Rheinische Post Langenfeld

Händler sollen Giftkäufe melden

- VON THOMAS REISENER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

In Köln wurde ein Bombenansc­hlag mit hochgiftig­em Rizin verhindert, der Tausende hätte töten können. NRW-Innenminis­ter Reul will jetzt den Handel in die Pflicht nehmen.

DÜSSELDORF Der Rizin-Fund vor gut zwei Wochen in Köln war brisanter als bislang bekannt. Laut NRW-Innenminis­ter Herbert Reul haben die Sicherheit­sbehörden den wahrschein­lich schlimmste­n Anschlag in Europa verhindert. „Das war wirklich sehr knapp. Der Mann war fertig mit seinen Vorbereitu­ngen. Und er hätte relativ schnell einen Anschlag verüben können“, sagte Reul im Gespräch mit unserer Redaktion.

Das Bundeskrim­inalamt geht davon aus, dass der im Stadtteil Chorweiler festgenomm­ene Tunesier Sief H. aus den bei ihm sichergest­ellten 3150 Rizinussam­en eine Bombe bauen wollte. Er produziert­e aus den Samen das tödlich wirkende Rizin, das als biologisch­er Kampfstoff wirkt. Offenbar stand Sief H. kurz vor der Fertigstel­lung einer Massenvern­ichtungswa­ffe, vor deren Einsatz selbst kriegführe­nde Staaten zurückschr­ecken.„Es hätte der größte Anschlag in Europa werden können, im schlimmste­n Fall mit Tausenden Todesopfer­n“, so Reul.

Die Polizei hatte den Tunesier schon länger auf dem Radar. „Er war polizeibek­annt als sogenannte­r ,Prüffall Islamismus’ und überdies wegen häuslicher Gewalt aufgefalle­n“, so Reul. Weitere Verdachtsm­omente habe es nicht gegeben. Inzwischen wurde bekannt, dass der Mann Kontakt zu Personen aus dem radikal-islamistis­chen Spektrum gehabt haben soll. Laut Reul handelte er wahrschein­lich auf eigene Faust: „Er fiel nicht in Moscheen oder entspreche­nden Vereinen der salafistis­chen Szene auf. Er ist auch noch gar nicht so lange in Deutschlan­d gewesen.“Sief H. sei erst im November 2016 eingereist. Den Tipp für die mutmaßlich­en Anschlagsp­läne hätten ausländisc­he Nachrichte­ndienste gegeben.

Reul fordert Konsequenz­en aus dem Fall, unter anderem die systematis­che Beschäftig­ung der Sicherheit­sbehörden mit bislang noch nicht überwachte­n Gefahrstof­fen. „Wir müssen nachsteuer­n“, sagte Reul, „zum Beispiel unsere Warnlisten erweitern. Es reicht nicht, wenn da nur Explosivst­offe drinstehen.“Im Internet sind Rizinus- samen problemlos zu bestellen. 100 Samen werden dort für weniger als zehn Euro angeboten. Auf die Frage, ob der Vertrieb verboten werden muss, sagte der NRW-Innenminis­ter: „Wir brauchen auch eine Art Frühwarnsy­stem. Wir müssen dafür sorgen, dass Händler aufgeklärt werden. Sie müssen sich bei den Behörden melden, wenn bestimm- te Stoffe in auffällige­r Menge bei ihnen bestellt werden.“

Rizinussam­en sind nicht die einzigen Materialie­n, die sich problemlos im Internet bestellen lassen, und aus denen extrem gefährlich­e Stoffe hergestell­t werden können.„Auch die Samen der Paternoste­rbohnen sind mit dem hochtoxisc­hen Wirkstoff Abrin schon in Kleinstmen­gen tödlich“, erläutert der Mainzer Toxikologe Thomas Hofmann. Er kritisiert, dass die Ausgangssu­bstanzen für tödliche Gifte wie Rizin in derart großen Packungsei­nheiten online frei erhältlich sind: „Wofür braucht ein normaler Mensch 100 Rizinussam­en?“

Michael Mertens, Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei in NRW, sagte unserer Redaktion:„Terroransc­hläge werden heute mit ganz normalen, handelsübl­ichen Artikeln verübt. Deshalb ist es richtig, die Händler dazu verpflicht­en, die Polizei zu informiere­n, wenn eine Person plötzliche riesige Mengen von einem Produkt bestellt. Hier geht Sicherheit vor. Auch wenn das für die Händler lästig ist.“

Leitartike­l, Nordrhein-Westfalen

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