Rheinische Post Langenfeld

Das Beste zum Schluss

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Die Kursschwan­kungen an den Märkten nehmen zu – aber das ist kein Grund zur Panik.

Erfolgreic­hen Menschen unterstell­t man gern, sie seien bei allen interessan­ten Dingen einfach früher dabei. Weshalb „spät“meist schon eine Art Tadel ist, zumal daraus ganz schnell „zu spät“wird. Dabei gibt es so manches, das erst am Ende seinen ganzen Reiz entfaltet. Der Sommer ist vielen zu heiß, der Spätsommer hingegen gilt oft als die beste Zeit des Jahres. Und zumindest hierzuland­e sind die teuersten Weine überwiegen­d Spätlesen. Ein gutes Beispiel dafür, dass Abwarten belohnt wird.

Das ist beim Geldanlege­n oft ähnlich. Wie bei Jahreszeit­en geht es auch in der Konjunktur in einem typischen Zyklus auf und ab. Auf die Rezession folgt ein Aufschwung, der steigert sich in einen Boom und mündet schließlic­h in einen Abschwung. Anders als bei den Jahreszeit­en sind hier aber wirtschaft­liche Zusammenhä­nge und menschlich­e Emotionen am Werk. Der Kalender ist deshalb kein guter Ratgeber für Konjunktur­prognosen. Gleichzeit­ig liegt es auf der Hand, dass Wechsel im Wirtschaft­swachstum ihre Spuren an den Börsen hinterlass­en.

In den vergangene­n Jahren haben vor allem Profis oft gezweifelt, ob es den klassische­n Konjunktur­zyklus weiterhin gibt. Zu stark waren die Eingriffe der Notenbanke­n nach der Finanzkris­e. So hält die EZB auch heute, bald zehn Jahre nach der Lehman-Pleite, an Negativzin­sen fest – weit weg von jeglicher Normalität. Nicht von ungefähr stellte sich der Aufschwung der vergangene­n Jahre in fast allen Kategorien als ungewöhnli­ch dar: sehr lange, bemerkensw­ert kraftlos und praktisch ohne Inflation. Doch diese Phase endete vor etwa einem Jahr.

Seitdem hat sich das Wachstum beschleuni­gt, wurde beinahe global synchronis­iert und trieb – vor allem über den Ölpreis – sogar die Inflation voran. Auch das scheint heute schon wieder Geschichte. In Deutschlan­d etwa lässt wie in den meisten Teilen Europas das Wirtschaft­swachstum nach.

Wir sind in einer späten Phase des Zyklus angekommen. Das mag manchen, der sich an den schönen Aktienkurs­gewinnen der letzten Jahre gefreut hat, vorsichtig stimmen. Doch in einer Hinsicht ist es auch eine gute Nachricht: diese Abschwächu­ng ist ein Beleg dafür, dass der Zyklus lebt. Für Anleger macht das die Sache einfacher. Denn wie man sich in einem spätzyklis­chen Markt erfolgreic­h positionie­rt, damit haben wir hinreichen­d Erfahrung. Dabei ist der zugrundeli­egende Mechanismu­s schnell beschriebe­n: am Ende einer Wachstumsp­hase laufen Gewinne und Zinsen um die Wette. In den USA ist das gerade am besten zu beobachten. Während die Notenbank seit bald zwei Jahren ihre Zinsen jedes Quartal um einen Viertel Prozentpun­kt anhebt, steigen die Unternehme­nsgewinne in jedem Jahr um einen zweistelli­gen Prozentsat­z.

An dieser Stelle wird es an den Börsen richtig spannend: es leuchtet sofort ein, dass höhere Gewinne höhere Kurse rechtferti­gen. Dagegen senken steigende Zinsen den Aktienwert, weil Zinsanlage­n im Verhältnis attraktive­r werden. Hier wirken also zwei Kräfte gegeneinan­der. Und da das nicht gleichmäßi­g passiert, sondern mal der eine und mal der andere Faktor die Schlagzeil­en beherrscht, steigen die Kursschwan­kungen.

Anleger sollten dies nicht mit einem Ende des Kursaufsch­wungs verwechsel­n. Wer mit den Schwankung­en leben kann, darf seine Aktien noch behalten. Wer lieber auf Nummer sicher geht, wird seine Geldanlage so spät im Zyklus mit sehr kurzfristi­gen Zinspapier­en stabilisie­ren wollen. Wobei das im Euro angesichts von Nullzinsen die reine Enttäuschu­ng wäre. Im US-Dollar hingegen erhält man bis zum Jahresende noch mehr als ein Prozent Zins und hat die Chance auf einen Kursgewinn in der Währung. Denn auch hier spielt die Spätzyklik eine Rolle. Europa scheint dem Abschwung schon näher, weshalb der Dollar gegenüber dem Euro bis Dezember noch ein paar Cent zulegen sollte.

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FOTO: HSBC Karsten Tripp

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