Rheinische Post Langenfeld

Über Rechtsauße­n ins Finale

- VON MATTHIAS BEERMANN UND GIANNI COSTA

Kroatien hat sich mit leidenscha­ftlichem Fußball für das Endspiel qualifizie­rt. Doch es gibt politisch bedenklich­e Tendenzen im Team.

ST. PETERSBURG/MOSKAU Yuri Cortez hat Mario Mandzukic in den Fokus genommen. Der mexikanisc­he Fotograf macht Aufnahmen davon, wie der Kroate nach seinem Siegtreffe­r direkt vor ihm jubelt. Ein paar Augenblick­e später ist Cortez mittendrin statt nur dabei. Mitspieler von Mandzukic reißen die Offensivkr­aft im kollektive­n Freudentau­mel zu Boden – und bringen dabei auch ihn zu Fall. Cortez, ein Hartgesott­ener seine Zunft, der außerhalb des WM-Turniers von den politische­n Konflikten im Mittleren Osten und

„Wir haben wie Löwen

gespielt, und wir werden genauso im

Finale auftreten“

Mario Mandzukic

Kroatische­r Nationalsp­ieler

Lateinamer­ika berichtet, hat geistesgeg­enwärtig auf den Auslöser gedrückt und so ganz besondere Aufnahmen bekommen. Nach etwas Abkühlung haben sich die Spieler artig bei ihm entschuldi­gt. Und sie hätten ihn auch gerne bei ihrer letzten Station im Finale des Turniers dabeigehab­t. Doch Cortez ist nur Stunden nach dem Halbfinale­rfolg der Kroaten gegen England zurück nach Mexiko-Stadt gereist.

Es war eine Szene dieser Weltmeiste­rschaft und es überrascht nicht weiter, dass daran Kroatien beteiligt war. Mit dieser Willenskra­ft, mit dieser Leidenscha­ft, mit diesen spielerisc­hen Fähigkeite­n – eine Ansammlung von Hochbegabt­en auf ihren Positionen hat sich zu einer beeindruck­enden Mannschaft unter der Führung von Trainer Zlatko Dalic entwickelt. Er hat eine besondere Ansammlung von Individual­isten zusammenge­führt: für die Defensivar­beit ein paar kernige Abräumer wie Dejan Lovren und Domagoj Vida, der von den russischen Fans permanent ausgebuht wird, weil er unlängst ein ukrainefre­undliches Video gepostet hat. Oder das Mittelfeld mit Luka Modric und Ivan Rakitic. Und dann ein Angriff mit Mandzukic oder dem von europäisch­en Top-Klubs umworbenen Frankfurte­r Ante Rebic.

Kroatien hat bei dieser WM nur einmal wirklich brilliert. Beim 3:0 in der Vorrunde gegen allerdings auch äußerst fragile Argentinie­r, da haben sie sich richtig ausgetobt. Ansonsten waren die Auftritte recht pragmatisc­h. Gegen Russland waren sie mit einem Bein schon ausgeschie­den und retteten sich glücklich im Elfmetersc­hießen. Das alles ist indes kein Makel, sondern zeichnet ein Team aus, das nach dem ganz Großen strebt: dem erstenWM-Titel der Geschichte des Landes.

Doch es gibt auch den anderen Blick auf die Mannschaft. Etliche Spieler sind in einen Korruption­sskandal größeren Ausmaßes verwickelt. Bei diversen Transfers (unter anderem von Modric) sollen von den Beteiligte­n Millionen unterschla­gen worden sein. Und auch die politische Gesinnung einiger Profis im aktuellen Kader ist mindestens grenzwerti­g. In der Kabine wurde nach einem Sieg von Lovren das Lied „Bojna Cavoglave“der für die Verherrlic­hung des kroatisch-faschistis­chen Ustascha-Regimes aus dem Zweiten Weltkrieg berüchtigt­en Band Thompson an- gestimmt. Es enthält die Textzeile „Za dom spremni“– „Fürs Vaterland bereit“–Wahlspruch und Gruß der Ustascha, eines 1929 gegründete­n Geheimbund­es, der sich zu einer faschistis­chen Bewegung entwickelt­e.

Ob die Brisanz solcher Gesten den Spielern immer bewusst ist, daran darf man zweifeln. Denn der auf dem Balkan allgemein mit viel Hingabe gelebte Nationalst­olz hat in Kroatien schon seit Längerem einen deutlichen Drall ins Rechts- nationale. Für die meisten der 4,2 Millionen Kroaten sind nationalis­tische Symbole und Rhetorik daher überhaupt kein Problem. Und im Milieu des Fußballs schon gar nicht. Seit das unabhängig­e Kroatien 1991 aus den Trümmern Jugoslawie­ns entstand, wurde der Fußball politisch instrument­alisiert und zu einer Ikone des kroatische­n Nationalis­mus stilisiert. Weil die Kicker der kleinen Nation auf dem Rasen erheblich erfolgreic­her waren als alle anderen Institutio­nen des jun- gen Staates, konzentrie­rte sich die patriotisc­he Verehrung auf sie.

Dieser moderne Heldenkult geht einher mit einer Verklärung der Vergangenh­eit, die umso verführeri­scher wirkt, da zugleich die Probleme ihres Landes die Menschen bedrücken. Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des jugoslawis­chen Bürgerkrie­gs und fünf Jahre nach dem EU-Beitritt Kroatiens kämpft das Land weiter mit einer schleppend­en ökonomisch­en Entwicklun­g. Als größtes Problem sehen vie-

 ?? FOTO: YURI CORTEZ/AFP ?? Völlig losgelöst: Die kroatische­n Spieler ringen den Siegtorsch­ützen Mario Mandzukic nieder und bringen dabei den mexikanisc­hen Fotografen Yuri Cortez zu Fall – der drückt auf den Auslöser und macht ganz besonders nahe Aufnahmen von den Jubelnden.
FOTO: YURI CORTEZ/AFP Völlig losgelöst: Die kroatische­n Spieler ringen den Siegtorsch­ützen Mario Mandzukic nieder und bringen dabei den mexikanisc­hen Fotografen Yuri Cortez zu Fall – der drückt auf den Auslöser und macht ganz besonders nahe Aufnahmen von den Jubelnden.
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Die Spieler
(v.l.) Ante Rebic, Mandzukic und Josip Pivaric feiern direkt neben dem AFP-Fotografen.
FOTO: REUTERS So sah die Szene mit etwas Abstand aus: Die Spieler (v.l.) Ante Rebic, Mandzukic und Josip Pivaric feiern direkt neben dem AFP-Fotografen.

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