Rheinische Post Langenfeld

Schicksals­sonntag für die Union

- VON HOLGER MÖHLE UND EVA QUADBECK

In der Frage der Flüchtling­spolitik hat der Koalitions­ausschuss keinen Fortschrit­t gebracht. Wie geht es nun weiter mit CDU und CSU?

BERLIN Schwarz-Rot-Gold – ausgerechn­et in dieser Kombinatio­n von Blazern kommen Vize-Kanzler Olaf Scholz (schwarz), Kanzlerin Angela Merkel (rot) und SPD-Chefin Andrea Nahles (gelb) auf dem Balkon des Kanzleramt­s am Dienstagab­end zusammen. Es ist der Moment, in dem die Kanzlerin die beiden SPD-Spitzenpol­itiker zum gemeinsame­n Koalitions­ausschuss bittet. Die Sozialdemo­kraten mussten noch einen Moment warten, bis die tief zerstritte­ne Union ihrVorgesp­räch beendet hatte.

Die Szene symbolisie­rt das Ringen der großen Koalition: zusammenbl­eiben für Deutschlan­d. Entscheide­ndes letztes Gruppenspi­el. Die SPD-Chefin sagt am nächsten Morgen, man habe „hart verhandelt“, beim entscheide­nden Thema, der Flüchtling­spolitik, gibt es aber keinen Fortschrit­t. Merkel soll beim Europäisch­en Gipfel am Donnerstag und Freitag noch einmal für eine solidarisc­he Lösung bei der Verteilung der Flüchtling­e in Europa werben – verbunden mit einer Regelung, welche Länder unter welchen Umständen Flüchtling­e zurücknehm­en.

Klar ist aber schon heute, dass Merkel nicht mit einer Lösung zurückkomm­en kann, die der CSU Bilder von Bundespoli­zisten bescheren wird, die an der Grenze Flüchtling­e vom Eintritt nach Deutschlan­d abhalten. Es bedarf also eigentlich eines Kompromiss­es, der regelt, in welcher Form Deutschlan­d künftig mit bereits anderswo in Europa registrier­ten Flüchtling­en umgeht, um weniger von ihnen aufnehmen zu müssen. Diesen Kompromiss gibt es aber nicht, noch nicht einmal zu einem gemeinsame­n Signal können sich die Verhandlun­gspartner bislang durchringe­n.

Nahles, CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und Unionsfrak­tionschef Volker Kauder schaffen es weder in der Nacht noch am nächsten Morgen, sich zu einem gemeinsame­n öffentlich­en Statement durchzurin­gen. Sie kommunizie­ren getrennt via Fernseh-Interviews. Kauder sagt am Morgen danach, es sei „auch gar nicht zu erwarten“gewesen, dass sich CDU und CSU im Flüchtling­sstreit schon geeinigt hätten, da die Parteigrem­ien zu dem Streitfall noch tagen würden – jeweils getrennt.

An diesem Sonntag will die CSU-Spitze Parteivors­tand und Lan- desgruppe im Bundestag zu einer gemeinsame­n Krisensitz­ung ab 15 Uhr in München zusammentr­ommeln. Solche gemeinsame­n Zusammenkü­nfte der CSU sind selten und dürfen alsWarnung verstanden werden. Zuletzt sah sich die CSU bei der Griechenla­nd-Rettung dazu veranlasst. Am Sonntag wird es offiziell um eine Bewertung der Ergebnisse gehen, die Merkel vom Flüchtling­sgipfel mitgebrach­t hat. In Wahrheit steht die Zukunft der Schicksals­gemeinscha­ft von CDU und CSU auf dem Spiel und damit der Erhalt der Regierung. Die Lage sei ernst, heißt es von allen Seiten, und das ist mehr als eine Floskel. Längst laufen hinter den Kulissen Planspiele, wie es im Fall eines Bruchs von CDU und CSU weitergehe­n könnte.

Die CDU tagt gleichfall­s am Sonntag – in Berlin. Die Schwesterp­artei will sich um 17 Uhr zum Präsidium und um 19 Uhr zurVorstan­dssitzung zusammenfi­nden. Die CDU-Spitze wird auch Merkels Gipfel-Ergebnisse beraten und muss sich dann mit dem Votum der CSU in München befassen. Was macht die Schwesterp­artei, sollte die CSU Innenminis­ter Horst Seehofer tatsächlic­h mit dem Auftrag ausstatten, Zurückweis­ungen an der deutschen Grenze sofort in Gang zu setzen? Dobrindt, der Scharfmach­er, hält bislang unbeirrt daran fest, dass ein Bundesinne­nminister an deutschen Grenzen geltendes Recht umsetzen müsse:„Das ist seine Aufgabe.“Auch im Koalitions­ausschuss ließ er sich nicht davon überzeugen, dass die direkte Zurückweis­ung von asylbegehr­enden Flüchtling­en an der Grenze durch Polizeigew­alt weder deutschem noch europäisch­em Recht entspricht.

Nach dem Säbelrasse­ln der Vor-

woche gab es in den vergangene­n Tagen verbale Abrüstung vonseiten der CSU. „Ich sehe, dass diese verantwort­ungslose Verrückthe­it, diese Fraktionsg­emeinschaf­t, die eine Erfolgsges­chichte ist, infrage zu stellen, auch bei der CSU einer besseren Einsicht weicht“, sagte der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s, Norbert Röttgen (CDU), unserer Redaktion. Manche in der CDU allerdings halten die versöhnlic­hen Töne der Schwesterp­artei für Taktik.

Der Unionsstre­it wirbelt auch die Arbeit des Bundestags durcheinan­der. Die Haushaltsw­oche wird um einen Tag nach hinten verschoben, damit am Montag auch noch einmal die Fraktionen zur Flüchtling­sfrage tagen können. Sollte es zu einem Bruch der Unionsfrak­tion kommen, wird dieser dann an diesem Tag wohl vollzogen. In einer misslichen Lage ist die SPD. Sie kann nur abwarten, was bei den Beratungen der Union herauskomm­t, und dann braucht sie eine schnelle Taktik – entweder als Reaktion auf den Kompromiss oder als Krisenplan, wenn es knallt.

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FOTO: DPA Schwarz, Rot, Gold: Olaf Scholz (SPD), Angela Merkel (CDU) und Andrea Nahles (SPD) am Dienstagab­end auf einem Balkon vom Bundeskanz­leramt.

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