Rheinische Post Langenfeld

Deutscher Fußball, mach die Augen auf!

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Es sind unsere Tugenden, die bei der WM den Erfolg bringen. Leider haben wir sie nicht eingebrach­t.

Ich habe zuletzt immer wieder den Kopf geschüttel­t, wenn ich gelesen oder gehört habe, wie schlecht die Spiele bei der Weltmeiste­rschaft seien. Erstens finde ich, dass das nicht stimmt. Und zweitens frage ich: Wie schlecht sind wir dann? Wir sind als Letzter in einer machbaren Vorrundeng­ruppe ausgeschie­den. Jetzt zu sagen, dass das, was da gespielt wird, nicht gut ist, finde ich arrogant und überheblic­h. Liebe Leute, lieber DFB, wir können von den anderen etwas lernen.

Das hat schon Hennes Weisweiler gemacht. Er rief an und fragte: „Was machst du Sonntag?“Wenn man nichts vorhatte, wurde man als Chauffeur verpflicht­et und fuhr mit ihm zu Spielen in den Niederland­en, in Belgien oder reiste nach England. Außerdem hat er sich immer wieder ausgetausc­ht mit Trainern anderer Sportarten. Vieles war für unsere Fohlenelf sehr hilfreich. Wer mit Scheuklapp­en unterwegs ist, wird nie vorankomme­n und immer etwas verpassen. Also, deutscher Fußball, mach die Augen auf!

Das gilt aber nicht nur für uns, sondern auch für andere große Fußballnat­ionen: Argentinie­n, Brasilien, Spanien oder Italien und Holland. Sie alle sind auch gescheiter­t, weil sie zu selbstzufr­ieden sind, weil sie im eigenen Saft kochen. Man braucht Einflüsse von außen. England war in den vielen Jahren, in denen kaum etwas ging bei Weltmeiste­rschaften, immer zu sehr auf sich bezogen. Nun hat es sich geöffnet, hat mit Althergebr­achtem gebrochen und eine frische Mannschaft aufgebaut, die in der Zukunft noch Großes erreichen kann.

Trainer Gareth Southgate ist durch die Welt gereist und hat Eindrücke eingesamme­lt, unter anderem beim American Football oder beim Rugby und hat viel davon umgesetzt. Southgate ist für mich der Trainer dieser WM. Er ist mutig, innovativ und besonnen. Bravo. Dass es am Ende nicht für das Finale gereich hat für die Engländer, hat auch mit der individuel­len Klasse der Kroaten zu tun. Sie alle sind tolle Individual­isten, haben sich aber in den Dienst der Mannschaft gestellt. Modric, Mandzukic oder Rakitic – das sind echte Typen, die zeigen, worauf es im modernen Fußball ankommt.

Ihr zurückhalt­ender Egoismus ist für mich ein wesentlich­es Merk- mal dieserWM. Nicht die Teams mit den Superstars, die alles dominieren, haben sich durchgeset­zt, sondern die Mannschaft­en, die diesen Namen verdient haben, in denen sich die Stars einsortier­t und sich für das Ganze aufgeopfer­t haben. Wie auch Harry Kane bei England, De Bryune oder Hazard bei Belgien und Mbappé oder Pogba bei Frankreich.Wenn es darauf ankommt, lassen sie ihr großes Können aufblitzen, erheben sich aber nicht über die anderen. Das ist auch ein Verdienst der Trainer dieser vier Teams, die ihren Spielern, diesen Geist eingehauch­t oder sogar eingebläut haben. Moderner Fußball ist keine Einzelleis­tung. Das ist für mich eine wesentlich­e Botschaft dieser WM.

Das ist nicht neu. Und es gab, schaut man mal auf die Taktik, auch keine wirkliche Innovation bei dieser WM. Das hatte ich aber auch nicht erwartet. Trotzdem gefällt mir der Fußball, den ich in den K.o.-Spielen sehe. Denn er ist ehrlich und einfach. Und es gibt Tendenzen, die man mitnehmen kann. Zum Beispiel, dass wieder auf Keilspiele­r gesetzt wird, dass harte Verteidige­r wie Umtiti, Lovren oder Maguire wieder wichtiger werden, dass es sich lohnt, Standards oder Einwürfe zu perfektion­ieren, dass die Teams pressen und das Mittelfeld­spiel schnell überbrückt wird ohne großes Rumgeplänk­el. Viele der selbst ernannten Taktikguru­s rümpfen darüber die Nase, sie in- terpretier­en zig Sachen in ein Ballgeschi­ebe, das nicht zum Wesentlich­en kommt. Die WM zeigt auch, dass Tempo ganz wichtig ist. Wahnsinn, wie schnell gespielt wird, wie schnell der Abschluss gesucht wird, das will man doch als Zuschauer sehen. Das kann man übrigens trainieren: Indem es ein Zeitlimit gibt, wenn im Training Angriffe laufen, eine Minute, zwei Minuten, dann muss es einen Abschluss geben.

Alles in allem gefällt mir die WM, aber den großen Spaß hätte ich nur, wenn wir uns besser verkauft hätten. Dennoch freue ich mich jetzt auf das Finale. Frankreich ist Favorit, aber die Kroaten muss man erst mal besiegen. Aber wer am Ende auch gewinnt: Die beste Mannschaft wird Weltmeiste­r. Und dabei ist Mannschaft nicht nur ein Werbesloga­n, sondern wirklich ein Team. Jeder weiß, dass das schon immer meine Philosophi­e war. Schön, dass das wieder modern ist. Es sind die deutschen Tugenden, die bei der WM den Erfolg bringen. Leider hat Deutschlan­d sie nicht eingebrach­t. Wir müssen uns wieder darauf besinnen.

 ?? FOTO: AP ?? Für Berti Vogts ist Gareth Southgate der Trainer der WM. Hier tröstet der englische Coach Danny Rose. Rechts: Kyle Walker und Phil Jones.
FOTO: AP Für Berti Vogts ist Gareth Southgate der Trainer der WM. Hier tröstet der englische Coach Danny Rose. Rechts: Kyle Walker und Phil Jones.

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