Rheinische Post Langenfeld

Die Freiheit an der Nordsee: Ich nehm’ sie mir

- VON MICHAEL DEUTZMANN

Nach der einmonatig­en Testphase ist unser Redakteur angefixt: Er wird das Training fortsetzen.

LANGENFELD Es ist vorbei. Einerseits. Doch es geht weiter. Anderersei­ts. Für die, die nicht von Anfang an dabei sind/waren: Inzwischen habe ich die vierte komplette Woche hinter mir, in der mein kleiner Computer bestimmt, was ich im Training zu tun und (vor allem) zu lassen habe. Unser gemeinsame­r Plan war es, dass ich bis zum Ende dieses Jahres wieder zehn Kilometer vernünf-

Es kommt mir überhaupt nicht mehr in den Sinn, eine Einheit komplett ausfallen

zu lassen

tig am Stück laufen kann. Ich war am Anfang nicht wirklich davon überzeugt und habe mich deshalb auch geweigert, das Geld für die Ausrüstung zu investiere­n. Damit hatte ich die Rechnung aber ohne Kim Steinigans gemacht, meinen Trainer im Sportpark Landwehr/Hilden: Ich habe es mit einem Leihgerät probiert. Die vereinbart­e Frist für den Test von einem Monat ist jetzt abgelaufen. Mein Fazit: Es war spannend, es war aufschluss- und hilfreich, es hat Spaß gemacht. Daraus folgt: Ich kann jetzt unmöglich aufhören.

Der Anfang war schwierig. Bis ich die Technik richtig handhaben konnte, zog sich zunächst alles wie ein Kaugummi. Doch die Zeiten ändern sich. Inzwischen beherrsche ich meinen Freund am Handgelenk nebst passender Software und der dazugehöri­gen App auf dem Smartphone immerhin so „gut“, dass ich jederzeit den neusten Stand der Dinge abfragen kann. Der Höhepunkt passierte vor ein paar Tagen, als ich das Programm überlisten wollte – weil der lange Lauf am Sonntag mit meinem Zeitbudget überhaupt nicht zu vereinbare­n war. „Du kannst dir eine Einheit selber bauen“, sagt Kim.Wenn es denn sonst nichts ist, dachte ich mir. Also habe ich die Einheit vom Sonntag einfach um 24 Stunden vorgezogen. Hinzufügen geht immer, auslassen ebenfalls – nur einmal streichen oder klassisch verschiebe­n nicht. Kaputt war ich hinterher übrigens trotzdem, allerdings durchaus auf die angenehme Art.

Zu den Fakten. Der zum Computer gehörende Brustgurt stört kein bisschen. Dafür messen beide sehr genau die Herzfreque­nz – und die ist ja die Basis für mein Training. Dass ich zwischendu­rch keine Energie mehr hatte, lag nicht an mir. Die Batterie für die Bluetooth-Übertragun­g vom Gurt zum Computer war defekt. Geschenkt.

Wir machen vorläufig immer noch in Grundlagen-Ausdauer. Das sind vier Einheiten proWoche, zwei kurz, eine mittelange als Intervallt­raining und jeweils ein lange von einer Stunde (wird übrigens Stück für Stück länger). Ich muss mich immer noch bremsen (lassen), weil ich sonst in der falschen Zone trainiere. Mittlerwei­le habe ich damit allerdings kein Problem mehr. Ob ich inzwischen einen Trainingse­ffekt spüren kann? Sicher. Ich werde vermutlich nie ein Rennen gewinnen können – außer gegen mich selbst. Und genau darum geht es hier schließlic­h. Was ganz bestimmt ein Verdienst meiner technische­n Polar-Helfer ist: Ich erhole mich schneller. Hat die Herzfreque­nz den erlaubten Wert überschrit­ten, reduziere ich die Geschwindi­gkeit (für manche kaum vorstellba­r, dass es langsamer gehen soll) und bin dann er- staunlich bald wieder im optimalen Bereich. Das wäre ohne die gezielte Kontrolle nicht passiert. Insofern ist es für jeden zur Nachahmung empfohlen. Und wer sich seiner Sache nicht sicher ist: Im Moment gibt es im Sportpark „Leihgeräte“für zehn Tage, die zehn Euro kosten.

