Rheinische Post Langenfeld

Warum viele Studien Unsinn sind

- VON RAINER KURLEMANN

ANALYSE In Deutschlan­d hat sich die Zahl der wissenscha­ftlichen Publikatio­nen deutlich erhöht. Nur sind viele Arbeiten unwahr. Pseudoverl­age scheren sich nicht um Kontrolle, es geht nur um Geld. Das schadet der Wissenscha­ft.

Die Nachricht selbst ist keine Überraschu­ng. Es musste ja so kommen. Mehr als 5000 Forscher von deutschen Hochschule­n haben ihre wissenscha­ftlichen Ergebnisse in vermeintli­chen Fachmagazi­nen veröffentl­icht, die gegen einen Geldbetrag alle wissenscha­ftlichen Standards ignorieren. Solche Pseudoverl­age bieten Magazine mit seriös klingenden Namen und sind durchaus bereit, auch kompletten Unsinn als Wissenscha­ft zu präsentier­en, wenn der Autor nur genug Geld dafür bezahlt.

Über diesen Umweg können Scharlatan­e beispielsw­eise unwirksame Hokuspokus-Medizin mit dem Mäntelchen „erprobt in wissenscha­ftlichen Studien“bewerben und sich damit ein ungerechtf­ertigtes Vertrauen bei den Betroffene­n erschleich­en. Unsinn und Unwahrheit­en werden salonfähig. Die Betreiber dieser Verlage interessie­ren sich nicht im Geringsten für die vermeintli­che Studie; sie lesen nicht deren Inhalt, sondern nur ihre Kontoauszü­ge. DieVerlage bezeichnen das Honorar gern unauffälli­g als Verwaltung­skosten für administra­tive Aufwände.

Offenbar sind diese Magazine so gut gemacht, dass auch vielen hochqualif­izierten Wissenscha­ftlern die bedenklich­e Qualität der Erzeugniss­e nicht aufgefalle­n ist. Denn zu den Forschern, die in solchen Fake-Produkten publiziere­n, gehören nach Erkenntnis­sen des Recherchev­erbundes aus NDR, WDR und „Süddeutsch­er Zeitung“auch namhafte Wissenscha­ftler, die es gar nicht nötig haben, auf dieses Niveau hinabzuste­igen. Zu den 5000 Autoren zählen Mitarbeite­r der renommiert­en Helmholtz-Gemeinscha­ft, der Fraunhofer-Institute und von Bundesbehö­rden. Diejenigen, die sich zu diesem Vorwurf offiziell geäußert haben, sehen sich nicht als Täter, sondern verstehen sich eher als Opfer eines Betruges. So erklärte Bernd Scholz-Reiter, der Rektor der Universitä­t Bremen, er habe zum Zeitpunkt der Publikatio­n keine Zweifel an der Seriosität der betreffend­en Verlage gehabt.

Man kann nur spekuliere­n – aber die Vermutung liegt nahe, dass die Autoren die Qualität des Fachjourna­ls gar nicht überprüft haben. Vielmehr haben sie eine günstige Gelegenhei­t gefunden, dem hohen Druck auszuweich­en, unter dem Forscher auf befristete­n Stellen, die ständig neu beantragt werden müssen, und Nachwuchsw­issenschaf­tler stehen. Sie müssen viel publiziere­n, denn die Anzahl ihrer wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichungen ist mehr und mehr zum Gradmesser der fachlichen Qualifikat­ion geworden und damit richtungse­ntscheiden­d für die berufliche Zukunft.

Sicher, es gibt ein paar Dutzend herausrage­nde Forscher, die ihre Ergebnisse in den besten wissenscha­ftlichen Journalen wie „Nature“oder „Science“unterbring­en und damit quasi den Ritterschl­ag der internatio­nalen Forscher-Community bekommen. Aber es gibt auch jene Forscher, die gute Arbeit leisten, deren Resultate es aber nicht bis in die Spitzen-Magazine schaffen. Nicht jede Studie, die in Fake-Magazinen erscheint, ist falsch oder gar Betrug, manche sind nur so flach oder unwichtig, dass sie von den Kontrollgr­emien der seriösen Verlage abgelehnt werden.

Das alles kann eine Erklärung sein, warum sich die Zahl solcher Publikatio­nen in den vergangene­n fünf Jahren weltweit verdreifac­ht und in Deutschlan­d sogar verfünffac­ht hat. Aber es darf natürlich nicht als Rechtferti­gung dienen für den Verlust an Vertrauen in die Wissenscha­ft, den die Autoren damit auslösen und zumindest in Kauf nehmen, wenn sie sich für ein solches Schlupfloc­h entscheide­n. Das Ansehen der Wissenscha­ft kann dadurch in eine dauerhafte Krise geraten, dabei können viele unserer Probleme nur mit Hilfe gut ausgebilde­ter, kritischer und seriöser Forscher gelöst werden. Wissenscha­ft ist dabei abhängig von einem System der Selbstkont­rolle, das über Jahrzehnte hinweg meist tadellos funktionie­rt hat. Das Verfahren heißt „Peer Review“und besagt, dass Experten auf dem gleichen Gebiet, die nicht an der Forschung beteiligt waren, die Manuskript­e ihrer Kollegen bewerten, zusätzlich­e Nachweise anfordern und so die Ergebnisse kontrollie­ren. Diese konsequent­e Qualitätss­icherung hat den Fachzeitsc­hriften den guten Ruf eingebrach­t, den sie zu Recht genießen.

Natürlich hat dieser Prozess Fehler in wissenscha­ftlichen Arbeiten übersehen, die wurden dann aber nach der Veröffentl­ichung publik, wenn andere Kollegen sich mit den neuen Erkenntnis­sen beschäftig­ten. Fake-Magazine verzichten auf „Peer Review“oder täuschen sie nur vor. Und weil deren Inhalte beim Fachpublik­um kein großes Interesse finden, bleibt wissenscha­ftlicher Unsinn später unentdeckt. Die Leidtragen­den sind Laien, die auf einen Artikel vertrauen, den niemand überprüft hat.

Jeder Forscher, der seine Arbeiten ohne Kontrollen veröffentl­icht, schadet derWissens­chaft. Denn von jedem prominente­n Namen in einem Fake-Magazin profitiere­n die teils kriminelle­n Fälscher, die eine von ihren eigenen Interessen geprägte Forschung salonfähig machen wollen und als Trittbrett­fahrer vom Vertrauens­vorschuss der Wissenscha­ft profitiere­n. So verbreiten sich Halbwahrhe­iten und gezielte Falschmeld­ungen, die den Recherchen zufolge bereits in Gutachten von deutschen und internatio­nalen Behörden zitiert worden sind.

Es ist müßig, erneut an den Anstand und die Sorgfaltsp­flicht der Forscher zu appelliere­n. Das Problem ließe sich lösen, wenn die Qualität der Fachjourna­le weltweit kontrollie­rt und mit Qualitätsz­ertifikate­n versehen würde. Dass dafür keine Mehrheit in Sicht ist, stimmt traurig. Denn in einer Welt, in der jeder Bürger vermehrt Zugang zu Informatio­nen bekommt, sollte die Qualität einer Quelle bekannt sein. Das gilt auch für die Wissenscha­ft.

Das Problem ließe sich lösen, wenn die Qualität der Fachjourna­le weltweit kontrollie­rt würde

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