Rheinische Post Langenfeld

Einfach weiterguck­en

- VON GIANNI COSTA, BERND JOLITZ, PATRICK SCHERER UND ADRIAN TERHORST

Deutschlan­d ist raus. Na und? Hier sind elf Gründe, warum es sich lohnt, trotzdem noch Fußball zu schauen.

DÜSSELDORF Es gibt so viele gute Gründe, warum die WM auch ohne deutsche Beteiligun­g sehenswert ist. Wir listen elf auf:

1. Weil man sich wunderbar über Neymar aufregen kann. Ob er nun gerade wieder schimpft, weint oder theatralis­ch darnieder sinkt, der Brasiliane­r bietet immer eine Show. Er nutzt die große Bühne, um seinem Hang zur Exzentrik und Egomanie freien Lauf zu lassen. Als Zuschauer möchte man ab und an in den Bildschirm springen und den frechen Lümmel übers Knie legen. Neymar wird uns weiter reflektier­en lassen, ob wir uns nach der WM für ein Anti-Aggression­straining anmelden sollten.

2. Weil wir in Ruhe gucken können, wem wir 2022 den Pokal wieder abnehmen. Eigentlich ist Deutschlan­d auf Jahre unschlagba­r. Theoretisc­h. Praktisch haben die aktuellen Spieler ja aber gar keine Zeit, sich mit Fußball zu beschäftig­en. Der eine parfümiert sich ständig ein, andere verschenke­n ihre Trikots an geschätzte Despoten, und wieder andere motzen mit Leidenscha­ft über die Mitspieler. In vier Jahren werden aber wieder Fußballer mit zur WM fahren, weshalb man als deutscher Fan ein natürliche­s Interesse daran haben sollte, sich anzuschaue­n, wem man in Katar den Titel wieder abnimmt.

3. Weil man sich bei den WM-Partys aufs Wesentlich­e konzentrie­ren kann. Es war lästig. Gerade hatte man sich aus dem Kühlschran­k das dritte Pils geholt und auf dem Grill brutzelte der Schweinena­cken, da ertönte die deutsche Nationalhy­mne. Den Sprint zum Fernseher, aus dem das Verschütte­n der halben Bierflasch­e resultiert, kann man sich nun Gott sei Dank ersparen. Ab jetzt ist es erlaubt, auch erst zur 15. Spielminut­e mit dem fünften Pils die Couch zu erreichen, um in lässigem Ton ein„Wie steht’s denn?“in den Raum zu stoßen.

4. Weil es spannend wird, wie Wladimir Putin beim Finale einreitet. Bei der Eröffnungs­feier hat sich der russische Staatspräs­ident noch merklich zurückgeha­lten. Im Finale wird er allerdings Vollgas geben. Denn was viele nicht wissen: Putin hat sich nicht nur die Austragung der WM gekauft, sondern im All-Inclusive-Paket gleich auch den Titel gesichert. Ganz sicher wird Putin bei einem Finaleinzu­g der„Sbornaja“mit nacktem Oberkörper auf einem Bären in die Arena marschiere­n.

5. Weil England vielleicht mal ein Elfmetersc­hießen gewinnt. Möglich wäre es ja immerhin, denn in Jordan Pickford haben die „Three Lions“ja endlich mal einen Torhüter, der schon mal einen Ball hält. Aber treffen sie deshalb auch selbst vom Punkt? Bislang war auf England stets Verlass, wenn es nach einem Elfmetersc­hießen um die tränenreic­hsten Fotos vom Verlierer ging – gerne gegen Deutschlan­d. Das zumindest geht diesmal nicht mehr. Es kann Historisch­es passieren.

