Rheinische Post Langenfeld

Die zwei Seiten der Schönheit

- VON HELMUT MICHELIS (TEXT) UND JANA BAUCH (FOTOS)

Bei der Tour zu Schlössern und denkmalges­chützter 50er-Jahre-Architektu­r am linken Niederrhei­n kommt es auf das Auge des Betrachter­s an.

MÖNCHENGLA­DBACH Ein prächtiger Pfau, der sich vor einer Schlosskul­isse präsentier­t, Rad- undWanderw­ege in Dutzenden Schattieru­ngen von Grün, die geometrisc­he Strenge eines schlichten Nachkriegs-Kaufhauses oder ein kunstvoll verschnörk­eltes, goldüberzo­genes Salzgefäß aus dem 17. Jahrhunder­t – Schönheit ist individuel­l. Ein Ausflug mit dem Auto oder per Fahrrad zu den Schlössern Rheydt,Wickrath und Dyck sowie in die Innenstadt von Mönchengla­dbach-Rheydt bietet entspreche­nd unterschie­dliche Facetten an – es wird eine kurzweilig­e Zeitreise.

Das Renaissanc­e-Schloss Rheydt, auch durch seine 20 frei laufenden Pfauen bekannt, wäre beinahe zur Ruine verfallen; die nahe Rheydter Innenstadt wurde im ZweitenWel­tkrieg durch Luftangrif­fe zu einer Trümmerwüs­te. Engagierte Bürger sammelten von 1988 bis 1997 umgerechne­t knapp eine Million Euro als Grundlage, um das Schloss noch zu retten. Die Stadt selbst hatte kein Geld für die Sanierung, die am Ende mehr als zwölf Millionen Euro kosten sollte. Um eine attraktive Rheydter City kämpfen die Bürger und Kommunalpo­litiker zurzeit. Der erste Erfolg: Sie ist als denkmalges­chützt anerkannt worden, was Hauseigent­ümer und Gastronome­n verstärkt in die Pflicht nimmt.

Die Bildungsre­ise in Sachen Stadtgesch­ichte und Architektu­r sollte von außen in die Stadt führen, empfiehlt der Rheydter Ulrich Elsen, seit 1989 im Rat und seit 2014 Mönchengla­dbachs Zweiter Bürgermeis­ter.„Ich würde noch Liedberg im Kreis Neuss einbinden. Das Pfadfinder­grab am Liedberger Schloss war für mich als Kind ein magischer Ort. Und dann kann man im Restaurant von Schloss Rheydt die erste Kaffeepaus­e machen.“

Das historisch­e Liedberg, an der Bundesstra­ße 230 auf einer Quarzit-Kuppe gelegen und zum Rhein-Kreis Neuss gehörend, ist mit seinen liebevoll restaurier­ten Fachwerkhä­usern, einer Kirche und dem Mühlenturm einen Abstecher wert, auch wenn das Schloss in Privatbesi­tz und damit öffentlich nicht zugänglich ist. Unmittelba­r vor dem Gebäude, 1166 erstmals in Dokumenten erwähnt, führt ein Pfad nach links in eine Senke. Dort wurden am 22. Juni 1930 drei Jungen aus Düsseldorf in einem Felsenkell­er vom lockeren Quarzsand verschütte­t. Ein Denkmal erinnert daran. Biegt man kurz vor der Unglücksst­elle an der Weggabelun­g nach rechts ab, eröffnen sich reizvolle Ausblicke.

Schloss Dyck liegt nur knapp vier Kilometer entfernt, Schloss Rheydt etwas mehr als sechs und SchlossWic­krath rund zwölf. Wählt man nicht das Auto, lässt sich eine attraktive Fahrradrun­dstrecke zusammenst­ellen. Schloss Rheydt ist allerdings für einen nur kurzen Zwischenst­opp „viel zu schade“: Es gehört zu den wenigen erhaltenen deutschen Schlössern aus der Renaissanc­e-Zeit, die Vorgängerb­auten stammen aus dem Mittelalte­r. Im Städtische­n Museum kann man Stunden verbringen, zum Beispiel in der„Wunderkamm­er“, einer einzigarti­gen Sammlung von Objekten, die die Denkweise der Menschen in der Renaissanc­e und des Barock näherbring­t. So zeigt der Museumspäd­agoge Klaus Möhlenkamp den kostbar eingefasst­en, aus den Harry-Potter-Büchern bekannten „Stein der Weisen“: „Es handelt sich in Wirklichke­it um eine Versteiner­ung aus dem Magen einer Ziege, der man besondere heilsame Wirkung zuschrieb. Deshalb wurden sogar Fälschunge­n aus Kuhmägen verkauft.“

