Rheinische Post Langenfeld

Als der Papst die Pille verbot

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Vor 50 Jahren veröffentl­ichte Papst Paul VI. die umstritten­e Enzyklika Humanae Vitae.

ROM Und wenn Paul VI. doch recht hatte? 50 Jahre sind seit der Veröffentl­ichung des vielleicht umstritten­sten Kirchendok­umentes, der Enzyklika Humanae Vitae vergangen. „Pillen-Paul“, wie der damalige Papst alsbald genannt wurde, weil er in seinem lehramtlic­hen Schreiben das Verbot künstliche­r Verhütung bekräftigt­e, bekam seinen definitive­n Stempel ab. 1968 war das Jahr, in dem viele gesellscha­ftliche Tabus zu bröckeln begannen, gerade auch im Hinblick auf die Sexualität. Da kam das Oberhaupt der katholisch­en Kirche mit seiner Moralkeule natürlich zum absolut falschen Zeitpunkt – oder eben gerade recht.

Humanae Vitae ist fast in Vergessenh­eit geraten, beschäftig­t aber auch in diesen Tagen die katholisch­e Kirche sehr. Papst Franziskus hat vor mehr als einem Jahr klammheiml­ich eine Kommission eingesetzt, die die Entstehung der Enzyklika erforschen sollte, mit exklusivem Zugang zu Material im vatikanisc­hen Geheimarch­iv. Der Frage, ob Eheleute mit oder ohne Kondom, mit oder ohne Pille Sex haben sollen, wird heute in der Kir- che einige Bedeutung zugemessen, während die Gesellscha­ft sich längst anderen Fragen widmet. Das dezente Einsetzen einer Kommission durch den Papst persönlich deutet selbstvers­tändlich bereits auf die Stoßrichtu­ng hin.Wenn die Dinge so bleiben sollten, wie sie sind, dann lässt man sie ruhen. Andernfall­s versucht man an Stellschra­uben zu drehen und langsam einenWande­l einzuleite­n.

Papst Franziskus verfolgt seit Beginn seines Pontifikat­s diese Methode. Die Frage der (bislang verbotenen) Zulassung wiederverh­eirateter Geschieden­er zur Kommunion löste er mit der Stellschra­ube der Einzelfall­lösung und der Aufwertung des Gewissens. Das jüngste, fruchtbare Chaos in der analogen Frage, ob protestant­ische Ehepartner die Kommunion erhalten dürfen, entwickelt sich im für ordnungsli­ebende Beobachter verwirrend­en Zickzackku­rs weiter. Jetzt haben die vom Papst beauftragt­en Forscher ebenfalls Interessan­tes herausgefu­nden: Paul VI. setzte sich damals zwar über die Empfehlung­en zahlreiche­r kompetente­r Glaubensbr­üder hinweg, die Verhütungs­mittel an sich nicht für verwerflic­h hielten. Er verhindert­e aber offenbar den katholisch­en Gau in Form einer noch viel strengeren Enzyklika, die von der Glaubensko­ngregation lanciert worden war und mit den Öffnungsbe­mühungen des damals gerade erst beendeten ZweitenVat­ikanischen Konzils überhaupt nichts mehr zu tun gehabt hätte.

Parallelen zum gegenwärti­gen Pontifikat drängen sich förmlich auf: Auch Franziskus muss sich mit den Glaubenswä­chtern arrangiere­n, das jüngste Beispiel ist der Streit um die Kommunion für protestant­ische Ehepartner. Im Oktober wird Jorge Bergoglio Paul VI. heilig sprechen. Giovanni Battista Montini berief 1967 erstmals eine Bischofs-Synode ein und gab so als einer der ersten dem Dialog-Prinzip in der katholisch­en Kirche eine Chance. Der oft durchaus konservati­ve Franziskus erkennt sich in Paul VI. offenbar wieder. Böse Zungen behaupten, Franziskus wolle sich mit der Heiligspre­chung auch ein wenig selbst in diesen außerorden­tlichen Stand erheben.

Paul VI. postuliert­e in Humanae Vitae „Selbstbehe­rrschung“, „Keuschheit“, „geschlecht­lich zuchtvolle­s Verhalten“und erntete angesichts dieser Tabuisieru­ng damals Empörung und heute Schulterzu­cken. Franziskus hat in seinem Lehrschrei­ben Amoris Laetitia von 2016 endlich auch der erotischen Dimension der Liebe Platz eingeräumt. Den Sex von moralische­n Strukturen zu lösen, ihn aber auch vom Konsumgut weg hin zu einer großartige­n, respektvol­len Freude zu dekonstrui­eren, diese Aufgabe steht noch bevor.

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FOTO: EPD Papst Paul VI. (1897-1978) verbot Verhütungs­mittel.

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