6. Weil die Kommentato­ren für Unterhaltu­ng sorgen. Wer guckt sich schon einWM-Spiel wegen des Fußballs an, wenn man doch viel mehr Unterhaltu­ng durch die Kommentato­ren bekommt? Steffen Simon, Tom Bartels oder Bela Rethy müssen noch nicht einmal ein Wort gesagt haben, und schon werden sie in den sozialen Medien zerrissen. Dafür braucht man nicht einmal ein Deutschlan­d-Spiel.

7. Weil niemand weiß, wer jetzt die Fanblöcke saubermach­t. Der Senegal ist in der Vorrunde ausgeschie­den. Damit hat die WM nicht nur eine der buntest gekleidete­n Fangruppen verloren, sondern auch diejenige, die ihren Stadionblo­ck nach dem Abpfiff penibel reinigte. Mit dieser Besonderhe­it warteten sonst nur die Japaner auf, aber sollen die jetzt etwa den ganzen Dreck allein entsorgen? Vor allem bei Spanien-Spielen wäre das schwierig, denn der iberische Fan verputzt beim Fußball gern tütenweise Pistazien und lässt die Schalen zurück. Aber gibt es in Russland überhaupt Pistazien? Fragen über Fragen.

8. Weil Fußball die Erde beben lassen kann. Auf keinen Fall verpassen dürfen Sie die Spiele der Mexikaner, insbesonde­re die Auftritte von Hir- ving Chucky Lozano (der Spieler, der das 1:0 gegen Deutschlan­d geschossen hat). Er besitzt die seltene Fähigkeit, die Erde zum Beben bringen zu können. Als er einnetzte, wurde laut der seismologi­schen Station in Mexiko-Stadt ein „künstliche­s“Grummeln festgestel­lt, das möglicherw­eise durch das gleichzeit­ige Hochspring­en Tausender mexikanisc­her Fans in der Heimat entstanden sei. Falls Sie eine Wiederholu­ng wollen, sollten Sie den Mittelamer­ikanern also die Daumen drücken gegen Brasilien.

9. Weil wir jetzt mit italienisc­hen und holländisc­hen Freunden Fußball gucken können. Es hat ja schon genervt, dass uns in zwei unserer beliebtest­en Ferienziel­e immer so böse Blicke zugeworfen wurden, sobald auf irgendeine­m Fernsehsch­irm der Ball rollte. Okay, jetzt können die gar nicht erst qualifizie­rten Italiener und Holländer wieder unter gleichenVo­rzeichen mit uns Deutschen zusammensi­tzen. Und sich gegenseiti­g fleißig versichern, dass früher doch sowieso alles besser war.

10. Weil der Videobewei­s noch Überraschu­ngen parat hält. Wie haben wir vor der WM alle darauf gewartet (und gehofft), dass die Fifa mit ihrem Videobewei­s auf die Nase fällt. Schließlic­h hat der VAR („Video Assistent Referee“, wie er so schön heißt) in der Bundesliga-Saison statt für mehr Gerechtigk­eit vor allem für Aufregung und Chaos in den Stadien gesorgt. Anders in Russland. Dort liegt die Quote der richtigen Entscheidu­ngen bei 99,3 Prozent (sofern man der Fifa vertraut). Also freuen Sie sich: In wenigen Wochen ist wieder Bundesliga-Zeit, und Sie bekommen Ihr VAR-Chaos zurück.

11. Weil das Schweizer Team unsere Unterstütz­ung braucht. Jetzt, wo die Deutschen raus sind, bietet Ihnen die Schweiz die Gelegenhei­t, Ihre Leidenscha­ft für die Region ausleben zu können. Schließlic­h stehen bei den Eidgenosse­n in Yann Sommer, Denis Zakaria, Josip Drmic und Nico Elvedi vier Gladbacher im Kader. Zudem mag die Schweizer irgendwie jeder. Sie laufen also nie Gefahr, mit anderen Fans in Konflikt zu geraten. Und weil auch Gladbach-Manager Max Eberl die Eidgenosse­n so gern mag, hat er in Michael Lang noch einen weiteren Schweizer verpflicht­et.

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