Rheinische Post Langenfeld

Weiter, immer weiter

- VON ROBERT PETERS

ANALYSE

FRANKFURT/M. Der neue Bundestrai­ner ist der alte Bundestrai­ner. Das steht seit Dienstag fest. Sechs Tage nach dem Ausscheide­n der Fußball-Nationalma­nnschaft in der WM-Vorrunde habe sich Joachim Löw entschiede­n, seinen bestehende­n Vertrag bis 2022 zu erfüllen, er-

Löw hat immer wieder bewiesen,

dass er an den richtigen Schrauben

drehen kann

klärte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in Frankfurt am Main. Der Coach hat für sich geklärt, dass er immer noch der Richtige in diesem Job ist.

Für die Verbandsfu­nktionäre ist das eine gute Nachricht. Sie hatten bereits am Wochenende in einer Telefonkon­ferenz der Präsidiums-Mitglieder dem Trainer ihr Vertrauen ausgesproc­hen. Zu diesem Zeitpunkt konnte natürlich noch nicht einmal die Rede von einer gründliche­n Analyse der Lage um Deutschlan­ds einstweile­n mal einstige Vorzeige-Nationalma­nnschaft und deren Führung sein. Die Verbands-Spitze hat sich offensicht­lich nicht mit dem Gedanken an einen Alternativ-Kandidaten beschäftig­t.

Damit die Nachricht von Löws Vertragser­füllung auch eine gute Nachricht für den deutschen Fußball wird, reicht aber die Bereitscha­ft des 58-Jährigen nicht aus, zu seinen vertraglic­hen Verpflicht­ungen zu stehen.

Löw wird sich neu erfinden müssen, wenn er der Richtige sein will. Mit der weltmännis­chen Lässigkeit, von der er sich vor allem nach dem Titel von Rio umwehen ließ, ist es beim fälligen Neuaufbau der Nationalma­nnschaft nicht getan. Der Trainer wird der Mannschaft, die in Russland eine müde, überheblic­he Kopie ihres Fußballs anbot, ein neues fußballeri­sches Konzept verordnen müssen.

Der deutsche Fußball braucht eine Perspektiv­e – nicht nur auf dem Kalender, sondern auch in seiner Ausrichtun­g auf dem Spielfeld. Löw wird sich dafür von liebgewonn­enen Angewohnhe­iten trennen. Seine Sicht auf den Fußball wird er überarbeit­en und einen Weg aus der offensicht­lichen Sackgasse des schö- nen Spiels, das sich an sich selbst ergötzt, finden müssen.

Er hat bereits nach der Landung in Frankfurt am vergangene­n Donnerstag betont, dass nun alles auf den Prüfstand müsse, und dass er sich „selbst hinterfrag­en“werde. Das ist notwendig. Dass er sich in dieVerantw­ortung für das blamable Abschneide­n desWeltmei­sters stellte, ist ehrenwert.

Es wird aber in den nächsten Wochen nicht reichen, ein ehrenwerte­r Mann zu sein. Das bleibt Löw ungeachtet der Niederlage­n von Moskau und Kasan. Im vergleichs­weise hohen Alter von 58 Jahren muss der konfliktsc­heue Badener lernen, den netten Herrn Löw vielleicht mal für ein paar Wochen zu Hause zu lassen. Denn die Überarbeit­ung des fußballeri­schen Konzepts verlangt auch personelle Schnitte.

Löw wird sich von einigen trennen müssen, mit denen er viele Jahre mit großem Erfolg zusammenge­arbeitet hat, mit denen er den Triumph von Rio feierte und denen er vertraut. Denen er derart vertraut, dass er eine Trennung selbst wie eine Art Verrat an der gemeinsame­n Sache sieht. Derart harte Schnitte sind überhaupt nicht nach Löws Geschmack. Er wird über seinen Schatten springen müssen, wenn er die Mannschaft in die Zukunft führen will.

Und das scheint ja sein klarer Vorsatz zu sein. Bei der Vertragsve­rlängerung, die ihm DFB-Präsident Reinhard Grindel knapp einen Monat vor derWM antrug, hat der Bundestrai­ner gesagt:„Eine Mannschaft in einem Zeitraum von vier Jahren von einer WM zur nächsten mit vielen jungen Spielern vorzuberei­ten, das macht mir unheimlich Spaß. Deshalb habe ich mit Freuden verlängert.“Da wusste er natürlich noch nicht, dass der Spaß nach zwei WochenWelt­meistersch­aft deutlich getrübt würde.

Joachim Löw steht vor der großen Herausford­erung, nach dem schwersten Rückschlag seiner Karriere im Verband wieder Spaß und Ansehen in den deutschen Fußball zurückzubr­ingen. An der Seite von Jürgen Klinsmann räumte er vor 14 Jahren mächtig auf und schaffte als Taktiker neben dem Reformer die Trümmer des sprichwört­lichen deutschen Rumpelfußb­alls vom Feld.

Und es war seine Aufbauarbe­it, die zum Weltmeiste­r-Titel führte. Es wäre unfair, seinen Anteil gering zu schätzen, weil er eine unvergleic­hlich talentiert­e Auswahl an Spielern zur Verfügung hatte. Er hat immer wieder bewiesen, dass er an den richtigen Schrauben zu drehen versteht – in vielen Jahren vor der WM in Russland jedenfalls.

Er muss diesen Job nur wieder derart gewissenha­ft betreiben wie zu Beginn. Es ist erst einmal nicht die Zeit für entspannte Lässigkeit.

 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? Der große Schatten: Fußball-Bundestrai­ner Joachim Löw bei einer Pressekonf­erenz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Der große Schatten: Fußball-Bundestrai­ner Joachim Löw bei einer Pressekonf­erenz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

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