„Inklusionsquoten haben mich noch nie interessiert“
Die Schulministerin verspricht Schulen mit hohen Ausfallquoten Hilfe. Beim Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap setzt sie verstärkt auf Freiwilligkeit.
DÜSSELDORF Ein Jahr ist Yvonne Gebauer jetzt Schulministerin. Ihr Büro aber ist noch nicht fertig eingerichtet. Zwar umgeben schon Bronzeskulpturen ihren Schreibtisch, Leihgaben des Kunsthauses NRW in Kornelimünster – eineWand aber ist noch kahl. Gebauer wartet auf ein Bild eines Schülers aus Münster. Dort verleiht das Adolph-Kolping-Berufskolleg Kunstwerke.
Frau Gebauer, heute beginnen die Sommerferien. In vielen Schulen findet schon seit Wochen kaum noch geregelter Unterricht statt. Was unternehmen Sie dagegen? GEBAUER Diese Einschätzung teile ich nicht. Mein Ziel ist, dass Unterricht bis zum letzten Schultag spannend gestaltet wird. Aber ich kann und möchte auch nicht in jeder Schule kontrollieren, wie das abläuft, sondern kann nur appellieren.
Bayern hat an Flughäfen Familien kontrolliert, ob sie mit ihren Kindern zu früh in die Ferien gestartet sind. Können Sie sich das auch für Nordrhein-Westfalen vorstellen? GEBAUER Nein. Das ist nicht unser Stil. Wenn Eltern aufgrund eines billigen Urlaubsflugs ihre Kinder früher aus der Schule nehmen, dann ist das ein Verstoß gegen die Schulpflicht und nicht akzeptabel.Wir gehen an den Flughäfen aber nicht auf die Pirsch nach Schulschwänzern.
Wer soll ein solches Verhalten dann sanktionieren? Niemand?
GEBAUER Die Schulen sollen Auffälligkeiten anzeigen. Das wird dann verfolgt, und von der Schulaufsicht kann ein empfindliches Bußgeld verhängt werden.
Ab dem neuen Schuljahr beteiligen sich alle Schulen an der Messung des Unterrichtsausfalls...
GEBAUER ... alle außer den Förderschulen und den Berufskollegs ...
... wie gehen Sie dann mit den Schulen um, die besonders hohe Ausfallquoten haben?
GEBAUER Diese Schulen müssen wir gezielt unterstützen. Die Schulaufsicht wird das in Zukunft auf Grundlage unserer Erhebung noch deutlich besser können.
Ein Kommissar des Ministeriums, der ins Schulbüro gesetzt wird? GEBAUER Kein Kommissar! Wir sind keine Bildungspolizei! Das ist nicht mein Bild der Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Schulauf- sicht. Ich will eine Unterstützung, die den Schulen ihre Möglichkeiten bei der Planung aufzeigt.
Aus ihren Eckpunkten zur Inklusion konnte man den Eindruck gewinnen: Gymnasien müssen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap nur noch anbieten, wenn sie Lust dazu haben. GEBAUER Es können alle Gymnasien Inklusion machen, die das wollen. Über 100 Gymnasien unterrichten derzeit auch inklusiv.
Und die nicht wollen, müssen auch nicht.
GEBAUER Die müssen auch nicht. Ich freue mich aber über jedes Gymnasium, das sich beteiligt.
Aber Sie wollen die Gymnasien nicht mehr dazu verpflichten? GEBAUER Die Gymnasien wehren sich doch gar nicht dagegen.
Naja – Sie kennen doch die Klagen von Gymnasien auch, die zur Inklusion verpflichtet wurden. GEBAUER Wenn man in der Bildungspolitik etwas mit Zwang durchsetzen will, hat das noch nie auf Dauer funktioniert, das haben wir ja am achtjährigen Gymnasium gesehen. Das Gymnasium hat den Auftrag, vertiefte Allgemeinbildung zu vermitteln...
... und das rechtfertigt eine Sonderstellung bei der Inklusion?
GEBAUER Deswegen unterscheiden wir zwischen zielgleichem Unterricht, also gleiche Abschlüsse, und zieldifferentem Unterricht. Inklusion am Gymnasium soll in der Regel bedeuten: zielgleich. Und da beteiligen sich die Gymnasien wie alle anderen Schulformen und werden das auch weiter tun.
Es soll auch möglich sein, Förderschulen wiederaufzubauen. Dann fehlen aber doch an Regelschulen noch mehr Sonderpädagogen. Verschärfen Sie die Lage nicht noch? GEBAUER Nein. Wir bringen mit den neuen Standards jetzt Qualität an die Regelschulen und geben massiv neue Ressourcen dorthin. Die Formel dafür lautet: 25 Kinder in einer Klasse, davon drei mit Förderbedarf, und eine halbe Stelle zusätzlich pro Klasse. Wir schaffen rund 5800 zusätzliche Stellen bis 2025 und investieren dafür 1,4 Milliarden Euro.
Die nötigen Standards, die Sie definiert haben – ein pädagogisches Konzept, Fortbildungen, Ausstattung mit Sonderpädagogen, entsprechende Räume – sind recht allgemein gehalten. Wer überprüft die? GEBAUER Die Schulaufsicht mit ihren örtlichen Kenntnissen im Zusammenwirken mit dem Schulträger.
Kann es passieren, dass Kinder zu- rück an die Förderschule müssen, wenn ihre Regelschule die Qualitätsstandards nicht erfüllt? GEBAUER Nein. Die Kinder, die jetzt an einer Schule des gemeinsamen Lernens sind, haben einen Anspruch darauf, an ihrer Schule den Abschluss zu machen, wenn sie dort bleiben wollen.
Läuft nicht Ihre Politik insgesamt dem Geist der Inklusion zuwider? GEBAUER Nein, das weise ich entschieden zurück. Ich bekenne mich klar zur Inklusion als Menschenrecht, und wir werden diesen Weg der schulischen Inklusion auch weitergehen. Wir brauchen aber weiter Förderschulen, denn sie sind für manche Kinder der Ort, wo sie bestmöglich gefördert werden. Und das Wahlrecht der Eltern ist ein hohes Gut.
Zielt Ihr Konzept eigentlich auch darauf, dass die Inklusionsquote nicht weiter steigt?
GEBAUER Die Inklusionsquoten haben mich noch nie interessiert, daher ist das für mich kein Maßstab. Mir geht es um dasWohl des Kindes.