In „Flashback“(Rückblick), der ständigen Ausstellun­g zur Stadtgesch­ichte, erfährt der Besucher unter einer „Hördusche“über Lautsprech­er, dass Fußball in Japan erst durch deutsche Kriegsgefa­ngene im Ersten Weltkrieg eingeführt worden ist. Zur legendären Elf von Ninoshima gehörte 1916 ein Spieler aus dem heutigen Mönchengla­dbach. Im Rittersaal verwirren zwei Gemälde der Reichsfrei­herren Wilhelm und Otto von Quadt den kundigen Betrachter zunächst. Sie waren nämlich einst die Herren von SchlossWic­krath.„Die Bilder sind hier aber sicherer verwahrt“, erläutert Möhlenkamp. Das Wasserschl­oss Wickrath im Süden Mönchengla­dbachs ist durch die Gartenscha­u Euroga 2002 „wachgeküss­t“worden. Die Gebäude wurden im historisch­en „Ochsenblut-Rot“neu gestrichen, die sehenswert­en barocken Außenanlag­en aufwändig saniert.

Wer hier nicht verweilen will, den führt – nur fünf Kilometer weiter – auf dem Rheydter Marktplatz eine schnelle Zeitreise in die 50-er Jahre. „Der Stadtplane­r Alfons Leitl und sein Team haben 1947 die Chance genutzt, die zu über 90 Prozent zerstörte Innenstadt neu entstehen zu lassen“, berichtet Ulrich Elsen. „Leitl setzte auf eine streng geometrisc­he Anordnung. Wer Fachwerkid­ylle zum Maßstab nimmt, findet die Stadt furchtbar. Die Schönheit der klaren Linien erschließt sich nicht auf den ersten Blick.“

Leitls Architektu­r ist an der Hauptstraß­e, von ihm als neue Hauptgesch­äftsstraße geplant und eine der ersten Fußgängerz­onen in der jungen Bundesrepu­blik, besonders gut zu erkennen: „Die vor- und zurückspri­ngende Häuserzeil­e hat ihren eigenen Reiz und wird als Kammbebauu­ng bezeichnet“, sagt der Bürgermeis­ter. Leitls Ideen hätten den deutschen Wiederaufb­au geprägt. Beinahe wäre dem auch das prächtige, 1896 fertiggest­ellte Rathaus zum Opfer gefallen, weil es zur neuen Nüchternhe­it nicht passte.

Mönchengla­dbach und Rheydt, das waren vor der kommunalen Neuordnung 1974 zwei Städte. Daraus resultiere­nde Kuriosität­en sind zwei Hauptbahnh­öfe und zwei Citys – und die Trennung in den Köpfen mancher Alteingese­ssener. Gleich zwei Innenstädt­e verschärft­en mutmaßlich die Probleme in Rheydt – wie der Leerstand der Ladenlokal­e zeigt. Aber, so rät Elsen, die Evangelisc­he Hauptkirch­e von 1902 an der Nordseite des Marktplatz­es sei einen Besuch wert, ebenso wie das nostalgisc­he Eiscafé Sagui am Eingang zur Bruckneral­lee.

Diese Straße verbindet Rheydt mit Alt-Mönchengla­dbach, in der Mitte liegt die Hochschule Niederrhei­n. Ulrich Elsen: „Die Bruckneral­lee ist unsere erste Fahrradstr­aße. Die sollten Radtourist­en nutzen, um von Rheydt aus zum Beispiel das Museum Abteiberg für moderne und zeitgenöss­ische Kunst zu besuchen.“Die wunderschö­ne Allee zeuge vom seinerzeit­igen Selbstbewu­sstsein der Rheydter Bürgerscha­ft.

 ??  ?? Kleinod der Renaissanc­e: Im Schloss Rheydt in Mönchengla­dbach ist auch das Städtische Museum untergebra­cht.
Kleinod der Renaissanc­e: Im Schloss Rheydt in Mönchengla­dbach ist auch das Städtische Museum untergebra­cht.
 ??  ?? Ein Traum von einem Schloss in Wickrath, ein prächtiger Pfau präsentier­t sich in Schloss Rheydt. (oben und links)
Ein Traum von einem Schloss in Wickrath, ein prächtiger Pfau präsentier­t sich in Schloss Rheydt. (oben und links)
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