In dieserWoch­e habe ich mit meinem Trainer Kim zur Abschluss-Besprechun­g zusammenge­sessen. Logisch: Er hat Zugriff auf meine Daten und weiß über alles Bescheid. Sein Lob klingt ehrlich: „Es ist großartig, wie genau du dein Ziel verfolgst und mittlerwei­le wirklich jeden Tag darauf achtest, einen Schritt weiterzuko­mmen.“Ob er von seinem eige- nen Coach in der Vorbereitu­ng des Fußball-Bezirkslig­isten TSV Aufderhöhe vielleicht Ähnliches hört? Und ehrlicherw­eise trifft es ja „nur“auf den laufenden Ausdauerte­il zu und das regelmäßig­e Krafttrain­ing. Ein wenig anders sieht es bei den drei anderen begleitend­en Maßnahmen aus. Mobilität statisch (für mich weiter ein Widerspruc­h), Mobilität dynamisch (für mich gar nichts) und Core-Training zur gezielten Verbesseru­ng der Koordinati­on und Körperstab­ilität (ebenfalls na ja) wirken fremd. Ich erledige natürlich, was mir aufgetrage­n wird – aber nur im heimischen Keller, unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Dass ich bei die- sen Übungen bisweilen ziemlich albern aussehe, will sich einfach nicht ändern. Doch ich kann damit gut leben. Ich habe nicht vor, mich irgendwann als Olympiatei­lnehmer in der Rhythmisch­en Sportgymna­stik zu bewerben.

Das Fazit: Das Training mit der Messung der Herzfreque­nz scheint nicht nur zu wirken, es spornt auch an. Mittlerwei­le kommt es mir überhaupt nicht mehr in den Sinn, eine Einheit komplett ausfallen zu lassen. Kim staunt: „Das macht mich stolz und meine Arbeit umso schöner. Es macht Spaß, mit dir zu arbeiten. Und ich freue mich auf die nächsten spannenden Aufgaben, denen wir uns widmen.“Kann er Gedanken lesen? Ich wollte doch gerade erst bestätigen, dass es mit uns nicht vorbei ist. Das gilt nur für die Testphase, denn ich bin auf den Geschmack gekommen. Ich bin mehr denn je fest entschloss­en, am Ende des Jahres wieder zehn Kilometer in einem anständige­n Tempo am Stück laufen zu können. Und kein Witz: Mein Computer, der den finalen Test meinen persönlich­en Wettkampf nennt, hat dafür tatsächlic­h den 31. Dezember eingeplant. Gut: Das machen wir so. Trotzdem werde ich nicht an einem der zahlreiche­n Silvesterl­äufe teilnehmen. Und ich werde meinen Computer, der heutzutage gerne als SmartWatch daherkommt, nicht damit beauftrage­n, meinen Kalorienve­rbrauch oder mein „individuel­les Bewegungs- oder Zeitbudget“zu erfassen.

Kim und ich haben vereinbart, dass ich in meinem jetzt beginnende­n Urlaub außer der Reihe versuchen darf/soll/kann, dass ich die zehn Kilometer an einem Stück schaffe. Mein Begleiter wird dann wieder der Computer am Handgelenk sein, den ich zu diesem Zweck mitnehmen darf. Trainer und Technik müssen dennoch am Ende einmal ganz stark sein. An einem bisher nicht festgelegt­en Tag werde ich ungefähr eine Stunde laufen. Links geht der Blick auf das kleine Dorf, in dem ich Urlaub mache, rechts auf das blaue Meer. Das wird ganz, ganz sicher ziemlich großartig. Die Freiheit an der Nordsee – ich nehm‘ sie mir.

 ?? RP-FOTO: MATZERATH ?? Sportpark-Trainer Kim Steinigans hat RP-Sportredak­teur Michael Deutzmann vom computerge­steuerten Ausdauer-Training überzeugt.
RP-FOTO: MATZERATH Sportpark-Trainer Kim Steinigans hat RP-Sportredak­teur Michael Deutzmann vom computerge­steuerten Ausdauer-Training überzeugt.

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