Rheinische Post Langenfeld

Österreich droht mit neuen Grenzsiche­rungen

- VON JAN DREBES, BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz vermisst beim Asylkompro­miss der Union eine klare Linie. Auch der Koalitions­partner SPD übte scharfe Kritik an den Plänen.

BERLIN Nach der Einigung zwischen CDU und CSU in der Asylpoliti­k haben der Koalitions­partner SPD sowie der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz weitere Klarstellu­ngen gefordert. Kurz sagte am Abend in Wien, dass er nach Telefonate­n mit Merkel und Seehofer noch „keine klare Linie“sehe. Man sei auf alle Szenarien vorbereite­t und bereit, jede Maßnahme zu treffen, um Schaden von Österreich abzuwenden. Kurz erklärte, er werde keine Verträge abschließe­n, die zulasten Österreich­s gingen. Er wolle sich für eine europäisch­e Lösung einsetzen.

Wenige Stunden zuvor hatte Kurz mit Blick auf den Unionskomp­romiss gesagt, dass dieser auf nationale Maßnahmen Deutschlan­ds zur Bekämpfung der Migrations­ströme hindeute. In diesem Fall müsste Österreich an seiner Südgrenze handeln. Mehrfach hatte Kurz in der Vergangenh­eit bereits die Schließung des Brenners angedroht.

Am Donnerstag wird Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) für weitere Gespräche undVerhand­lungen nachWien reisen. Gleichzeit­ig wird Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán zu Besuch bei Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sein. Ob es gelingen wird, Österreich zu einem Abkommen zu bewegen, ist offen. Aus Unionskrei­sen hieß es, dass Kurz im Zuge der EU-Ratspräsid­entschaft den Ehrgeiz haben könnte, die Migrations­politik in Europa wesentlich neu zu ordnen. Dabei könnte ein Abkommen helfen. Doch auch mit Italien müsste ein Vertrag geschlosse­n werden, um die gefassten Beschlüsse wirksam umsetzen zu können. Am 11. Juli wollen sich Seehofer und sein italienisc­her Amtskolleg­e Matteo Salvini treffen.

CDU und CSU hatten in der Nacht zu Dienstag vereinbart, an der deutsch-österreich­ischen Grenze sogenannte Transitzen­tren für Flüchtling­e einzuricht­en. Von dort sollen Asylbewerb­er, für deren Verfahren ein anderer EU-Staat zuständig ist, in diesen Staat zurückgebr­acht werden. Gibt es zwischen Deutschlan­d und diesem EU-Land keine Vereinbaru­ng, ist vorgesehen, den Schutzsuch­enden nach Österreich zurückzusc­hicken.

Dass diese unionsinte­rne Einigung Geltung erhalten könnte, ist unwahrsche­inlich. Die SPD müsste erst zustimmen. Der zweite Koalitions­gipfel verlief ergebnislo­s. Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) machte deutlich, dass noch viele Fragen offen seien. Am Donnerstag wollen sich die Koalitions­spitzen erneut treffen. Zugleich hagelte es Kritik von der SPD. Generalsek­retär Lars Klingbeil sprach sich klar gegen geschlosse­ne Transitzon­en aus. Man habe jetzt drei Wochen lang ein un- würdiges Schauspiel von CDU und CSU erlebt. „Das Ergebnis ist ein dünnes Papier mit drei Punkten, die erst mal niemand versteht“, sagte der SPD-Politiker und fügte hinzu: „So viel Unprofessi­onalität wie in den letzten Tagen habe ich von einer Regierungs­partei noch nicht erlebt.“SPD-Chefin Andrea Nahles soll hinter verschloss­enen Türen in der kurzen Fraktionss­itzung deutlich gemacht haben, dass sie sehr verärgert über die Union sei. Sie sei nicht bereit, sich auf „so eine Pipi-Lösung“einzulasse­n, wird sie von Teilnehmer­n zitiert. Damit habe sie nicht Ablehnung zum Ausdruck bringen wollen, sondern Kritik an den wenig konkreten Ausführung­en des Kompromiss­es, hieß es auch.

Ex-SPD-Chef Martin Schulz zeigte sich vor der Fraktionss­itzung am Dienstagmo­rgen fassungslo­s ob des Umgangs der Union mit Regierungs­verantwort­ung. Er sprach von „ein paar Durchgekna­llten“, die sich „wochenlang gegenseiti­g öffentlich beschimpfe­n“. Er fügte hinzu:„Und dann soll der Koalitions­partner innerhalb von 24 Stunden sagen, ob er diesen Blödsinn jetzt am Ende weiterführ­en will.“Insbesonde­re die SPD-Parteilink­en lehnten den Kompromiss von CDU und CSU strikt ab. Sollte die SPD-Führung in den kommenden Tagen noch zu einer Einigung mit der Union gelangen, könnten neue innerparte­iliche Konflikte bei den Sozialdemo­kraten aufbrechen.

Auch in der Union sind nicht alle mit den Ergebnisse­n zufrieden. EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) sagte, das Beste an der Einigung sei, dass es überhaupt eine Einigung gebe. Inhaltlich sei er „nicht überzeugt“, weil die Pläne in der Umsetzung viele Fragen aufwürfen, „europarech­tliche Fragen, Fragen der nachbarsch­aftlichen Beziehunge­n und Fragen für den Koalitions­partner SPD“. Viele CSU-Abgeordnet­e verteidigt­en den gefundenen Kompromiss und nannten ihn eine echte Wende in der Asylpoliti­k. Leitartike­l, Politik

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