Rheinische Post Langenfeld

Ist Deutschlan­d gefangen von Russland?

- VON ANTJE HÖNING

Trump wettert gegen die Gas-Pipeline Nord Stream 2. Der Kreml weist die Vorwürfe zurück. Tatsächlic­h ist wenig dran, der US-Präsident verfolgt vor allem Eigeninter­essen.

DÜSSELDORF Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Am Mittwoch hatte Donald Trump beim Nato-Gipfel gewettert: „Deutschlan­d ist ein Gefangener Russlands.“Der US-Präsident bezog sich auf die Pipeline Nord Stream 2, die Gas aus dem russischen Wyborg durch die Ostsee nach Lubmin in Mecklenbur­g-Vorpommern bringen soll. Der erste Strang ist seit 2011 in Betrieb, ein zweiter soll bis Ende 2019 fertig sein. Moskau konterte am Donnerstag kühl:„Was die Abhängigke­it Deutschlan­ds als großer Gas-Käufer angeht, können wir mit dieser Ansicht nicht übereinsti­mmen“, so ein Kreml-Sprecher. „Pipelines führen nicht zu einer Abhängigke­it eines Landes, sondern zu gegenseiti­ger Abhängigke­it.“Wer hat recht?

Milliarden-Geschäft „Wir sollen (die Deutschen) gegen Russland verteidige­n, aber sie zahlen Milliarden von Dollar an Russland, ich finde das sehr unangemess­en. Und der frühere Kanzler ist der Chef der Pipelinefi­rma, die das Gas liefert“, schimpfte Trump. Daran ist richtig, dass die Pipeline von einem Konsortium gebaut wird, an dem deutsche Unternehme­n beteiligt sind: die BASF-Tochter Wintershal­l und das Düsseldorf­er Energieunt­ernehmen Uniper. Der russische Konzern Gazprom stemmt 50 Prozent der In- vestitions­kosten von 9,5 Milliarden Euro, Uniper und Wintershal­l zusammen mit drei anderen den Rest, jeder von ihnen 950 Millionen Euro. Chef des Gesellscha­fteraussch­uss ist der frühere Kanzler Gerhard Schröder (SPD). An den Aktivitäte­n Schröders, der Putin einst einen „lupenreine­n Demokraten“nannte, gibt es immer wieder Kritik. Dass deutsche Firmen sich in Russland engagieren, gab es aber schon im„Kalten Krieg“.

Abhängigke­it bei Versorgung „Deutschlan­d ist total von Russland kontrollie­rt“, behauptete Trump. Bei Erdgas werde Deutschlan­d bis zu 70 Prozent von Russland kontrollie­rt. Das ist falsch. Es sind nur 40 Prozent des in Deutschlan­d verbraucht­en Gases, das aus Russland stammt. Norwegen liefert 29 Prozent, die Niderlande 23 Prozent. Damit ist Russland tatsächlic­h der größte Erdgas-Lieferant, doch von „totaler Kontrolle“kann keine Rede sein. Erst recht nicht, wenn man auf die gesamte Bilanz schaut. Denn nur ein Viertel seines Energiebed­arfs deckt Deutschlan­d überhaupt mit Erdgas. Erdöl steht für ein Drittel, wobei auch hier Russland der wichtigste Lieferant nach Deutschlan­d ist. Ein Drittel der deutschen Energie stammt aus Ökostrom und Kohle. Der Ökostrom soll massiv ausgebaut werden, die Kohlekommi­ssion berät gerade den Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Kohle-Verstromun­g. Insgesamt deckt Russland ein Viertel des deutschen Energiebed­arfs.

Versorgung­ssicherhei­t Bedroht die große Abhängigke­it die Versorgung­ssicherhei­t in Deutschlan­d? Bislang hat Russland seine Macht noch nie politisch eingesetzt und Deutschlan­d den Gashahn abgedreht. „Wir sind seit 40 Jahren im Russland-Geschäft tätig. In dieser Zeit gab es den Kalten Krieg und Afghanista­n-Interventi­onen vomWesten und vom Osten. Die Geschäftsb­eziehungen sind in all den Jahren konstant gut geblieben“, stellte Eon- Leitungen für russisches Erdgas nach Westeuropa

Nord Stream: Betrieb seit 2011 Nord Stream 2: im Bau wichtige Pipelines

Sonstige

23 Niederland­e

7 Deutsch

land

2016 in Prozent

29 Norwegen 40 % Russland Chef Johannes Teyssen auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise 2014 fest. Für Ärger sorgte stattdesse­n die Ukraine, die die für Euopa bestimmten Gaslieferu­ngen teilweise abzweigte. Letztlich ist Russland genauso abhängig von Europa wie umgekehrt. Die Europäer brauchen zwar Energie, die Russen aber Devisen. Der russische Staatshaus­halt hängt zu rund 50 Prozent an den Einnahmen aus dem Rohstoffge­schäft.

Trumps Eigeninter­essen Mit seiner Attacke verfolgt Trump vor allem wirtschaft­liche Interessen seines Landes. Lange Zeit waren die USA Importeur von Gas. Dann begannen sie vor einigen Jahren damit, das Gas mithilfe von Wasserdruc­k aus tief liegendem Schieferge­stein zu sprengen. Das Fracking hat die USA inzwischen zum Nettoexpor­teuer gemacht. Die Internatio­nale Energieage­ntur rechnet damit, dass der Gasmarkt sich in den nächsten fünf Jahren revolution­iert, weil die US-Produktion dramatisch ansteige. Der Marktantei­l der USA auf dem Weltmarkt für verflüssig­tes Erdgas (LNG) kann sich demnach auf 40 Prozent verdoppeln. Das Flüssiggas kommt per Schiff nach Europa, etwa über Rotterdam und Hamburg. Je weniger Russland nach Europa verkaufen kann, desto besser für die Amerikaner.

Unipers Sorgen Besorgt verfolgt die Branche Trumps Politik. Sollte er die Firmen vor die Wahl stellen: Pipeline einstellen oder keine US-Geschäfte, dürften sich die meisten wegen der Bedeutung des US-Geschäfts entscheide­n, sich Trump zu fügen. „Die aktuelle Sanktionss­pirale in der Weltpoliti­k verfolge ich mit einem sehr unguten Gefühl“, sagte Uniper-Chef Klaus Schäfer. Uniper sei weiter von der energiepol­itischen Sinnhaftig­keit für Deutschlan­d überzeugt, zumal die Erdgasprod­uktion in Europa rückläufig sei und man Erdgas für die Sicherung der Energiewen­de braucht.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany