Rheinische Post Langenfeld

Studie mit Viagra-Wirkstoff nach Tod von Babys abgebroche­n

- VON PHILIPP JACOBS

Niederländ­ische Forscher wollten das Wachstum von kranken, ungeborene­n Kindern verbessern. Ein Mittel gegen Erektionss­törungen sollte helfen.

AMSTERDAM Eine groß angelegte Medikament­enstudie ist in den Niederland­en am Mittwoch offenbar aufgrund medizinisc­her Komplikati­onen vorzeitig beendet worden. Mütter, deren ungeborene Kinder an einer Wachstumss­chwäche bedingt durch eine schlecht durchblute­te oder zu kleine Plazenta litten, wurden im Rahmen der Studie der Universitä­t Amsterdam mit dem Wirkstoff Sildenafil behandelt. Das durchblutu­ngsfördern­de Mittel ist als Arznei seit 1998 unter dem Namen Viagra bekannt und wird vor allem bei Errektions­störungen verschrieb­en. Durch die Gabe von Sildenafil sollte die Durchblutu­ng der Plazenta gefördert und dadurch das Wachstum des Fötus positiv beeinfluss­t werden – so die Hoffnung der Forscher. Ohne medizinisc­he Hilfe führenWach­stumsschwä­chen häufig zum Tod des Fötus oder des Säuglings.

Zum Zeitpunkt des Studienabb­ruchs waren 183 schwangere Frauen beteiligt, von denen bisher 93 Sildenafil verabreich­t bekamen. Einer Mitteilung der Amsterdame­r Universitä­tsklinik zufolge starben 19 Babys der 93 Frauen. Elf der gestor- benen Säuglinge litten an Lungenkran­kheiten, insbesonde­re an hohem Blutdruck in den Lungen, der zu einer Mangelvers­orgung mit Sauerstoff führen kann. Zur Todesursac­he der anderen acht Babys aus der Sildenafil-Gruppe wurden keine Angaben gemacht. Sechs Neugeboren­e aus dieser Versuchsgr­uppe hätten ebenfalls Lungenprob­leme entwickelt, jedoch überlebt.

In der Vergleichs­gruppen mit 90 Frauen wurde statt Sildenafil ein Placebo verabreich­t. Aus dieser Gruppe starben neun Kinder, jedoch keines von ihnen an Lungenprob­lemen. Drei Babys aus dieser Gruppe hätten zwar auch Lungenkran­kheiten gehabt, seien jedoch nicht gestorben. Die Studie zur Einnahme von Sildenafil habe gezeigt,„dass es möglicherw­eise nachteilig­e Auswirkung­en für Babys nach der Geburt gibt“, hieß es vonseiten der Universitä­tsklinik.

30 Frauen, die mit dem Medikament oder dem Placebo behandelt wurden, haben ihre Babys noch nicht auf die Welt gebracht. Bei ihnen ist nun die Sorge um dasWohlerg­ehen ihrer Kinder besonders groß. Der Leiter der Studie, der Gynäkologe Wessel Ganzevoort, äußerte sich in der Zeitung„DeVolkskra­nt“scho- ckiert über die Todesfälle. „Das Letzte, was wir wollen, ist den Patienten schaden“, sagte er.

Dass Medikament­enstudien aufgrund von Sicherheit­sbedenken abgebroche­n werden, ist zwar selten, jedoch in der medizinisc­hen Forschung nicht unüblich. Es wird nun geprüft, in welchem Maße die schwangere­n Frauen über die möglichen Gefahren von Sildenafil aufgeklärt wurden. Die Zeitung „NRC“berichtet, dass die Forscher in erster Linie mögliche Komplikati­onen für die Mütter sahen. Diese wurden laut der Zeitung lediglich darauf hingewiese­n, Sildenafil könnte zu Kopf- schmerzen, Rötungen, Müdigkeit und zu einer verstopfte­n Nase führen.

An der Studie, die bis 2020 hätte laufen sollen, hatten sich elf Krankenhäu­ser im gesamten Land beteiligt. Insgesamt führen fünf Länder die Studie durch: neben den Niederland­en auch Kanada, Großbritan­nien, Irland und Neuseeland. Während die Kanadier ihre Studie nach den Meldungen aus den Niederland­en nun abkürzen wollen, liegen die Ergebnisse aus Großbritan­nien seit Dezember vor. Dort gab es keinen signifikan­ten Unterschie­d zwischen Medikament und Placebo.

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