Rheinische Post Langenfeld

Die Mühen der Justiz

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Mehr als 1000 Asylverfah­ren stapeln sich in der 25. Kammer des Verwaltung­sgerichts Köln. Die Richterin

Stefanie Seifert arbeitet sie nacheinand­er ab. Ganz leicht ist das nicht. Ein Montag bei Gericht.

Rechtsanwa­lt. Und eine Referendar­in, die von Seifert lernen will.

Eine Stunde, vielleicht 15 Minuten mehr, hat die Richterin für die mündliche Verhandlun­g an diesem Montag eingeplant. Aber es kommt, wie eigentlich immer in Asylverfah­ren, anders. Die Frau soll erzählen, warum sie aus Aserbaidsc­han geflohen ist. Sie kann sich an kaum etwas erinnern, nicht an wichtige Daten, nicht an wichtige Personen. Selbst jemand, der das Verfahren gar nicht kennt, bemerkt nach wenigen Minuten Widersprüc­he. Es hört sich, ehrlich gesagt, recht aussichtsl­os an.

Seifert zum Rechtsanwa­lt: „Wollen Sie vielleicht mal was mit Ihrer Mandantin klären?“

Rechtsanwa­lt, lächelt, winkt ab: „Nein, alles gut.“

Seifert: „Aber die Widersprüc­he bemerken Sie schon?“Rechtsanwa­lt, nickt: „Jaja.“

Ein Verteidige­r, der offenbar weder das Ehepaar noch seinen Fall kennt, soll dabei helfen, einen Auf- enthaltsti­tel zu bekommen. Wahrschein­lich wäre dazu mehr erforderli­ch, als sich bloß im Gerichtssa­al aufzuhalte­n. Wenn dieser Anwalt zur „Anti-Abschiebe-Industrie“von Alexander Dobrindt gehört, dann muss der CSU-Politiker sich nicht fürchten.

Stefanie Seifert zögert etwas, bevor sie verrät, dass sie 50 Jahre alt ist.Vor ihrem Jurastudiu­m hat sie im Verwaltung­sdienst eine Ausbildung gemacht und festgestel­lt: „Verwaltung macht Spaß.“Das zieht sich durchs Studium bis zu diesem Montag 2018. Das zweite Examen macht sie 1997, kurz danach ist sie Richterin am Verwaltung­sgericht. Asylrecht gehörte zwar auch damals schon zu ihrem Job, aber heute macht es 75 Prozent der Verfahren aus. „Das ist halt so“, sagt sie.

Das ist halt so. Mit einer anderen Haltung würde es wohl schwer. Drei mündlicheV­erhandlung­en hatte Stefanie Seifert für den Tag angesetzt. Die erste muss sie verschie- ben, weil ein Anwalt nicht kann. Bei der zweiten kommt der Kläger nicht. 20 Minuten wartet sie, auch 30. Dann ist es genug. Gut sieht es nicht für ihn aus.„Man hat ein Recht auf eine mündliche Verhandlun­g“, sagt sie. „Aber nicht auf zwei.“

Das einzige Verfahren, das nun wirklich verhandelt wird, zieht sich dafür hin. Nachdem sie die Frau vernommen hat, würde sie das ganze gern wegen der vielen Widersprüc­he beenden. Aber der Anwalt besteht auf einem Urteil, das hatte sein Arbeitgebe­r ihm so aufgetrage­n. Also befragt Seifert noch den Mann,„auch wenn es zwei Stunden dauert“, sagt sie. Der Anwalt guckt nun nervös auf die Uhr, sagt, darauf könne man doch verzichten. Aber so läuft das nicht. Es geht weiter. Das Urteil fällt Seifert in zwei Wochen.

Eine der vielen brüchigen Stellen in den Asylverfah­ren sind die Dolmetsche­r. Es ist nicht ganz einfach, einen guten Dolmetsche­r für Aserbaidsc­hanisch zu finden, wo die meisten Deutschen vermutlich nicht mal davon ausgehen, dass es diese Sprache überhaupt gibt. Seifert erzählt, dass sie mal das Gefühl hatte, der Dolmetsche­r interpreti­ere das Gesagte etwas freier. Deswegen reist die Aserbaidsc­hanisch-Dolmetsche­rin nun aus Paderborn an.

Seifert nimmt die Dinge, wie sie sind. Aber wenn sie einen Wunsch äußern könnte, dann würde sie gern Vertreter des Bamf in ihrenVerha­ndlungen haben. Die Menschen verklagen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d, aber die kommt nicht zum Prozess. Das Bamf hat zu wenige Mitarbeite­r, die das könnten. Aber weil keiner kommt, kann Seifert Verfahren mit fehlerhaft­en Asylbesche­iden nicht einfach einstellen. Sie muss immer ein Urteil fällen. Und das hält auf. „Es ist ein mühseliges Geschäft“, sagt sie.

Die Verwaltung­sgerichte in NRW haben vom Land ein paar Richter zur Unterstütz­ung bekommen, sonst würde das alles nicht gelingen. Die Zahl der neuen Verfahren geht zwar allmählich zurück, aber die Aktenberge werden kaum kleiner.„Wir bräuchten vermutlich doppelt so viele Richter“, sagt Stefanie Seifert. Aber die gibt es nicht. Und deswegen hängt sie die halbe Stunde vom Frühsport abends dran. Die Akten müssen ja irgendwann mal weg.

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