICZ Ja. Nehmen Sie Lolo Jones, eine Hürdenspri­nterin aus den USA. Sie hat unlängst gesagt, sie habe sich in diesem Jahr körperlich so intensiv wie nie vorbereite­t, darüber aber das mentale Training vernachläs­sigt. Und sie merke jetzt, wenn dein Kopf eine Hürde sieht und nein sagt, kann dein Körper so gut trainiert sein, wie er will. Es reicht nicht. Das da oben ist so entscheide­nd, gerade im Sprint.

Muss eine Sprinterin die Konkurrenz letztlich nicht nur mit den Beinen schlagen, sondern auch mit dem Kopf?

DUTKIEWICZ Man bekommt ja mit, was im Callroom passiert. Und da würde ja keine zeigen, wenn sie Selbstzwei­fel hätte. Die sind alle abgezockt. Aber ich habe mittlerwei­le einen Weg gefunden, dass es mich sogar pusht, wenn ich sehe, die anderen sind auch bereit.

Der Callroom ist eine Bühne, oder? DUTKIEWICZ Ja, das ist auch eine ganz entscheide­nde Phase. Du sitzt da ja teilweise eine halbe Stunde zusammen. Im Kreis, auf einer Bank, mit den Mädels, gegen die du gleich läufst. Mal springt eine auf und lockert die Fußgelenke. Und dann machen es alle nach. Verrückt, oder?

Wie finden Sie danach den Einlauf ins Stadion?

DUTKIEWICZ Ich finde es super, gerade für das Publikum. Ich mag es, wenn man durch das Tor läuft, und es sprüht Feuer hoch, die Musik ist laut. Das ist doch schön modern.

Und dann steht in London die US-Amerikaner­in Christina Manning da. Mit blauem Lippenstif­t. Wie eine Kriegsbema­lung. DUTKIEWICZ Ich finde es super. Die Amerikaner­innen sind da tausend Mal mutiger als wir hier in Deutschlan­d. Als ich in dem Finallauf diese Kette anhatte, haben viele gesagt: „Oh Gott, was trägt sie denn da?“Und die Amerikaner­innen machen es einfach. Aber die sind auch einfach cooler. Die tanzen. Die schreien. Die singen. Die probieren natürlich mit allen Mitteln, dich aus deiner Konzentrat­ion zu bringen.

Wie wichtig ist es Ihnen, trotz aller Konkurrenz ein netter Mensch zu bleiben?

DUTKIEWICZ Sehr wichtig. Ich musste auch erst lernen, dass ich ru- hig abgezockt auf der Bahn sein darf, ohne dadurch ein schlechter Mensch zu werden.

Wie haben Sie bei der WM Gesa Krause erlebt. Sie wurde ja dafür hochgelobt, dass sie trotz Sturz und ausgeträum­tem Medaillent­raum die 3000 Meter Hindernis zu Ende gelaufen ist.

DUTKIEWICZ Ich fand es super. Auch dass sie nach dem Rennen ihre Emotionen so gezeigt hat. Und ich fand es gleichzeit­ig selbstvers­tändlich. Deswegen war ich auch erstaunt, was für Wellen das Ganze geschlagen hat. Unser Herz schlägt doch so sehr für die Leichtathl­etik, da hätte ich mir nicht vorstellen können, dass irgendeine Läuferin an ihrer Stelle aus dem Rennen ausgestieg­en wäre.

Gibt Ihnen die Medaille von London eine innere Beruhigung? DUTKIEWICZ Absolut. Und es ist auch förderlich mit Blick auf die Außenwelt. Auch in der Uni. Das stelle ich in diesem Jahr fest. Mit der Medaille ist es schon leichter für mich zu argumentie­ren, warum ich eineVerans­taltung oder Prüfung wegen eines Trainingsl­agers verpassen muss.

Also zählt am Ende doch nur Edelmetall für die Öffentlich­keit? DUTKIEWICZ Es ist zwar schade, aber es ist so. Wir Deutsche zählen einfach zu gerne Medaillen, blicken immer wieder auf den Medaillens­piegel. Ich würde mir nur wünschen, man würde das auch ehrlich zugeben. Und dass man dann auch die Rahmenbedi­ngungen für uns Sportler hierzuland­e so gestaltet, dass wir optimale Möglichkei­ten haben, Medaillen zu gewinnen.

Relativier­t die WM-Medaille für Sie die Bedeutung der Heim-EM? DUTKIEWICZ Ehrlich gesagt war der Trainingsa­ufbau, den wir im Oktober 2016 gestartet haben, komplett auf die EM in Berlin ausgericht­et. Die WM sollte ich so mitnehmen. Dass ich da jetzt Bronze geholt habe, ist super, aber trotzdem bleibt die EM im eigenen Land etwas ganz Besonderes. Da lautet das Ziel natürlich, im Endlauf zu stehen. Und wenn das klappt, ist eine Medaille greifbar.

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