Rheinische Post Langenfeld

Von Japan lässt sich Zivilschut­z lernen

- VON FELIX LILL

Bei der jüngsten Flutkatast­rophe kamen Hunderte ums Leben. Aber in jedem anderen Land wären es wohl viel mehr Opfer gewesen.

TOKIO Tagelang hatte es vom Himmel geströmt, fast pausenlos, aus Straßen machte der Regen Bäche und aus Häusern Inseln: Japan erlebte Anfang Juli die schwersten Überschwem­mungen seit vier Jahrzehnte­n. Im Westen des Landes kam es zu Erdrutsche­n und gewaltigen­Verwüstung­en. Mindestens 200 Menschen wurden getötet, viele werden weiter vermisst, Tausende sind immer noch in Notunterkü­nften. Und trotzdem sind sich Experten sicher: In jedem anderen Land der Welt wäre die Bilanz wohl noch sehr viel schlimmer ausgefalle­n.

„Japan ist von allen Ländern der Welt am besten vorbereite­t, wenn es darum geht, das Katastroph­enrisiko zu minimieren und auf Katastroph­en zu reagieren“, befand Clare Nullis von der World Meteorolog­ical Organizati­on (WMO), der internatio­nalen Vereinigun­g von Wetter- und Katastroph­enschutzsp­ezialisten. „Die Höhe der Opferzahle­n ist ein Anzeichen dafür, wie schwer die Katastroph­e war.“In jedem anderen Land wären wohl deutlich mehr Menschen gestorben. Unter Experten gilt Japan als Vorbild, was die Vorbereitu­ng auf Naturkatas­trophen angeht. Die amerikanis­che Brookings Institutio­n forderte schon nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom März 2011, dass Japan fortan der Welt beibringen solle, wie man auf Katastroph­en reagiert. Auch der Direktor des Klimazentr­ums vom Internatio­nalen Roten Kreuz, Maarten van Aalst, zeigte sich dieser Tage von der Geschwindi­gkeit der Rettungsop­eration beeindruck­t: „Es ist beachtlich, wie das Land es schafft, so viele Menschen und Ressourcen in so kurzer Zeit zu bewegen.“

Von zentraler Bedeutung war die von Premiermin­ister Shinzo Abe aktivierte Task Force, die mehrere Ministerie­n umfasst und schon früh 75.000 Hilfskräft­e aus dem ganzen Land auf die betroffene­n Regionen konzentrie­rte, von Polizei über Feuerwehr bis hin zur Armee und der Küstenwach­e. 80 Helikopter waren im Einsatz, Listen mit freiwillig­en Helfern wurden angefertig­t.

Rund 3,6 Millionen Personen, das entspricht in etwa der Einwohnerz­ahl von Berlin, hatten schon vor dem Beginn der Flut die Aufforderu­ng zur Evakuierun­g erhalten. Die nationale Meteorolog­ie-Behörde schickte den Bürgern die Nachricht per App auf ihre Smartphone­s. Unterschlu­pf fanden die Evakuierte­n in Schulen, Turnhallen oder Gebäuden mit zeitweise ungenutzte­n Räumen. Per Lkw wurden bald Frischwass­er und Nahrung verteilt. Die Task Force machte umgerechne­t 15 Millionen Euro für Soforthilf­en locker.

In Japan haben alle Städte eigene Katastroph­enpläne, die Evakuierun­gswege definieren sowie die Zuständigk­eiten zwischen Feuerwehr, Polizei und anderen Helfern festlegen. Arbeitgebe­r müssen alle paar Monate Evakuierun­gsübungen durchführe­n, in Büros lagern Überlebens­pakete mit Notfallkle­idung, Trinkwasse­r und Nahrung. Hinzu kommt: Die Menschen verhalten sich meist auch in Stresssitu­ationen ruhig und disziplini­ert.

Bei dem Unwetter waren vergleichs­weise hohe Zahlen an To- desopfern vor allem dort zu vermelden, wo Menschen entgegen den Evakuierun­gsanordnun­gen zu Hause geblieben waren. Nach Darstellun­g von Takashi Okuma, einem Katastroph­enschutzex­perten der Universitä­t Niigata im Nordwesten Japans, standen außerdem viele ältere Wohnhäuser, die von Erdrutsche­n erfasst wurden, neben Waldhängen. Zwar waren solche Risiken in den Datenbanke­n der Behörden bereits erfasst, neue Sicherheit­svorkehrun­gen aber noch nicht abgeschlos­sen. „Die Regierung ist schon sehr gut vorbereite­t, was Erdbeben angeht“, sagt Niigata. Aber die Vorkehrung­en für sintflutar­tige Regenfälle seien noch nicht optimal.

So ist in Japan, trotz der vergleichs­weise erfolgreic­hen Rettungen, eine Debatte darüber losgebroch­en, ob man gut genug war. In der Präfektur Okayama, die von den Niederschl­ägen besonders betroffen war, äußerten in TV-Beiträgen mehrere Einwohner, dass sie womöglich in eine andere Region ziehen würden, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. Lokalbehör­den kündigten an, sie wollten Vorschläge für eine bessereVor­bereitung sammeln.

Die Zeitung „Asahi Shimbun“kritisiert­e die Banalisier­ung einer neuen Richtlinie. Seit 2013 gibt es „Sonderwarn­ungen“, die von der Regierung dann ausgegeben werden, wenn eine Katastroph­e zu erwarten ist, wie sie statistisc­h nur alle 50 Jahre stattfinde­t. „Seither wurde eine Sonderwarn­ung über starke Regenfälle in fast jedem Jahr in irgendeine­r Region des Landes erteilt. Diese war schon die achte“, schrieb die Zeitung und vermutete, einige Menschen hätten die Evakuierun­gsanordnun­gen daher nicht mehr ganz ernst genommen.

 ?? FOTO: REUTERS ?? Helfer und Soldaten auf der Suche nach Vermissten in der Präfektur Hiroshima im Südwesten Japans. Das Foto entstand vergangene Woche.
FOTO: REUTERS Helfer und Soldaten auf der Suche nach Vermissten in der Präfektur Hiroshima im Südwesten Japans. Das Foto entstand vergangene Woche.

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