Rheinische Post Langenfeld

Freiwillig­e für Soziales Jahr sind rar

- VON BERND ROSENBAUM

Viele Hilfs-, Betreuungs- und Pflegeeinr­ichtungen im Kreis haben noch offene Stellen an interessie­rte Jugendlich­e oder Erwachsene zu vergeben. Doch die Resonanz ist mau. Das könnte auch am zu geringen finanziell­en Anreiz liegen.

HILDEN/KREIS METTMANN Can Frieters hat es gut. Er darf während der Arbeitszei­t „Mensch ärgere dich nicht“spielen. Das freut auch Gertrud Neumann. Seit einem Schlaganfa­ll vor anderthalb Jahren wohnt sie im Haus Buche im Dorotheenv­iertel der Graf-Recke-Stiftung. „Der Can ist sehr nett, der zeigt überhaupt keine Berührungs­ängste“, sagt die Seniorin. Sie habe sich längst an ihn gewöhnt. Doch bald muss sie sich wieder an jemand anderen gewöhnen. Denn Cans Dienstzeit im Haus Buche ist fast vorbei. Can ist FSJler. Im Rahmen eines Freiwillig­en Sozialen Jahres unterstütz­t er die hauptamtli­chen Kräfte im Seniorenhe­im. „Ich erledige die Aufgaben, für die das Pflegepers­onal keine Zeit hat“, schildert der 18-Jährige. Dazu gehören die Mahlzeiten­betreuung – und eben auch Freizeitan­gebote.

Früher gab es im Dorotheenv­iertel sieben Zivi-Stellen, zum Teil wurden Warteliste­n geführt. Heute ist Can allein auf weiter Flur. Die Stiftung findet kaum noch Bewerber für ihre sieben Stellen und ist froh, wenn sie wenigstens eine besetzen kann. Auch die Stadt Hilden hat noch eine Stelle zu vergeben, ebenso wie die private Kindergrup­pe Haan. Die Freiwillig­en sozialen Dienste im Erzbistum Köln betreuen für den Kreis Mettmann 134 Stellen, von denen im Mai noch 52 unbesetzt waren.

Sieben Jahre ist es her, dass der Wehrdienst ausgesetzt wurde, und damit auch der Zivildiens­t. Seither heißt der Zivi nun „Bufdi“, für „Dienstleis­tender im Bundesfrei­willigendi­enst“– macht aber im Prinzip das Gleiche. Er oder sie übernimmt Hilfstätig­keiten in der Regel in sozialen Bereichen wie der Kinderund Jugendbetr­euung oder der Alten- und Krankenpfl­ege. Neben dem damals neu eingeführt­en Bufdi gibt es weiterhin, wie schon seit 50 Jahren, das Freiwillig­e Soziale Jahr (FSJ), etwas später kam das Freiwillig­e Ökologisch­e Jahr (FÖJ) hinzu. Während der Bundesfrei­willigendi­enst (BFD) über das Bundesamt für Familie und zivilgesel­lschaftlic­he Aufgaben (BAFzA) zentral koordinier­t wird, organisier­en die sozialen Träger wie Internatio­naler Bund, die evangelisc­he und die katholisch­e Kirche, das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwo­hlfahrt, der Arbeiter-Samariter-Bund oder der Malteser Hilfsdiens­t ihre FSJler-Stellen in Eigenregie. Ansonsten gibt es kaum Unterschie­de zwischen BFD und FSJ/FÖJ. Für beide Formen werden die Kosten für Taschengel­d, Spesen, Fortbildun­g und Sozialabga­ben wie Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslos­enversiche­rung größtentei­ls aus Bundes- oder EU-Mitteln getragen. Aber: Der BFD steht im Gegensatz zum FSJ auch Menschen offen, die älter als 26 Jahre sind.

2009 gab es laut BAFzA-Statistik 90.514 Zivildiens­tler, 2010 waren es 78.387 und 2011, als Wehrpflich­t und Zivildiens­t ausliefen, nur noch 8276. Für den Bundesfrei­willigendi­enst entschiede­n sich 2012, dem ersten Jahr seines Bestehens, 34.346 Menschen, 2015 waren es 37.430 und aktuell sind es 40.467. Laut Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab es 2015 zudem rund 53.000 FSJler und 2800 FÖJler.

Frieters, der in Hilden die Wilhelm-Fabry-Realschule besuchte, hat von seinem FSJ profitiert. „Die- se Arbeit hat mein Selbstbewu­sstsein gestärkt, ebenso wie meine Team- und Kritikfähi­gkeit. Und ich habe die Bestätigun­g gefunden, auch zukünftig im sozialen Bereich arbeiten zu wollen.“Nach dem FSJ beginnt Frieters eine Ausbildung zum Kinderpfle­ger, die er zum Erzieher ausbauen will. Auch Michael Zieger, Leiter des Dorotheenv­iertels, hat vor seiner berufliche­n Karriere Zivildiens­t absolviert, als Rettungsas­sistent. Das sei für ihn damals „orientieru­ngsgebend“gewesen. Vielen Menschen fehle es nach der Schule an einer Vorstellun­g für ihren Lebensweg. „Ich bin in dieser Zeit erwachsen geworden, was man in der Schule nicht wird“, betont Zieger. Junge Leute übernäh-

men im FSJ oder BFD „oft zum ersten Mal in ihrem Leben wirklichVe­rantwortun­g“.

Da aber niemand zu einem FSJ oder BFD gezwungen werden kann, bleibt den Einrichtun­gen nichts anderes übrig, als aktiv dafür zu werben, einen Freiwillig­endienst einzulegen. Dass so viele Stellen unbesetzt bleiben, liegt vielleicht auch daran, dass kaum etwas dafür bezahlt wird. Denn während ein Zivildiens­tleistende­r vom Bund damals 652,67 Euro im Monat als Entlohnung – angelehnt an denWehrdie­nstsold – erhielt, gibt es für heutige Bufdis und FSJler nur noch ein monatliche­s Taschengel­d, das aktuell nicht über 390 Euro liegen darf. Hinzu kommen noch Erstattung­en für Verpflegun­g, Unterkunft, Dienstklei­dung und Fahrtkoste­n. Da die Einsatzste­llen selber entscheide­n dürfen, wie viel Taschengel­d sie zahlen, sind das laut demVerein„Für soziales Leben“, der die Webseite www.bundes-freiwillig­endienst.de betreibt, aber durchschni­ttlich nur 150 Euro. Immerhin, die Graf-Recke-Stiftung überweist an ihre FSJler pro Monat 380 Euro, inklusive Spesen.

 ?? RP-FOTO: STEPHAN KÖHLEN ?? Can Frieters macht sein „Freiwillig­es Soziales Jahr“im Haus Buche der Graf-Recke-Stiftung, hier mit Bewohnerin Gertrud Neumann, die sich „sehr an Can gewöhnt hat“, wie sie sagt.
RP-FOTO: STEPHAN KÖHLEN Can Frieters macht sein „Freiwillig­es Soziales Jahr“im Haus Buche der Graf-Recke-Stiftung, hier mit Bewohnerin Gertrud Neumann, die sich „sehr an Can gewöhnt hat“, wie sie sagt.

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