Luv und Lee auf dem Unterbacher See
Unser Autor ist noch nie gesegelt. In einer Schnupperstunde hat er den Sport kennengelernt – und Gefallen daran gefunden.
Heute weht der Wind besonders kräftig. Er rüttelt und pfeift und pustet, als ich am Heck des kleinen Segelbootes sitze und mein allererstes Segelmanöver ankündige:„Alles klar zur Wende“, rufe ich und ziehe das Ruder zu mir, sodass sich das Boot in den Wind dreht. Eigentlich sollte die kleine Jolle auf diese Weise wenden und die Fahrtrichtung wechseln, aber jetzt bremst sie, dümpelt dann in den Wellen, bis ich zur Sicherheit lieber das Segel loslasse. So war das nicht geplant. Lukas Olf, mein heutiger Segellehrer, reagiert entspannt. Wir holen nochmal Fahrt auf und ich versuche dieWende ein zweites Mal – diesmal läuft alles nach Plan.
Ich bin noch nie gesegelt, Steuerbord und Backbord kenne ich nur aus den Piratenbüchern meiner Kindheit. Einen Reiz haben das Segeln und die damit verbundene Freiheit aber schon immer für mich gehabt. Deshalb habe ich mich zu einer Probestunde der Segelschule am Unterbacher See angemeldet. Mein Lehrer ist 20 Jahre alt, er segelt schon seit langer Zeit auf dem Unterbacher See. „In der fünften Klasse haben wir mit der Schule gemeinsam einen Optimistenkurs gemacht“, sagt Lukas. Seitdem sei er ein begeisterter Segler.
„Unter Seglern sagen wir du“, ist das erste, was ich heute von ihm lerne. Dann steigen wir auf das Boot, befreien das Segel vom Sonnenschutz und ziehen es schließlich am Mast hoch. Auf dem Wasser spricht man eine eigene Sprache. Jedes Seil, jeder Knoten, jedes Bootsteil hat seinen eigenen Namen. Die Richtung aus der der Wind kommt, nennt Lukas „Luv“, die windabgewandte Bootsseite heißt „Lee“.
Kaum ist das Segel gesetzt, greift der Wind und drückt uns auf den offenen See. Mich beeindruckt, wie die Kraft der Natur plötzlich spürbar wird, wie Lukas sie nutzt und steuert, um das andere Ende des Sees zu erreichen. „Die Böen haben heute bis zu sechs Windstärken“, schätzt mein Lehrer. „Das ist ein tolles Wetter zum Segeln.“Er fährt im sogenannten Halbwindkurs, der Wind trifft im rechten Winkel auf unsere Jolle. Bei mir stellt sich ein Gefühl von Urlaub ein. Auf dem See ist es ruhig, nur im Hafen hört man die Seile an den Metallmasten der Boote klimpern.
Irgendwann, viel schneller als erwartet, fragt mich Lukas, ob ich die Steuerung übernehmen will. Ich nehme die Schot, also die Leine des Segels, und das Ruder in die Hand, dann fahre ich los. Die größte Herausforderung ist, alle meine Handgriffe auf denWind auszurichten, obwohl ich diesen nicht ausreichend wahrnehmen kann. Für meine Augen ist er beinahe unsichtbar. Nur ein kleines Gerät an der Spitze des Masts, das ich sehe, wenn ich meinen Kopf in den Nacken lege, zeigt mir die Windrichtung an.
Lukas ist erfahrener und kennt andere Hilfsmittel. „Gleich kommt eine stärkere Böe“, sagt er und zeigt auf eine Stelle vor unserem Boot, wo die Oberfläche des Sees dunkler aus- sieht. Er hat recht. Der Wind weht an dieser Stelle deutlich stärker, das erlebe ich, als unser Boot die Stelle erreicht und sich spürbar zur Seite neigt. Mich überrascht, wie viel ich mich auf dem Boot bewegen muss. Manchmal gleichen Lukas und ich die Schräglage aus, indem wir uns
über die Reling lehnen. Bei jeder Wende müssen wir uns unter dem Segel weg ducken und die Bootsseite wechseln. „Segeln ist Sport“, sagt Lukas, wer das leugne, habe den Sport noch nie ausprobiert.
Natürlich bin ich die meiste Zeit mit den vielen Handgriffen an Bord überfordert. Für die erste Segelstunde sei das aber normal, betont Lukas. Er sei zuversichtlich, dass ich die wichtigsten Grundlagen schon bald erlernen würde. „Eine Stunde auf dem Boot ist wie ein kleiner Urlaub. Du bist an der frischen Luft und kannst abschalten“, hat Lukas am Anfang geschwärmt. Nach meiner ersten Stunde auf dem Wasser kann ich das bestätigen. Nicht ausgeschlossen, dass ich wiederkomme.