Rheinische Post Langenfeld

BGH stärkt die Lebensvers­icherer

- VON UWE SCHMIDT-KASPAREK

Die Anbieter müssen kurzfristi­ge Kursgewinn­e nach einem Urteil des obersten deutschen Berufungsg­erichts nicht mehr voll an ihre Kunden weiterreic­hen, wenn sie das überforder­n würde. Aber sie müssen das begründen können.

DÜSSELDORF Lebensvers­icherer dürfen stille Reserven kürzen. Das hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) entschiede­n (Aktenzeich­en IV ZR 201/17). Die Unternehme­n müssen aber nachvollzi­ehbar für die Kunden beweisen, dass vorgenomme­ne Kürzungen aufgrund der aktuellen wirtschaft­lichen Lage des jeweiligen Versichere­rs berechtigt sind. Diese Streitfrag­e hatte das Landgerich­t Düsseldorf nicht geklärt. Daher hat der BGH dasVerfahr­en gegen das Lebensvers­icherungsr­eformgeset­z (LVRG) an das Gericht zurückverw­iesen. Der Streit dürfte somit weitergehe­n. Dafür will zudem der Bund derVersich­erten (BdV) sorgen. Er hatte die Klage vor dem BGH für ein Mitglied angestreng­t.

„Das Gesetz ist nicht fair und enteignet die Kunden“, sagte BdV-Chef Axel Kleinlein in einer ersten Stellungna­hme gegenüber der Rheinische­n Post. Der BdV will daher bis zum Bundesverf­assungsger­icht gehen. Nach Einschätzu­ng des Versicheru­ngsmathema­tikers Kleinlein hätten sich die Versichere­r mit hohen Garantien verkalkuli­ert und wollten nun für diesen Fehler nicht geradesteh­en. Im vom BdV angestreng­ten Verfahren war ein aus- scheidende­r Kunde deutlich geringer an den stillen Reserven beteiligt worden, als die zum Düsseldorf­er Ergo-Konzern gehörende Victoria Lebensvers­icherung versproche­n hatte. Statt wie angekündig­t 50.274 Euro waren lediglich 47.602 Euro ausgezahlt worden. Nach der neuen Berechnung­smethode wurden die stillen Reserven um 2672 Euro gekürzt.

Solche Kürzungen aufgrund des 2014 in Kraft getretenen LVRG hält der BGH für verfassung­sgemäß und verhältnis­mäßig. So erreichte das Gesetz sein Ziel, das für alle Kunden die Garantien erfüllbar bleiben. Einzelne Kunden müssten daher die für sie persönlich oft harte Kürzung hinnehmen. Immerhin sehe die Reform vor, dass die Kunden zum Ausgleich heute zu 90 statt zu 75 Prozent an Risikoüber­schüssen der Versichere­r beteiligt würden. Außerdem soll das Gesetz zu einer Senkung der Abschlussk­osten bei Lebensvers­icherungen führen.

Eingeführt wurde das LVRG, um die Garantieve­rpflichtun­gen für alle Kunden nicht zu gefährden. Grund für diese Gefahr ist die lang anhaltende Zinsflaute am Kapitalmar­kt. Sie führt dazu, dass stille Reserven auf festverzin­sliche Anlagen deutlich steigen. Bei sinken- den Zinsen liegt der Marktpreis oft erheblich über dem Kaufpreis. Lebensvers­icherer halten überwiegen­d festverzin­sliche Wertpapier­e wie Staatsanle­ihen oder Pfandbrief­e. „Stille Reserven auf Zinspapier­e lösen sich bis zum Ablauf der Papiere automatisc­h wieder auf. Sie führen nicht dazu, dass die Erträge auch nur um einen Cent höher ausfallen“, erläutert die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin). Das neue Recht soll verhindern, dass Lebensvers­icherer ihr „Tafelsilbe­r“frühzeitig verkaufen müssen, um die Kunden an den Reserven zu beteiligen. Damit könnten die Garantien anderer Kunden gefährdet werden.

Auch unter dem neuen Recht müssen die Kunden zur Hälfte an den stillen Reserven von festverzin­slichen Wertpapier­en beteiligt werden. Dies gilt aber nur, wenn die Summe der stillen Reserven höher ausfällt als die gesamten Garantieve­rpflichtun­gen der jeweiligen Assekuranz. Jeder Lebensvers­icherer muss dafür einen sogenannte­n Sicherungs­bedarf ermitteln und ihn den stillen Reserven gegenübers­tellen. Nach Meinung des BGH muss diese Berechnung den Kunden nachvollzi­ehbar dargelegt werden, damit sie prüfen können, ob Kürzungen rechtmäßig sind. „Wie die Versichere­r das bewerkstel­ligen wollen, ist mir schleierha­ft“, so Kleinlein. So schwanken Reserven und Sicherungs­bedarf sehr stark. Genaue Angaben zu diesen Zahlen seien bisher in den Kundeninfo­rmationen nicht vorgesehen.

Die Lebensvers­icherer stehen weiterhin unter Druck. Die Überschüss­e sinken seit Jahren. Bis Ende 2017 musste die Branche laut der Rating-Agentur Assekurata rund 60 Milliarden Euro extra zurücklege­n, um künftige Auszahlung­en zu stemmen. Anlass für Zweifel an der Stabilität der Lebensvers­icherer gibt es hingegen laut dem Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) keinen Anlass. „Alle Lebensvers­icherer können die gesetzlich­en Vorgaben der Aufsicht erfüllen“, sagte ein Sprecher.

Die Bundesregi­erung will ihnen trotzdem helfen. Die Lebensvers­icherer sollen nach den Vorstellun­gen der Koalition künftig weniger Geld für die Folgen der Dauer-Niedrigzin­sen zurücklege­n müssen. Die Zinszusatz­reserve (ZZR), die branchenwe­it binnen sechs Jahren auf 60 Milliarden Euro angeschwol­len ist, soll langsamer aufgestock­t werden. Das geht aus einem Evaluierun­gsbericht des Bundesfina­nzminister­iums hervor, der im Finanzauss­chuss des Bundestags beraten wurde. Zugleich will das Ministeriu­m die Provisione­n, die die Vermittler für den Abschluss von Lebensvers­icherungen bekommen, gesetzlich begrenzen.

34 von 87 deutschen Lebensvers­icherern stehen derzeit unter verschärft­er Beobachtun­g der Finanzaufs­icht Bafin, weil sie nach deren Einschätzu­ng „mittel- bis langfristi­g finanziell­e Schwierigk­eiten haben könnten“30 Lebensvers­icherer dürfen an ihre Eigentümer keine Dividende ausschütte­n, für 33 weitere muss im Notfall ein finanzkräf­tiger Mutterkonz­ern einspringe­n.

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