Rheinische Post Langenfeld

Europa hat genug vom Merkelismu­s

- VON MATTHIAS BEERMANN

ANALYSE Jahrelang kam in Europa niemand an Angela Merkel vorbei. Sie war die Krisenmana­gerin, die Führungsro­lle fiel ihr wie von selbst zu. Das ist vorbei: Die Kanzlerin ist isoliert. Das Warten auf ihren Nachfolger hat begonnen.

Man kann Angela Merkel sicher vieles nachsagen, aber gewiss nicht, dass sie eitel sei. Und so weiß man nicht, ob sie sich insgeheim doch geschmeich­elt fühlte, als sie im vergangene­n Jahr zum siebten Mal in Folge vom„Forbes“-Magazin zur mächtigste­n Frau derWelt gekürt wurde. Und genauso wenig weiß man, wie sie den Abstieg verkraftet, den sie seither erlebt – von der unbestritt­enen Anführerin Europas zum Problemfal­l der EU. Das mag hart klingen, aber so ist es: In Deutschlan­d mag Merkels Macht bisher nur bröckeln; auf europäisch­er Ebene hat sie sie schon verloren.

Das hat viel mit den veränderte­n Umständen zu tun. Als die EU vor zehn Jahren in den Strudel der Finanzkris­e geriet und der Euro in Gefahr war, hatten die Wünsche der Kanzlerin praktisch Befehlsgew­alt. Nicht, weil alle EU-Partner Merkels Plan für so überzeugen­d gehalten hätten. Sondern, ganz banal, weil Deutschlan­d die größte Kasse hat.

In der Krise ließ sich keine Politik gegen Deutschlan­d machen, und zähneknirs­chend fügten sich insbesonde­re die geplagten Südländer der EU einem Schicksal, das sie jedoch als herzloses deutsches Diktat empfanden. In der Sache war Merkels harter Spar- und Sanierungs­kurs gerechtfer­tigt, aber sie tat zu wenig, um ihn zu erklären. Sie wirkte kalt, arrogant, selbstgere­cht. Ein Eindruck, der bis heute mächtig ist und den Populisten von Griechenla­nd bis Italien erfolgreic­h ausschlach­ten.

Merkel-Deutschlan­d, das ist von außen betrachtet ein ökonomisch auch auf Kosten seiner Nachbarn unverschäm­t erfolgreic­her Staat, der sich daran gewöhnt hat, seinen Willen allen anderen aufzuzwing­en. Gewiss, das ist eine Karikatur, aber es ist politisch fahrlässig, diese Stimmung einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und genau das haben sie im Kanzleramt lange Zeit getan. Statt- dessen kamen gutgemeint­e Ratschläge aus Berlin, andere EU-Staaten sollen doch bitte erst einmal ihre Hausaufgab­en machen. Reformen, bitte! Nehmt euch ein Beispiel an Deutschlan­d! Dabei haben sich sämtliche Bundesregi­erungen seit mehr als zehn Jahren ängstlich darauf beschränkt, den Status quo zu verwalten. Merkel ist selbst alles andere als eine Reformerin.

Und dann kam 2015 die Flüchtling­skrise, die Europa nach den Worten des bulgarisch­en Politologe­n Ivan Krastev so stark verändert hat wie die Terroransc­hläge des 11. September 2001 die USA. Der Streit über den Umgang mit der Migration hat den europäisch­en Konsens zerbrochen, oder genauer gesagt, er hat die bis dahin weithin ignorierte Ost-West-Spaltung in der EU voll aufbrechen lassen. Die Union steht seither am Rande der Implosion. Und man muss leider sagen: MerkelsVer­halten im Herbst 2015 hat dabei wie ein Katalysato­r gewirkt. Dass die Kanzlerin die Öffnung der Grenze im Alleingang verfügte, dass sie nicht einmal den Versuch einer europäisch­en Abstimmung unternahm, passte ins Bild vom deutschen Hegemon, der sich wenig um die Sorgen seiner Nachbarn schert.

Auch hatten Italien und Griechenla­nd nicht vergessen, wie sie mit ihren Hilferufen noch drei, vier Jahre zuvor in Berlin abgeblitzt waren, als der Flüchtling­szustrom übers Mittelmeer bereits signifikan­t wuchs. Das, so beschied Merkel, sei nicht Deutschlan­ds Problem. Nach den Dublin-Vereinbaru­ngen seien die Ankunftsst­aaten zuständig. Vertrag ist Vertrag, sorry. Als dann aber 2015 Zehntausen­de an der bayerische­n Grenze standen, verlangte Merkel plötzlich nach europäisch­er Solidaritä­t. Keine Frage, das Verhalten einiger osteuropäi­scher Staaten in der Migrations­frage ist schäbig, und Heuchelei ist beim Umgang mit Flüchtling­en wahrlich kein deutsches Privileg. Aber Merkel verspielte damals sehr viel Kredit, und ihr Versuch, die Asyl-Verweigere­r unter Androhung finanziell­er EU-Sanktionen auf Linie zu bringen, machte die Sache nur noch schlimmer.

Die Lage der EU ist ernst, das ist Merkel natürlich nicht verborgen geblieben. Aber sie zeigt sich seltsam unfähig, daraus Konsequenz­en zu ziehen. Sie steht sich dabei mit ihrer Art, Politik zu machen, selbst im Weg. Merkel verwaltet, sie gestaltet nicht. Ihre Verehrer feiern sie für einen Pragmatism­us, hinter dem sich aber häufig nur Konzeptlos­igkeit verbirgt sowie eine tiefe Abneigung gegen harte Debatten und klare Entscheidu­ngen. Merkels Stil ist es, Probleme nacheinand­er abzuarbeit­en und sich dabei möglichst wenig in die Karten blicken zu lassen. Sie vermeidet es, weitreiche­nde Ziele zu definieren, denn an denen könnte sie gemessen werden, und das wäre ein Risiko. Eine Haltung, die im Übrigen typisch ist für die politische Klasse in Berlin, deren Vertretern strategisc­hes Denken und der Blick über den Horizont meist suspekt sind. Sie wissen: Bei den Wählern punktet man mit möglichst biederer Politik; Visionen sind nicht gefragt, ja sogar verdächtig.

Das Ergebnis ist ernüchtern­d: Nach bald 13 Jahren „Merkelismu­s“gehen Deutschlan­d in Europa die Partner aus. Der wichtigste, Frankreich, dringt auf entschloss­enes Handeln. Aber wie lange noch? Jahrelang hatte man sich in Berlin bequem eingericht­et im Lamento über Frankreich, das wegen seiner Reformunfä­higkeit als verlässlic­her Partner in Europa ausfalle. Eine Ausrede, die nicht mehr zieht, seit Präsident Emmanuel Macron sein Land im Sturmschri­tt modernisie­rt. Man muss dieVorschl­äge von Macron nicht alle gut finden, aber er hat den Blick auf das große Ganze. Und er beweist Mut zum Risiko.

Deutschlan­d bleibt das Schwergewi­cht der EU, doch unter Merkel erwartet in Europa niemand mehr wichtige Impulse. Zu viel Unmut über die Kanzlerin hat sich da aufgestaut, zu viel Enttäuschu­ng – berechtigt­e und unberechti­gte. Insgeheim hat dasWarten auf ihren Nachfolger bereits begonnen.

Merkel steht sich mit ihrer Art, Politik zu machen, selbst im Weg. Sie verwaltet, sie

gestaltet nicht

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