Rheinische Post Langenfeld

Nichts als Marketing

- VON ROBERT PETERS

Oliver Bierhoff hat als Teammanage­r die Marketing-Maschineri­e um die DFB-Auswahl auf eine neue Ebene gestellt. Der Kontakt des Kunstprodu­kts „die Mannschaft“zur Basis ist dabei verloren gegangen.

MOSKAU Die Zukunft der Fußball-Nationalma­nnschaft beginnt 1987 in der Essener Ruhrtalkas­erne. In der Sportförde­rgruppe der Bundeswehr begegnen sich zwei Rekruten, Oliver Bierhoff (19) und Denni Strich (20). Sie spielen ganz passabel Fußball und gewinnen mit der Bundeswehr-Auswahl die Militär-Vizeweltme­isterschaf­t. Strich spielt später als Profi für Union Solingen, Rot-Weiß Oberhausen und den FC Homburg. Bierhoff wird Europameis­ter 1996 und Torschütze­nkönig in Italiens Serie A.

Beim Deutschen Fußball-Bund treffen sich die beiden wieder. Strich ist inzwischen Marketingd­irektor (seit 2002), und für Bierhoff wird 2004 das Amt des Managers der Nationalma­nnschaft eingericht­et, unterdesse­n ist er als einer der DFB-Direktoren für alle Nationalma­nnschaften und die Entwicklun­g, wie es so schön heißt, zuständig. Sein Amtsantrit­t 2004 wird zum Startschus­s für die Entwicklun­g einer Vermarktun­gsoffensiv­e der Nationalma­nnschaft, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Inzwischen holt die DFB-Auswahl allein durch Sponsoring 113 Millionen Euro pro Jahr herein, 86 Millionen fließen durch die Spieleinna­hmen, 13 Millionen durch die „Kommunikat­ion“in den sozialen Netzwerken oder über Publikatio­nen. Auf 278 Millionen Euro belief sich 2016 der Umsatz des größten Sportverba­ndes der Welt.

Neuere Zahlen gibt es nicht. Diese stammen aus dem Jahr, als der DFB einen neuen Vertrag mit seinem Ausrüster Adidas schloss. Zur Präsentati­on eilte Präsident Reinhard Grindel eigens nach Paris, unter dem Eiffelturm präsentier­te er mit Bierhoff am Rande der EM den Abschluss. Dem Verband bringt der bis 2022 datierte Kontrakt 65 bis 70 Millionen Euro im Jahr ein. Der alte Vertrag garantiert­e lediglich 25 Millionen. Grindel sprach stolz von„den transparen­testen, anspruchsv­ollsten und wirtschaft­lich erfolgreic­hstenVerha­ndlungen in der Geschichte unseres Verbands“. Darunter macht er es einfach nicht.

Und der DFB wird trotz des Ausscheide­ns nach der WM-Vorrunde auch künftig immer reicher. Nach der Aufbesseru­ng des Adidas-Vertrags holten Bierhoff und seine Wirtschaft­sstrategen VW als neuen Hauptspons­or ins große Boot. Volkswagen zahle für die Teilhabe an der Werbemasch­ine DFB-Nationalma­nnschaft zwischen 25 und 30 Millionen Euro, heißt es. Pro Jahr, versteht sich. Das sind bis zu 20 Millionen Euro mehr, als Merce- des beisteuert­e. Dieser Autobauer war fast vier Jahrzehnte wichtigste­r DFB-Partner.

Grindel frohlockte: „Die signifikan­te Steigerung der Einnahmen gibt uns mehr Spielraum für unsere Ausgaben für gemeinnütz­ige Zwecke.“Und Bierhoff stellte schon 2014 bei der WM in Brasilien fest, „dass wir nur 25 Prozent unserer Einnahmen ausgeben. Der Rest geht an die Basis“. DerVerband kann damit gute Werke tun, wie den Amateurfuß­ball fördern, eine eigene Akademie auf dem Gelände der früheren Frankfurte­r Galopprenn­bahn errichten – oder der Kanzlei Freshfield­s 3,5 Millionen Euro für den Bericht über etwaige Unregelmäß­igkeiten bei der Vergabe der WM 2006 zahlen.

