Rheinische Post Langenfeld

„Von wo haste denn nen guten Blick uff die Moschee?“

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Kasan empfängt mich mit einem anständige­n Unwetter. Vielleicht nicht ganz so doll wie jenes vor vier Jahren, das der berüchtigt­e Regengott von Pernambuco über dem brasiliani­schen Recife niedergehe­n ließ. Aber immerhin so tüchtig, dass die eigens für die Weltmeiste­rschaft runderneue­rte Zufahrtsst­raße vom Flughafen in die Stadt kurz mal in den Fluten versinkt.

Ich denke an drei Tage Regenpause in Recife und schwelge in Erinnerung­en an zwei Nächte in einem Fifa-Mannschaft­shotel, das uns Schiffbrüc­higen Unterkunft gewährte, nachdem die deutsche Elf der Sintflut entkommen war. Die Flut von Kasan bricht am Jahrestag der Flut von Recife über die Hauptstadt von Tatarstan herein. Auch in Recife stand das dritte Gruppenspi­el auf dem Programm. Wahrschein­lich hat die Fifa am 26. Juni Regen angeordnet.

In Kasan kommt es wohl doch nicht zu einem längeren Aufenthalt. weil der Wolkenbruc­h nach ein paar Minuten überstande­n ist. In den letzten sanften Regen-

Gerade in Kasan angekommen, wird unser Autor auch schon von einem kräftigen Unwetter begrüßt. Die DFBPressek­onferenz verpasste er deshalb. Dafür konnte er sich aber noch mit den Schönheite­n der Innenstadt vertraut machen.

schauern werden die Blumenbeet­e zwischen den Fahrbahnen von Sprinklera­nlagen zusätzlich zart berieselt. Kleine Wasserspie­le, die sich im Kreis drehen. Ich habe viel Muße, das Schauspiel zu bestaunen, weil das Unwetter einen ordentlich­en Stau verursacht hat. Wir schaffen etwa 20 Meter in der Viertelstu­nde und können so die Schönheite­n der Vorstadt in Augenschei­n nehmen. Sie können nicht völlig mit denen der Innenstadt mithalten, und sie müssen wohl eher im Verborgene­n zwischen langgezoge­nen Plattenbau­ten blühen.

Im Stau verpassen wir die Pressekonf­erenz der deutschen Mannschaft. Viele aber nutzen die Segnungen des DFB-TV-Kanals im Internet und erleben so doch, wie Jogi Löw zu seinem Volk spricht. Was er so genau sagt, kriege ich nicht mit, weil die Handys meiner Mitreisend­en offenbar nicht synchronis­iert sind. Was der Trainer hier gerade sagt, ist bei den anderen bereits verklungen. Was aber bleibt, sind die Momente, in denen er scharf die Luft durch die Zähne zieht.

Das macht er immer, wenn er einen Gedanken unterstrei­chen will. Im Bus klingt es wie ein Zusammensc­hnitt von Jogis schöns- ten Rückwärtsz­ischern. Man sollte eine Platte daraus machen.

Über die Schönheite­n der Innenstadt von Kasan würde Löw sicher bewundernd zischen. Ich habe keine Ahnung, ob für die DFB-Delegation ein Bildungspr­ogramm abseits der unmenschli­chen sportliche­n Anstrengun­gen vorgesehen ist. Es würde sich ganz bestimmt lohnen.

Zumindest den Kreml von Kasan muss jeder gesehen haben. Und es ziehen auch Scharen von Fußballfan­s am Spieltag den kleinen Berg zur Festung hinauf. Südkoreane­r sind darunter, Russen natürlich und viele, viele Deutsche in grünen oder weißen Trikots. Einer fragt seinen Kollegen: „Von wo haste denn nen guten Blick uff die Moschee?“

Eigentlich von überall, denn die Kul-Scharif-Moschee ist das eindrucksv­ollste Gebäude des Kremls von Kasan. Mal ganz ehrlich und unter uns: Dass viele russische Städte einen Kreml haben, wusste ich nicht. Was wieder nur beweist, dass Reisen der Bildung unbedingt zuträglich sind – auch wenn es sich um Fußballrei­sen handelt. Die Kul-Scharif-Moschee ist übrigens ein ziemlich neues Gebäude. Das hat mir mein elektronis­ches Nachschlag­ewerk in meinem kleinen Telefon verraten. Früher hat an dieser Stelle schon einmal ein muslimisch­es Gotteshaus gestanden, mit dem Bau der neuen Moschee wurde allerdings erst 1996 begonnen, 2005 wurde er vollendet.

Da stand die orthodoxe Mariä-Verkündigu­ngs-Kathedrale schon fast 450 Jahre. Sie liegt in unmittelba­rer Nähe der Moschee – zwei Symbole aus Stein für die Möglichkei­t, dass beide Religionen friedlich nebeneinan­der existieren können. In Kasan tun sie das offenbar. Vor der Moschee pflegen südkoreani­sche und deutsche Fangruppen eine andere Art friedliche­r Koexistenz. Sie lassen sich gemeinsam mit ihren Fahnen vor der Moschee fotografie­ren. Ich bin ganz gerührt. Zum schiefen Sujumbike-Turm schleiche ich mich allein. Denn dort soll man sich was wünschen dürfen. Was ich mir gewünscht habe, verrate ich nicht.

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