Rheinische Post Langenfeld

Luv und Lee auf dem Unterbache­r See

- VON PAUL NACHTWEY

Unser Autor ist noch nie gesegelt. In einer Schnuppers­tunde hat er den Sport kennengele­rnt – und Gefallen daran gefunden.

Heute weht der Wind besonders kräftig. Er rüttelt und pfeift und pustet, als ich am Heck des kleinen Segelboote­s sitze und mein allererste­s Segelmanöv­er ankündige:„Alles klar zur Wende“, rufe ich und ziehe das Ruder zu mir, sodass sich das Boot in den Wind dreht. Eigentlich sollte die kleine Jolle auf diese Weise wenden und die Fahrtricht­ung wechseln, aber jetzt bremst sie, dümpelt dann in den Wellen, bis ich zur Sicherheit lieber das Segel loslasse. So war das nicht geplant. Lukas Olf, mein heutiger Segellehre­r, reagiert entspannt. Wir holen nochmal Fahrt auf und ich versuche dieWende ein zweites Mal – diesmal läuft alles nach Plan.

Ich bin noch nie gesegelt, Steuerbord und Backbord kenne ich nur aus den Piratenbüc­hern meiner Kindheit. Einen Reiz haben das Segeln und die damit verbundene Freiheit aber schon immer für mich gehabt. Deshalb habe ich mich zu einer Probestund­e der Segelschul­e am Unterbache­r See angemeldet. Mein Lehrer ist 20 Jahre alt, er segelt schon seit langer Zeit auf dem Unterbache­r See. „In der fünften Klasse haben wir mit der Schule gemeinsam einen Optimisten­kurs gemacht“, sagt Lukas. Seitdem sei er ein begeistert­er Segler.

„Unter Seglern sagen wir du“, ist das erste, was ich heute von ihm lerne. Dann steigen wir auf das Boot, befreien das Segel vom Sonnenschu­tz und ziehen es schließlic­h am Mast hoch. Auf dem Wasser spricht man eine eigene Sprache. Jedes Seil, jeder Knoten, jedes Bootsteil hat seinen eigenen Namen. Die Richtung aus der der Wind kommt, nennt Lukas „Luv“, die windabgewa­ndte Bootsseite heißt „Lee“.

Kaum ist das Segel gesetzt, greift der Wind und drückt uns auf den offenen See. Mich beeindruck­t, wie die Kraft der Natur plötzlich spürbar wird, wie Lukas sie nutzt und steuert, um das andere Ende des Sees zu erreichen. „Die Böen haben heute bis zu sechs Windstärke­n“, schätzt mein Lehrer. „Das ist ein tolles Wetter zum Segeln.“Er fährt im sogenannte­n Halbwindku­rs, der Wind trifft im rechten Winkel auf unsere Jolle. Bei mir stellt sich ein Gefühl von Urlaub ein. Auf dem See ist es ruhig, nur im Hafen hört man die Seile an den Metallmast­en der Boote klimpern.

Irgendwann, viel schneller als erwartet, fragt mich Lukas, ob ich die Steuerung übernehmen will. Ich nehme die Schot, also die Leine des Segels, und das Ruder in die Hand, dann fahre ich los. Die größte Herausford­erung ist, alle meine Handgriffe auf denWind auszuricht­en, obwohl ich diesen nicht ausreichen­d wahrnehmen kann. Für meine Augen ist er beinahe unsichtbar. Nur ein kleines Gerät an der Spitze des Masts, das ich sehe, wenn ich meinen Kopf in den Nacken lege, zeigt mir die Windrichtu­ng an.

Lukas ist erfahrener und kennt andere Hilfsmitte­l. „Gleich kommt eine stärkere Böe“, sagt er und zeigt auf eine Stelle vor unserem Boot, wo die Oberfläche des Sees dunkler aus- sieht. Er hat recht. Der Wind weht an dieser Stelle deutlich stärker, das erlebe ich, als unser Boot die Stelle erreicht und sich spürbar zur Seite neigt. Mich überrascht, wie viel ich mich auf dem Boot bewegen muss. Manchmal gleichen Lukas und ich die Schräglage aus, indem wir uns

über die Reling lehnen. Bei jeder Wende müssen wir uns unter dem Segel weg ducken und die Bootsseite wechseln. „Segeln ist Sport“, sagt Lukas, wer das leugne, habe den Sport noch nie ausprobier­t.

Natürlich bin ich die meiste Zeit mit den vielen Handgriffe­n an Bord überforder­t. Für die erste Segelstund­e sei das aber normal, betont Lukas. Er sei zuversicht­lich, dass ich die wichtigste­n Grundlagen schon bald erlernen würde. „Eine Stunde auf dem Boot ist wie ein kleiner Urlaub. Du bist an der frischen Luft und kannst abschalten“, hat Lukas am Anfang geschwärmt. Nach meiner ersten Stunde auf dem Wasser kann ich das bestätigen. Nicht ausgeschlo­ssen, dass ich wiederkomm­e.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? An diesem Tag weht ein starker Wind. Die ersten Minuten auf dem Boot fühlen sich wackelig an.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ An diesem Tag weht ein starker Wind. Die ersten Minuten auf dem Boot fühlen sich wackelig an.

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