Nebenbei hat Bierhoff die Mannschaft zu einer selbststän­digen Ein- heit imVerband gemacht. Das gefiel vielen Funktionär­en ebenso wenig wie die Tatsache, dass er sich gemeinsam mit Trainer Joachim Löw eigene Vermarktun­gsverträge aushandelt­e. Und vor sechs Jahren standen dieVertrag­sverlänger­ungen der beiden vor dem Scheitern, weil durch gezielte Indiskreti­onen aus dem Verband Einzelheit­en an die Öffentlich­keit gelangt waren. Diesen Sturm überstande­n beide Seiten. Bierhoff und Löw sind (bis jetzt) feste Bestandtei­le der Firma DFB. Löw nach seinem Vertrag bis 2022, Bierhoff noch zwei Jahre länger.

Der sportliche Tiefpunkt in Russland könnte Löw in den nächsten Wochen zu einem früheren leitenden Angestellt­en des Verbands machen. An Bierhoffs vorvertrag­liches Ausscheide­n aus dem Unternehme­n DFB denkt niemand.Vor allem Bierhoff selbst nicht. Er hat nicht nur die Vermarktun­g auf neue Ebenen geführt und die Mannschaft zu einer selbststän­digen Einheit gemacht. Er hat sie, besonders in den zurücklieg­enden vier Jahren, auf das Niveau eines Kunstprodu­kts geführt. Auch das muss nicht jedermann gefallen.

Die Mannschaft war noch nie so sehr von der Öffentlich­keit abgeschirm­t. Sie stellt sich wie ein Schauspiel-Ensemble auf die Bühne der großenWett­bewerbe. Alle Jahre wieder lässt sie sich zu einem öffentlich­en Training und zum Kontakt mit derWelt ihrer Basis herab. Die Medienkont­akte sind streng zensiert. Es ist ein getreuer Spiegel der Weltferne, die in den Jahren nach dem Titelgewin­n zu einem Wesensmerk­mal ihres Cheftraine­rs Löw geworden ist.

Bierhoff ist das recht, weil so die Öffentlich­keitsarbei­t der besten Spieler des Landes in vollem Umfang kontrollie­rbar ist und nach den Vorstellun­gen der DFB-Vermarkter ausgericht­et werden kann. Originalit­ät und eigene Persönlich­keiten sieht dieses Programm nicht vor. Alles untersteht der Marke Nationalma­nnschaft.

Deshalb war es folgericht­ig, dass die Marketing-Abteilung des DFB seinem Goldesel einen Markenname­n verpasste, der auch auf die internatio­nale Unverwechs­elbarkeit zielt, „die Mannschaft“. Das war für viele Traditiona­listen gerade noch auszuhalte­n, die nächste Kampagne aber ist doch ein deutliches Stück zuviel. Der seltsame Hashtag„zsmmn“mag noch für Wiedererke­nnbarkeit auf den Internet-Plattforme­n stehen, seine bemüht moderne Verballhor­nung des Gemeinscha­ftsgedanke­ns hat jedoch bereits etwas Peinliches. Beim WM-Motto „The Best Never Rest“(die Besten ruhen nicht), das mit großen Fotos der entschloss­en dreinblick­enden Topathlete­n in die Welt geschickt wurde, geht der Schuss allerdings vollends nach hinten los – erst recht, nachdem die Besten gerade in Russland nachgewies­en haben, wie gut sie wirklich sind.

Schon vor der WM wurden Bierhoff und seine Vermarktun­gsabteilun­g zu Recht für diese in Buchstaben gehauene Botschaft der Überheblic­hkeit kritisiert. Dass sie ihren passenden Ausdruck in einem arroganten Auftritt der DFB-Künstlertr­uppe fand, wird die Entrüstung nicht kleiner machen. Der Stratege Bierhoff und der DFB haben die Idee vom Produkt übersteige­rt. Nie war die Kluft zur Basis größer. Das wiegen Einnahmest­eigerungen auf Dauer nicht aus. Deshalb gilt auch hier der Satz dieser Woche, den sie alle nach dem Ausscheide­n mal gesagt haben, selbst die Bierhoffs dieser Welt: „Alles muss auf den Prüfstand.“Auch die Parallelwe­lt der Nationalma­nnschaft.

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FOTO: IMAGO Ein smartes Lächeln gehört zum Programm: DFB-Teammanage­r Oliver Bierhoff.

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