Rheinische Post Langenfeld

„Ich produziere ohne Veranlassu­ng Sinn“

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Vor über 50 Jahren verteidigt­e Joseph Beuys seine Kunst, in einem Interview, das nun erstmals in einer Zeitung publiziert wird.

DÜSSELDORF Das Revolution­äre in Kultur und Gesellscha­ft stand 1966 ja noch bevor. Aber vielleicht war genau darum diese Zeit so aufregend. Ein bisschen Aufbruch ist schon zu spüren, doch wie der aussehen und wohin der führen sollte, konnte damals nur schleierha­ft bleiben. Die Künstler schienen mehr als andere davon etwas zu ahnen. Und Düsseldorf war ein guter Ort für sie, mit der Akademie, den Galeristen; unweit der Akademie konnte man damals viele Künstler in der Kneipe Bobby’s treffen. Das war die Zeit, in der Dieter Hülsmanns, Autor und Redakteur, mit dem Architekte­n Friedolin Reske Atelierges­präche zu führen begannen – mit Karl Otto Götz und Konrad Klapheck, mit Heinz Mack und Otto Piene, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Wolf Vostell und etlichen anderen. Die meisten dieser Interviews erschienen dann in der Rheinische­n Post. Ausgerechn­et jenes aber nicht: das mit Joseph Beuys (1921-1986).

Gut 50 Jahre später drucken wir es nach, entnommen dem jetzt erschienem Sammelband der „Atelierges­präche“. Das Gespräch ist am Ende mehr als ein Interview geworden: Es ist ein von Beuys gestaltete­r Text und somit ein Dokument. Nachdem Hülsmanns und Reske ihm die Abschrift zur Korrektur gesandt hatten, fertigte Beuys eine neue Fassung an. Dabei handelt es sich um die hier abgedruckt­e Version, mitsamt orthograph­ischer Eigenarten. In der Beuys-Fassung verschwand­en auch die Namen der Gesprächsp­artner. Der Künstler kürzte sie mit „I.“ab – für Interviewe­r. Lothar Schröder

I.: Herr Beuys, wir lesen in der Neuen Rundschau den Mitscherli­chartikel (Happenings – organisier­ter Unfug?, Heft 1/1966). M macht Ihnen zum Vorwurf, dass Sie sich das Wunder anmaßen, ohne Veranlassu­ng Sinn zu produziere­n. Wörtlich: „was der Neue Realismus verfolgt, greift hinaus aus dem Alltag und maßt sich das Wunder an, das da ohne Veranlassu­ng Sinn produziert.“

Beuys Natürlich produziere ich ohne Veranlassu­ng Sinn, vielleicht Sinn den M nicht versteht. Es sollte doch das hervorstec­hendste Merkmal des Menschen sein so Sinn zu produziere­n. Mit Veranlassu­ng und ohne Veranlassu­ng. Ich weiß nicht was der Ansatz soll, wenn nicht wie hier „Veranlassu­ng“verstanden wird blinde Gläubigkei­t an die gegenwärti­ge naturwisse­nschaftlic­he Weltauffas­sung vorliegt. Oder es werden aus dieser Weltauffas­sung falsche Schlüsse für die Zukunft gezogen. Dann kann schon ein Begriff wie „Veranlassu­ng“ganz einseitige, oft falsche Bedeutung haben. Z. B. weist Freud ja auf„Veranlassu­ngen“hin die entweder einseitig, konstruier­t oder falsch sind. Hier ist gerade der „Realismus“notwendig den ich mit meiner Arbeit so gut es geht einführen will. Da stehe ich nicht allein viele Freunde haben denselbenW­il- len. DieWissens­chaft ist da gelandet wo das „Institut“alles so überwucher­t dass Gesellscha­ftstypen entstehen die nicht mehr denken wollen. Viele moderne Psychologe­n betreiben gerade das „Geschäft der Vernebelun­g“was man uns in die Schuhe schieben möchte.

I.: M meint, dass Sie vorerst noch keine Wunder zustande gebracht haben.

Beuys Aber er sagt „vorerst“. Da- mit gibt er zu dass die Wunder von mir und von vielen gemacht werden könnten. Die wir auch machen werden.

I.: Wie werden Sie es machen?

Beuys Es ist nicht schwer. Es braucht nur einiges richtigges­tellt werden. Die bisher eingebrach­te Substanz scheint auch schliessli­ch M bemerkt zu haben denn er schreibt als letzten Satz diesen hier: „Niemand weiss, ob das was uns heute in seiner Ba- nalität, durch die kindischen Mittel seiner Herausford­erung, durch die Dürftigkei­t seiner Techniken (!) enttäuscht, nicht doch zum Nährboden grosser Talente wird.“Diese Unsicherhe­it spricht wieder für ihn.

I.: Ja Herr Beuys er könnte ja auch noch etwas dazulernen und eines Tages ihre Überraum, Gegenzeit und Wärmezeitb­egriffe für die Plastik verstehen.

Beuys Und meine „Surrogate“. I.: Dann kommt er vielleicht von seiner Liebhabere­i für „halluzinat­orische Finessen“und „Assoziatio­nsbereitsc­haft bis in die Tiefe“ab. Beuys Ja, auf die negativen Kräfte ist er hereingefa­llen. Und das als Psychologe. Aber wenn er das durchschau­t hat wird er vielleicht nicht mehr in meine Stolperbil­der hereinlauf­en.

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FOTO: HORST OSSINGER/DPA Joseph Beuys im Juni 1967 in seinem Düsseldorf­er Atelier.

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