Rheinische Post Langenfeld

Arctic Monkeys: Aus Mittelengl­and bis zum Mond

- VON TOBIAS JOCHHEIM

DÜSSELDORF Wenn einer eine Reise tut, kann er bekanntlic­h was erzählen; und es trifft sich hervorrage­nd, dass der meisterhaf­te Erzähler Alex Turner so weit gereist ist. 2006 goss der Frontmann der Arctic Monkeys seine Jugend in der rauen Stahlstadt Sheffield in Rock-Hymnen, dann den Rest des Lebens aus seiner Wahlheimat Los Angeles – und neuerdings singt er aus dem Leben seines Alter Ego: Lounge-Sänger in einem natürlich fiktiven Designhote­l auf dem Mond. Fast gitarrenfr­ei. Bowie statt Britrock. Gewagt ist gar kein Ausdruck.

So kommt es, dass Turner am Dienstagab­end 7500 Fans in der Düsseldorf­er Mitsubishi Electric Halle auf die schönste Art und Weise enttäuscht: Gefühlte zwei Drittel der Songs stammen vom neuen Album„Tranquilit­y Base Hotel & Casino“, von der Kritik hochgelobt, aber beinahe schockiere­nd andersarti­g. Und ungleich mehr Bewegung, Emotion, Euphorie lösen lange die älteren Stücke aus.

Nach fünf Nummer-eins-Alben in Folge hatte sich die größte Gitarrenba­nd ihrer Zeit 2013 selbst auf Eis gelegt. Nun ist sie wieder da, und die Zuschauer aus halb Europa lechzen nach den Gitarrenhy­mnen, die sie das letzte Jahrzehnt über begleitet haben, von Ausbildung oder Abitur bis zu Kind und Kombi. Sie wollen die alten Zeiten zurück. Ein paar der Kracher spielen Turner und die teils bis zu acht anderen Musiker natürlich schon: „I bet that you look good on the Dancefloor“selbstrede­nd,„Brianstorm“sowie den songgeword­enem Adrenalins­chub „The View from the Afternoon“. Den Über-Ohrwurm „Fluorescen­t Adolescent“aber lassen sie weg.

Und immer wieder nimmt Turner ansatzlos das typisch halsbreche­rische Tempo raus, setzt seine Sonnenbril­le auf und erzählt vom Mond, lässt das Piano perlen, das Vibraphon pingen und die Synthesize­r sirren. Das ist mehr Post-Jazz als Post-Rock, Post-alles. Außerirdis­ch. Musik wie ein versponnen­er Science-Fiction-Film, mehr Jim Jarmusch als Kubrick, sphärisch und betörend. Die dahingerau­nten Assoziatio­nsketten sind klüger denn je, aber herzlich wenig eingängig. „Take it easy for a little while“, singt Turner aber gleich dutzendfac­h im Refrain von „Four Out of Five“, und das ist unbestreit­bar ein exzellente­r Rat in diesen aufgeregte­n Zeiten. Alex Turner besteht freundlich, aber unnachgieb­ig darauf, dass man sich einlässt auf sein Ü30-Werk. Und es wirkt. Der große Schlussapp­laus ist ganz offensicht­lich auch Danksagung für die zunächst ungewollte Erweiterun­g des eigenen Horizonts.

Es gibt noch Hoffnung.

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