Einfach weitergucken
Deutschland ist raus. Na und? Hier sind elf Gründe, warum es sich lohnt, trotzdem noch Fußball zu schauen.
DÜSSELDORF Es gibt so viele gute Gründe, warum die WM auch ohne deutsche Beteiligung sehenswert ist. Wir listen elf auf:
1. Weil man sich wunderbar über Neymar aufregen kann. Ob er nun gerade wieder schimpft, weint oder theatralisch darnieder sinkt, der Brasilianer bietet immer eine Show. Er nutzt die große Bühne, um seinem Hang zur Exzentrik und Egomanie freien Lauf zu lassen. Als Zuschauer möchte man ab und an in den Bildschirm springen und den frechen Lümmel übers Knie legen. Neymar wird uns weiter reflektieren lassen, ob wir uns nach der WM für ein Anti-Aggressionstraining anmelden sollten.
2. Weil wir in Ruhe gucken können, wem wir 2022 den Pokal wieder abnehmen. Eigentlich ist Deutschland auf Jahre unschlagbar. Theoretisch. Praktisch haben die aktuellen Spieler ja aber gar keine Zeit, sich mit Fußball zu beschäftigen. Der eine parfümiert sich ständig ein, andere verschenken ihre Trikots an geschätzte Despoten, und wieder andere motzen mit Leidenschaft über die Mitspieler. In vier Jahren werden aber wieder Fußballer mit zur WM fahren, weshalb man als deutscher Fan ein natürliches Interesse daran haben sollte, sich anzuschauen, wem man in Katar den Titel wieder abnimmt.
3. Weil man sich bei den WM-Partys aufs Wesentliche konzentrieren kann. Es war lästig. Gerade hatte man sich aus dem Kühlschrank das dritte Pils geholt und auf dem Grill brutzelte der Schweinenacken, da ertönte die deutsche Nationalhymne. Den Sprint zum Fernseher, aus dem das Verschütten der halben Bierflasche resultiert, kann man sich nun Gott sei Dank ersparen. Ab jetzt ist es erlaubt, auch erst zur 15. Spielminute mit dem fünften Pils die Couch zu erreichen, um in lässigem Ton ein„Wie steht’s denn?“in den Raum zu stoßen.
4. Weil es spannend wird, wie Wladimir Putin beim Finale einreitet. Bei der Eröffnungsfeier hat sich der russische Staatspräsident noch merklich zurückgehalten. Im Finale wird er allerdings Vollgas geben. Denn was viele nicht wissen: Putin hat sich nicht nur die Austragung der WM gekauft, sondern im All-Inclusive-Paket gleich auch den Titel gesichert. Ganz sicher wird Putin bei einem Finaleinzug der„Sbornaja“mit nacktem Oberkörper auf einem Bären in die Arena marschieren.
5. Weil England vielleicht mal ein Elfmeterschießen gewinnt. Möglich wäre es ja immerhin, denn in Jordan Pickford haben die „Three Lions“ja endlich mal einen Torhüter, der schon mal einen Ball hält. Aber treffen sie deshalb auch selbst vom Punkt? Bislang war auf England stets Verlass, wenn es nach einem Elfmeterschießen um die tränenreichsten Fotos vom Verlierer ging – gerne gegen Deutschland. Das zumindest geht diesmal nicht mehr. Es kann Historisches passieren.
6. Weil die Kommentatoren für Unterhaltung sorgen. Wer guckt sich schon einWM-Spiel wegen des Fußballs an, wenn man doch viel mehr Unterhaltung durch die Kommentatoren bekommt? Steffen Simon, Tom Bartels oder Bela Rethy müssen noch nicht einmal ein Wort gesagt haben, und schon werden sie in den sozialen Medien zerrissen. Dafür braucht man nicht einmal ein Deutschland-Spiel.
7. Weil niemand weiß, wer jetzt die Fanblöcke saubermacht. Der Senegal ist in der Vorrunde ausgeschieden. Damit hat die WM nicht nur eine der buntest gekleideten Fangruppen verloren, sondern auch diejenige, die ihren Stadionblock nach dem Abpfiff penibel reinigte. Mit dieser Besonderheit warteten sonst nur die Japaner auf, aber sollen die jetzt etwa den ganzen Dreck allein entsorgen? Vor allem bei Spanien-Spielen wäre das schwierig, denn der iberische Fan verputzt beim Fußball gern tütenweise Pistazien und lässt die Schalen zurück. Aber gibt es in Russland überhaupt Pistazien? Fragen über Fragen.
8. Weil Fußball die Erde beben lassen kann. Auf keinen Fall verpassen dürfen Sie die Spiele der Mexikaner, insbesondere die Auftritte von Hir- ving Chucky Lozano (der Spieler, der das 1:0 gegen Deutschland geschossen hat). Er besitzt die seltene Fähigkeit, die Erde zum Beben bringen zu können. Als er einnetzte, wurde laut der seismologischen Station in Mexiko-Stadt ein „künstliches“Grummeln festgestellt, das möglicherweise durch das gleichzeitige Hochspringen Tausender mexikanischer Fans in der Heimat entstanden sei. Falls Sie eine Wiederholung wollen, sollten Sie den Mittelamerikanern also die Daumen drücken gegen Brasilien.
9. Weil wir jetzt mit italienischen und holländischen Freunden Fußball gucken können. Es hat ja schon genervt, dass uns in zwei unserer beliebtesten Ferienziele immer so böse Blicke zugeworfen wurden, sobald auf irgendeinem Fernsehschirm der Ball rollte. Okay, jetzt können die gar nicht erst qualifizierten Italiener und Holländer wieder unter gleichenVorzeichen mit uns Deutschen zusammensitzen. Und sich gegenseitig fleißig versichern, dass früher doch sowieso alles besser war.
10. Weil der Videobeweis noch Überraschungen parat hält. Wie haben wir vor der WM alle darauf gewartet (und gehofft), dass die Fifa mit ihrem Videobeweis auf die Nase fällt. Schließlich hat der VAR („Video Assistent Referee“, wie er so schön heißt) in der Bundesliga-Saison statt für mehr Gerechtigkeit vor allem für Aufregung und Chaos in den Stadien gesorgt. Anders in Russland. Dort liegt die Quote der richtigen Entscheidungen bei 99,3 Prozent (sofern man der Fifa vertraut). Also freuen Sie sich: In wenigen Wochen ist wieder Bundesliga-Zeit, und Sie bekommen Ihr VAR-Chaos zurück.
11. Weil das Schweizer Team unsere Unterstützung braucht. Jetzt, wo die Deutschen raus sind, bietet Ihnen die Schweiz die Gelegenheit, Ihre Leidenschaft für die Region ausleben zu können. Schließlich stehen bei den Eidgenossen in Yann Sommer, Denis Zakaria, Josip Drmic und Nico Elvedi vier Gladbacher im Kader. Zudem mag die Schweizer irgendwie jeder. Sie laufen also nie Gefahr, mit anderen Fans in Konflikt zu geraten. Und weil auch Gladbach-Manager Max Eberl die Eidgenossen so gern mag, hat er in Michael Lang noch einen weiteren Schweizer verpflichtet.