Ein Glücksfall für Nordrhein-Westfalen
GASTBEITRAG Zum 60.Todestag von Karl Arnold würdigt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet den Gewerkschafter, CDU-Politiker, Oberbürgermeister von Düsseldorf und ersten frei gewählten Ministerpräsidenten.
Heute jährt sich der Todestag Karl Arnolds zum 60. Mal. Doch auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem tragischen und viel zu frühen Tod ist dieser Mann in Nordrhein-Westfalen unvergessen. Doch wie ist das Faszinosum zu erklären, welches von dem Menschen und Politiker Karl Arnold ausgeht und das ihm nicht nur im Gedächtnis, sondern auch in den Herzen vieler Bürgerinnen und Bürger des Landes an Rhein und Ruhr einen festen Platz verschafft hat?
Das politische Programm Karl Arnolds kann man mit drei Begriffen zusammenfassend beschreiben: christlich, sozial und europäisch. Geboren am 21. März 1901 in Oberschwaben gelangte Arnold über die christliche Gewerkschaftsarbeit nach Düsseldorf und über die katholische Zentrumspartei in die Kommunalpolitik. In der dunklen Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, die 1933 begann, büßte er Mandat und Beruf ein, aber nicht die Freiheit.
Eines war Arnold und seinen Gesinnungsfreunden schon vor dem Kriegsende klar: Ein wie auch immer aussehendes Nachkriegsdeutschland wird entweder demokratisch und auf christlicher Wertegrundlage sozial sein, oder es wird keine Zukunft haben. Die Idee des freiheitlichen, einigen, sich auf seine gemeinsame abendländische Kulturtradition besinnenden Europas als Antwort auf die nationalsozialistische Barbarei mit ihrer Entwertung aller menschlichen Werte, ihrer totalen Negation von Menschenwürde, Religion und Gerechtigkeit, ihrem Rassenhass und chauvinistischen Größenwahn war die dritte wesentliche Komponente, die 1945 das politische Weltbild Karl Arnolds vervollständigen sollte.
Arnold organisierte im Sommer 1945 das neue parteipolitische Leben in Düsseldorf. Er wusste, ohne lebendige Parteien ist wahre Demokratie nicht möglich. Aus dieser Erkenntnis heraus engagierte er sich bei der Gründung einer neuen demokratischen Partei auf christlicher Grundlage: der CDU. Als ihr Chef wurde er Anfang 1946 vom Stadtrat nahezu einstimmig zum Oberbürgermeister gewählt. Nur ein Jahr später war er, nach erbittertem Ringen um die Macht auch innerhalb der CDU, der erste frei gewählte Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens.
„Karl Arnold ist zu verdanken, dass die CDU nicht nur eine rein bürgerlich-konservative Partei geworden ist“, schrieb der ehemalige bayerische Landtagspräsident Alois Glück im Frühjahr 2001 in der „Süddeutschen Zeitung“. Der bedeutende Repräsentant des deutschen Sozialkatholizismus gab den einfachen Leuten in der Union Gewicht und Stimme. Arnold war, obwohl ein Mann der Grundsätze, kein Ideologe. Nach der Überwindung immenser Herausforderungen und Probleme ging es in und mit Nordrhein-Westfalen am Ende von Arnolds erster Amtszeit spürbar bergauf. Die Menschen im Lande belohnten den Ministerpräsidenten bei der zweiten Landtagswahl mit einem klarenVertrauensbeweis. Er wurde wiederum mit der Regierungsbildung beauftragt. In seiner Regierungserklärung vom 21. September 1950 sprach der Ministerpräsident den legendären, richtungweisenden Satz: „Das Land Nordrhein-Westfalen will und wird das soziale Gewissen der Bundesrepublik sein.“Das war keine pathetische Phrase. Arnold meinte es ernst. Die paritätische Mitbestimmung und die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand durch Eigentumsbeteiligung an den Unternehmen sind praktische Beispiele seines unermüdlichen sozialpolitischen Wirkens.
Karl Arnold war nicht nur ein leidenschaftlicher Patriot und überzeugter Föderalist. Er war auch ein deutscher Europäer und ein europäischer Deutscher. Und er zählte zu den ersten, die die Notwendigkeit einer westeuropäischen Staatengemeinschaft erkannt haben. In seiner Neujahrsansprache 1949, die Bundesrepublik war noch gar nicht gegründet, unterbreitete der nordrhein-westfälische Ministerpräsident den unerhörten Vorschlag der Gründung eines völkerrechtlichen wirtschaftlichen Zweckverbandes zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg. Sein Montanplan stieß zunächst im In- und Ausland auf Skepsis, ja Ablehnung. Aber irgendwann setzt sich eine gute Idee durch. Der französische Außenminister Robert Schuman griff schon bald denVorstoß des Düsseldorfer Regierungschefs auf und baute ihn aus zu seinem berühmten „Schuman-Plan“. Karl Arnold handelte dabei nicht aus bloßer Berechnung. Die europäische Aussöhnung, die Bildung einer echtenWertegemeinschaft, die Frieden, Freiheit und Wohlstand für die Völker Europas bringen sollte, waren sein Anliegen. Ihm ist aber auch die Erkenntnis zu verdanken, dass europäischer Idealismus und praktischer politischer Erfolg keine Gegensätze bilden müssen. Nordrhein-Westfalen profitierte von der Montanunion in den 1950er Jahren, und es profitiert heute vom gemeinsamen europäischen Markt. Karl Arnold war ein idealistischer Realist mit Visionen. Der Tod riss ihn am 29. Juni 1958 mitten aus seinem Schaffen und ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo er, der zwei Jahre zuvor durch ein eigentlich gegen Bonn gerichtetes Misstrauensvotum des Landtags gestürzt worden war, kurz vor einem glanzvollen Comeback als Ministerpräsident stand.
Karl Arnold war ohne Zweifel ein Glücksfall für Nordrhein-Westfalen. Dieses Glück bestand in einer auf den sozialen Zusammenhalt hin ausgerichteten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, in der von ihm definierten konstruktiven Rolle des Landes als selbst-, aber auch verantwortungsbewusster Gliedstaat innerhalb des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik und in der von ihm visionär erkannten Notwendigkeit einer engen Verzahnung und Verankerung Nordrhein-Westfalens in der europäischenWerte- und Staatengemeinschaft. Dies ist sein Vermächtnis. Der Kabinettstisch, an dem in seiner Zeit wichtige Entscheidungen fielen, ist heute wieder der Kabinettstisch der Landesregierung in der Staatskanzlei am Rhein. Wenn wir klug handeln, werden wir Arnolds Erbe bewahren und in der Welt des 21. Jahrhunderts weiterführen.
Das politische Programm Karl Arnolds war christlich, sozial und
europäisch