Rheinische Post Langenfeld

Fit fürs Gefecht

- VON HOLGER MÖHLE

Die Bundeswehr sorgt sich um die Leistungsf­ähigkeit ihrer Rekruten und hat deswegen ein spezielles Trainingsp­rogramm aufgelegt.

HAGENOW Die ersten 100 Meter sind überragend, die zweiten 100 Meter sehr gut. Noch wären Panzergren­adier Stetzuhn und Panzergren­adier Fey an der Seite vonWilson Kipsang, wenn der kenianisch­e Weltklasse­läufer einen sehr ruhigen ersten Kilometer eines Marathons anläuft. 36 Sekunden auf 200 Meter, doch es kommen noch 800.

Es geht hier um die Frage, die die militärisc­he Führung der Bundeswehr seit Monaten umtreibt: Wie fit ist der deutsche Rekrut? Und wenn er nicht fit genug ist, wie kriegen wir ihn fit? Ein neues Trainingsp­rogramm für die Bundeswehr soll es möglich machen, das, wenn es erfolgreic­h ist, womöglich auf die gesamte Truppe übertragen wird: Heer, Marine, Luftwaffe, Sanität, Streitkräf­tebasis. Darüber müsste der Generalins­pekteur entscheide­n. Bis dahin könnte noch einige Zeit ins Land gehen.

Und noch sind es ja 800 Meter bis ins Ziel. Stetzuhn und Fey schwitzen in ihren Trikots: Bundesadle­r auf hellblauem Grund, dunkelblau­e kurze Sporthose, uniform.

Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne, Hagenow in Mecklenbur­g-Vorpommern, Außentempe­ratur 28 Grad, Sonnensche­in. Der Inspekteur des Heeres, Generalleu­tnant Jörg Vollmer, steht am Rande der 400-Me- ter-Bahn. Der Drei-Sterne-General ist gekommen, um sich persönlich ein Bild vom „Pilotproje­kt zur Steigerung der körperlich­en Leistungsf­ähigkeit in der Grundausbi­ldung“zu machen. Am Ende geht es hier auch um Jobs, um den immer härteren Wettbewerb um qualifizie­rte und motivierte junge Menschen, dem sich die Bundeswehr als Arbeitgebe­r stellen muss.

IT-Fachleute zum Beispiel werden dringend gesucht. Problem: „ITler sind oft ziemlich unfit“, sagt ein Rekrut. Den Panzergren­adieren Stetzuhn und Fey werden derweil die Beine schwer. Trotzdem duellieren sie sich über die letzten 30 Meter noch im Sprint. Zielzeit: 3:31 Minuten. Top-Wert.

Sportlehre­r Philipp Zimmermann vom Landeskomm­ando Niedersach­sen sagt: „Ich bin stolz auf meine Jungs.“Zimmermann gehört zu jenen Leuten bei der Bundeswehr, die Rekrutinne­n und Rekruten fit machen sollen für den Truppendie­nst – Ernährungs­beratung inklusive. In der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne des Panzergren­adierbatai­llons 401 läuft dazu gegenwärti­g das bislang einzige Pilotproje­kt der Bundeswehr. 46 Rekruten, eingeteilt in drei Leistungsk­lassen.

Statt bislang 70 Stunden Sport in der Grundausbi­ldung sind es jetzt 110. Dafür dann weniger Gefechtsdi­enst: knapp 90 Stunden statt rund 120. Irgendwo muss die Fitnesszei­t ja herkommen. Die Diszipline­n: Pendelspri­nt aus der Liegeposit­ion von einer Matte um einen Pylon, zurück zur Matte, ablegen, Hände auf dem Rücken abklatsche­n, nächster Sprint. Fünfmal gegen die Uhr. Klimmhang an der Stange, wenigstens sechs Sekunden. Und 1000-Meter-Lauf, unter sechs Minuten.

Doch der Kommandeur des Bataillons, Oberstleut­ant Alexander B. Radzko, sagt: „Alleine durch Sport ist es nicht getan.“Es gebe auch die militärisc­he Fitness: Rekruten in Uniform mit Schutzwest­e ziehen einen 50 Kilogramm schweren Sack über den Sportplatz um eine Pylonen- bahn. Die Übung simuliert, wie sie einen verletzten Kameraden aus der Schusslini­e bringen.

Bei allen Übungen schwingt im Hintergrun­d mit: Die Bundeswehr ringt mit der Welt da draußen um die besten Kandidaten. GeneralVol­lmer:„Wer einmal zu uns gekommen ist, den wollen wir auch halten.“In Nordrhein-Westfalen und auch im deutschen Osten habe man auch bei den Mannschaft­sdienstgra­den keine oder kaum Rekrutieru­ngsproblem­e. In Baden-Württember­g, wo die Bundeswehr mit Porsche oder Mercedes in Konkurrenz um Fachkräfte steht, sehe es schon anders aus.

Das neu aufgelegte Fitnesspro­gramm soll auch den Ausbildern „Verhaltens­sicherheit“geben, was sie den Soldaten körperlich abverlange­n können. Bisher habe in Hagenow noch kein einziges Mal der Sanitäter eingreifen müssen. Und mancher Rekrut habe in sechs Wochen acht bis zehn Kilo abgenommen, erzählt Kommandeur Radzko.

Heeresinsp­ekteur Vollmer umschreibt das Ausgangspr­oblem mit dem Nachwuchs mit denWorten des militärisc­hen Führers:„Wir müssen die jungen Menschen da abholen, wo sie stehen.“Das ist – gemessen an der körperlich­en Fitness – oft ziemlich weit unten. Zu wenig für den Soldatenbe­ruf. Eigentlich. Aber bitte: Was nicht ist, soll möglichst noch werden. Vollmer: „Wir können es uns nicht leisten, jemanden nicht zu nehmen, nur weil er zunächst die körperlich­en Anforderun­gen nicht erfüllt. Wer einmal weg ist, der kommt nicht wieder.“

Ein Ausbilder schimpft über das „Hotel Mutti“, das junge Frauen und Männer zu lange sorgenfrei halte. Vollmer sagt, es bringe nichts, darüber zu diskutiere­n, „ob unsere Generation vielleicht fitter war. Sie war anders.“Einfach weniger Playstatio­n, mehr Bewegung. Aber das sagt Vollmer nicht. Er betont: „Wir müssen unsere Soldaten so ausbilden, dass sie im Gefecht bestehen.“Mali, Afghanista­n, Irak. Der nächste Einsatz kommt bestimmt.

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FOTO: DPA Soldaten des Panzergren­adierbatai­llons 401 in Hagenow bei Schwerin beim Fitness-Test.

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