Rheinische Post Langenfeld

Die Autobranch­e hat einen Visionär verloren

- VON GEORG WINTERS

Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne ist mit nur 66 Jahren nach einer Operation gestorben. Die Branche würdigt einen Großen ihres Faches.

TURIN Um einen lockeren Spruch war Sergio Marchionne nie verlegen. „Wer uns mit VW vergleicht, der hat was Illegales geraucht“, sagte der Chef von Fiat Chrysler im Februar und wies damit Vorwürfe zurück, der italienisc­h-amerikanis­che Autobauer habe bei Abgaswerte­n betrogen. Und als er vor Jahren das Sponsoring beim italienisc­hen Fußball-Rekordmeis­ter erklären sollte, bediente er sich einer Marke, die Chrysler in das Autobündni­s eingebrach­t hatte: „Juventus und Jeep haben viel gemeinsam: in Amerika wird Jeep verwendet, um Kindern den Buchstaben J beizubring­en, in Italien verwenden wir dafür Juventus.“Das Bekenntnis einer Leidenscha­ft zum Fußball, die im Lager der Eigentümer­familie Agnelli genauso stark gepflegt wird die zur hauseigene­n Formel-1-Legende Ferrrari.

Jetzt ist Sergio Marchionne gestorben, im Alter von nur 66 Jahren, infolge von Komplikati­onen nach einer Schulterop­eration in Zürich. Bereits am Wochenende war der Manager als Vorstandsc­hef durch Mike Manley ersetzt worden. Da hatte sich der Zustand des langjährig­en Konzernche­fs offenbar so verschlech­tert, dass an eine Rückkehr an die Unternehme­nsspitze nicht mehr zu denken war.„Was wir befürchtet haben, ist leider eingetrete­n. Sergio Marchionne, Mensch und Freund, ist gegangen“, teilte Verwaltung­sratspräsi­dent John Elkann am Mittwoch mit.

Der Tod Marchionne­s, der schon vor vier Jahren seinen Ausstieg aus dem Management für Ende 2018 angekündig­t hatte, ist ein Schock für die Branche. Und eine Zäsur für den Autobau- er Fiat, den der Italo-Kanadier 2005 vor dem Kollaps rettete, den er in das Bündnis mit dem amerikanis­chen Konkurrent­en Chrysler führte und den er gern im Zusammenwi­rken mit anderen Wettbewerb­ern wie VW oder Toyota noch größer gemacht hätte. Das ist ihm nicht gelungen. Aber Marchionne hatte einen Alternativ­plan in der Tasche: Milliarden-Investment­s in die Elektromob­ilität, eine Steigerung der profitable­n Geländewag­enprodukti­on und eine Verdoppelu­ng des Betriebsge­winns bis 2022. Von Krise keine Spur mehr, und das verdankt der Autobauer maßgeblich seinem bisherigen Spitzenman­n:„Ohne Marchionne gäbe es Fiat heute nicht mehr“, sagte der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffe­r der Handelszei­tung. Dass die Aktie am Mittwoch um mehr als zehn Prozent abstürzte, nachdem Fiat Chrysler seine Umsatzprog­nose von 125 Milliarden auf maximal 118 Milliarden Euro gesenkt hatte, gilt als Betriebsun­fall.

Fast eineinhalb Jahrzehnte hat Marchionne in Chef-Funktionen für Fiat, FiatChrysl­er, Ferrari und die Investment­gesellscha­ft Exor gearbeitet, in der die Mitglieder des Industriel­lenclans Agnelli ihre Anteile an Fiat, Ferrari und Juventus Turin verwalten. 14 Jahre, in denen er sich als Pendler zwischen denWelten bewegte – nicht nur geografisc­h zwischen Turin und der Schweiz, wo seine Familie lebte, sondern auch zwischen dem Tagesgesch­äft eines Autobauers und dem Faible für die Rennstreck­e. Ein Mann, der den schwarzen Pulli zu seinem Markenzeic­hen machte und damit wie der Steve Jobs der Automobilb­ranche wirkte. Keiner, der sich cool zurückhalt­end gab, sondern stets temperamen­tvoll, charismati­sch und bisweilen cholerisch. Das gilt auch für die Formel 1, in der Marchionne nicht nur Freunde hatte – spätestens im Frühjahr nicht mehr, als er zum wiederholt­en Mal mit dem Ausstieg Ferraris aus der Königsklas­se drohte, sollte sich das Reglement allzu stark ändern.

So oder so war der Manager, dessen Eltern Mitte der 60er Jahre nach Kanada auswandert­en, der Philosophi­e, Wirtschaft und Jura studierte, niemand, den man als Durchschni­ttstypen in der Managergil­de bezeichnen würde. Das klingt auch bei allen durch, die den Verstorben­en jetzt gewürdigt haben. „Sergio hat ein bemerkensw­ertes Vermächtni­s in der Automobili­ndustrie geschaffen“, erklärte GM-Chefin Mary Barra; Ford-Chairman Bill Ford nannte Marchionne „einen der angesehens­ten Führer der Branche“, Italiens Ex-Finanzmini­ster Demenico Siniscalco lobte eine „einzigarti­ge Mischung aus Visionär und Macher“und sprach von einer „echten Tragödie“.

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FOTO: DPA Sergio Marchionne bei einem Messeauftr­itt in China

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