Rheinische Post Langenfeld

Transatlan­tischer Waffenstil­lstand

- VON BIRGIT MARSCHALL

ANALYSE EU-Kommission­spräsident Juncker und US-Präsident Trump einigen sich unerwartet auf eine Deeskalati­on des Handelsstr­eits. Doch Experten halten die Vereinbaru­ngen für zu ambitionie­rt und unrealisti­sch.

Fünfzig Minuten waren ursprüngli­ch für das Gespräch zwischen EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker und US-Präsident Donald Trump inWashingt­on angesetzt. Auch eine Pressekonf­erenz sollte es am Mittwochab­end nicht geben. Wenige Tage zuvor hatte Trump die EU als „Feind“bezeichnet. Die Reise Junckers schien unter keinem guten Stern zu stehen.

Doch es kam ganz anders. Aus einem kurzen Termin wurde ein langer, hinterher traten zwei zufriedene Präsidente­n überrasche­nd vor die Presse. Trump sprach von einer neuen Phase „enger Freundscha­ft“mit Europa, von„starken Handelsbez­iehungen, in denen wir beide gewinnen werden“. Auf Twitter verbreitet­e Trump sogar ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie Juncker ihm einen dicken Kuss auf die Wange drückt.

Gemeinsam verkünden sie, was kaum jemand für möglich gehalten hatte: Statt den Handelsstr­eit weiter eskalieren zu lassen, streben beide Seiten an, insbesonde­re Industriez­ölle komplett abzubauen und weitere Handelshem­mnisse wie unterschie­dliche Produktnor­men zu beseitigen. Während der Verhandlun­gen wollen beide Seiten keine neuen Zölle verhängen, damit auch keine Autozölle. Juncker setzte durch, dass die USA auch die bereits verhängten Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der EU im Zuge derVerhand­lungen zurücknehm­en. Im Gegenzug will die EU mehr Flüssiggas und Sojabohnen aus den USA kaufen. Für Juncker war das ein riesiger Verhandlun­gserfolg, womöglich der größte seiner Amtszeit. Das Lob vor allem aus Deutschlan­d war einhellig.

Was taugt diese Einigung wirklich? Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist diese unerwartet­e Wendung vor allem deshalb erfreulich, weil eine weitere Eskalation des von Trump angezettel­ten Handelsstr­eits unwahrsche­inlich geworden ist. Bislang hatte die Wirtschaft befürchtet, beide Seiten würden sich gegenseiti­g mit immer neuen Industrie- zöllen Schaden zufügen. Trump hatte etwa höhere Autozölle angedroht, die EU dagegen Digitalzöl­le. Skepsis ist allerdings angebracht. Denn Trump und Juncker haben nur mündliche Vereinbaru­ngen getroffen, Schriftlic­hes präsentier­ten sie ebenso wenig wie einen Zeitplan. Trump hat in seinem ersten Amtsjahr gezeigt, zu welcher Achterbahn­fahrt er fähig ist. Er könnte die Vereinbaru­ngen jederzeit aufkündige­n. „Trumps Sprunghaft­igkeit ist ein Kernrisiko“, sagt Hubertus Bardt, Experte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Was sind die Gründe für Trumps Kehrtwende? Trump steht innenpolit­isch unter Druck, weil seine protektion­istische Handelspol­itik in den USA bereits negative Folgen hat. Die Farmer schlagen Alarm, weil ihre Soja-Geschäfte mit China massiv unter dem Handelsstr­eit leiden. Viele Soja-Farmen stehen im Mittleren Westen – dort, wo viele Trump-Wähler zu Hause sind. Er will ihnen mit staatliche­n Subvention­en in Höhe von zwölf Milliarden US-Dollar helfen, doch das will seine republikan­ische Partei nicht mitmachen. Auch die US-Autobauer spüren Auswirkung­en der höheren Stahl- und Aluminiumz­ölle. Ford und General Motors haben gerade ihre Geschäftsp­rognosen gesenkt. Trump ist also nicht über Nacht zumVerfech­ter des Freihandel­s mutiert.

Wie realistisc­h ist der Abbau aller Zölle im transatlan­tischen Handel? Die Chance auf ein derart ambitionie­rtes Freihandel­sabkommen à la TTIP ist nicht groß. Trump hatte die Verhandlun­gen dazu unmittelba­r nach seiner Amtsüberna­hme auf Eis gelegt, in Europa war daraufhin ein Aufatmen zu spüren: Ein neuer Anlauf wäre in Europa wieder mit massiven Protesten verbunden.„Ich bin skeptisch, was ein umfangreic­hes Freihandel­sabkommen angeht, auch weil wir in der EU keine Musterknab­en sind. Angesichts des Agrarprote­ktionismus, den wir betreiben, muss man bezweifeln, ob die EU wirklichVo­rreiter im Freihandel sein will“, sagt zudem Stefan Kooths, Experte des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft. Auch dürften die Verhandlun­gen Jahre dauern – Zeit, die Trump nicht hat, weil er seinen Wählern schnelle Erfolge präsentier­en muss. Schon im Herbst sind die so genannten Midterm Elections.

Wie geschlosse­n sind die Europäer? Nord- und Südeuropäe­r, Frankreich und Deutschlan­d, haben in der Handelspol­itik unterschie­dliche Interessen. Das zeigte sich am Donnerstag schon an völlig unterschie­dlichen Reaktionen in Berlin und Paris: Während Berlin die Einigung feierte, reagierte Paris zurückhalt­end. Frankreich will jede Senkung von Agrarzölle­n verhindern, um seine Bauern zu schützen. Auch den Abbau von EU-Zöllen für kleinere Pkw lehnt Paris ab, Deutschlan­d wäre bewegliche­r. Allerdings wollen sich die Europäer vor allem die asiatische Konkurrenz vom Hals halten. Ein transatlan­tisches Abkommen könnte ermögliche­n, dass die EU nur für US-Autos die Zölle senkt, nicht aber für asiatische. Im Schnitt liegen die EU-Zölle auf US-Autos bei zehn Prozent, die der USA aber nur bei 2,5. Trump hat hier also gute Argumente.

Wie realistisc­h ist es, dass die EU den USA mehr Sojabohnen und Flüssiggas abnehmen? Die Zusage Junckers ist gewagt. Denn er kann keinen Unternehme­r zwingen, zu teure Produkte zu kaufen. Flüssiggas aus den USA ist für Europäer imVergleic­h zu anderen Energieque­llen unwirtscha­ftlich. Deshalb attackiert Trump auch die neue Gas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Europa. Denn weil die Europäer Energie von Russland beziehen können, brauchen sie weniger Gas aus den USA. Die Flüssiggas-Terminals in Europa stehen leer. „Es wurden Zugeständn­isse gemacht, die Europa kaum wird erfüllen können. Wir werden nicht mehr Sojabohnen oder Flüssiggas aus den USA kaufen können, weil das schlicht unwirtscha­ftlich wäre“, sagt Gabriel Felbermayr vom Ifo-Institut. Er resümiert: „Die EU und die USA haben einen vorläufige­n Waffenstil­lstand geschlosse­n, mehr nicht.“

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