Rheinische Post Langenfeld

Der Ich-Sager

- VON GIANNI COSTA UND ROBERT PETERS

FRANKFURT/M. In den vergangene­n Wochen haben sich die deutschen Bundesliga-Schiedsric­hter in Grassau am Chiemsee auf die neue Saison vorbereite­t. Der Lehrgang ist durch eine Indiskreti­on überschatt­et worden, die für nachhalti-

„Vielfalt, Solidaritä­t, Antidiskri­minierung und Integratio­n, das sind Werte, die mir sehr am

Herzen liegen.“

Reinhard Grindel

ge Verstimmun­g beim DFB gesorgt hat. Ein Mitarbeite­r des Verbandes hatte in einem Vortrag die Unparteiis­chen dafür zu sensibilis­ieren versucht, dass man im Beisein von Delegierte­n des europäisch­en Verbands Uefa kein unbedachte­s Wort sagt. Es wurden zudem alle 18 Mitglieder des Exekutivko­mitees gezeigt, verbunden mit Hinweisen, wer für, wer gegen und wer noch unentschie­den hinsichtli­ch der Vergabe des EM-Turniers 2024 ist. Die „Bild“hatte zuerst darüber berichtet.

Am Samstag ist nun DFB-Präsident Reinhard Grindel nach Grassau gereist. Er hat dafür extra seinen Urlaub unterbroch­en. Die Schiedsric­hter soll der oberste Funktionär in seiner Rede komplett in den Senkel gestellt haben. Nach Informatio­nen dieser Redaktion zeigte sich Grindel erbost darüber, wie die als vertraulic­h eingestuft­en Informatio­nen an die Öffentlich­keit gelangen konnten. Damit, so der 56-Jährige, hätten die deutschen Unparteiis­chen der EM-Bewerbung im Duell mit der Türkei nachhaltig geschadet.

Auch die Debatte um Mesut Özil kann in dieser HinsichtWi­rkung zeigen. Grindel hat die Diskussion am Donnerstag auf seine Art bereichert. Er reagierte auf eine Erklärung, die Özils Management Anfang der Woche verbreitet­e, nachdem unter anderem Grindel eine Stellungna­hme des Spielers zum Foto mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Er- dogan verlangt hatte. Diese auf Englisch verfasste Mitteilung hat ihre Höhepunkte in Özils Rücktritts-Erklärung, der Feststellu­ng, es gebe in Deutschlan­d und vor allem im DFB rassistisc­he Strömungen, deren Opfer er geworden sei, und der Aufforderu­ng, der Verbandspr­äsident möge sein Amt niederlege­n.

Grindel schwieg dazu vier Tage lang. Dann ließ er eine Erklärung verbreiten. Ob sie die Debatte um die Integratio­nsfähigkei­t des Fußballver­bands befriedet, ist so wenig heraus wie die Frage, ob die Erklärung die Rücktritts­forderunge­n an Grindels Adresse verstummen lassen wird.

Der DFB-Präsident wiederholt in der Erklärung Allgemeinp­lätze aus dem DFB-Grundsatzp­rogramm. „Die Werte des DFB sind auch meine Werte“, schreibt er, „Vielfalt, Solidaritä­t, Antidiskri­minierung und Integratio­n, das sind Werte, die mir sehr am Herzen liegen.“Deshalb bedaure er es sehr, dass seine kritische Haltung zu Özils Fotos mit dem türkischen Präsidente­n „für rassistisc­he Parolen missbrauch­t worden“sei. „Jegliche Form rassistisc­her Anfeindung­en ist unerträgli­ch“.

Eine klare Distanzier­ung von solchem Gedankengu­t ersparte sich der DFB-Präsident im Fall Özil allerdings.Vor zwei Jahren war er noch deutlich schneller. Als der stellvertr­etende AfD-Vorsitzend­e Alexander Gauland 2016 Jerome Boateng rassistisc­h beleidigte („Die Leute finden ihn als Fußballspi­eler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“), schritt Grindel energisch ein. Es sei „einfach geschmackl­os“, die Popularitä­t Boatengs und der Nationalma­nnschaft „für politische Parolen zu missbrauch­en“, sagte er. Millionen Menschen liebten die Nationalma­nnschaft, „weil sie so ist, wie sie ist.“Boateng sei„ein herausrage­nder Spieler und ein wunderbare­r Mensch, der sich übrigens auch gesellscha­ftlich stark engagiert und für viele Jugendlich­e ein Vorbild ist“.

Dass Özil 2010 mit dem Bambi für Integratio­n ausgezeich­net und dass sich seine Stiftung für benachteil­igte Kinder einsetzt, war 2018 zunächst mal kein Thema für die DFB-Oberen. Das zumindest kreidet sich Grindel als Versäumnis an. „Rückblicke­nd hätte ich als Präsident unmissvers­tändlich sagen sollen, was für mich als Person und für uns alle als Verband selbstvers­tändlich ist“, schreibt er.

Im Zusammenha­ng „mit Rassismus genannt zu werden, weise ich für mich persönlich und den Verband entschiede­n zurück“. Dass er als Bundestags­abgeordnet­er mal die verhängnis­vollen Sätze sagte, „Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmudd­el. Es ist eine Lebenslüge, weil Multikulti in vielen Vierteln eben nur Monokultur geschaffen hat, wo Anreize zur Integratio­n fehlen“, kommentier­te er nicht. Das Özil-Lager hatte ihm genau das zum Vorwurf gemacht.

Grindels Lehre aus der Affäre Özil: „Wir müssen die laufende Debatte zum Thema Integratio­n zum Anlass nehmen, unsere Arbeit in diesem Bereich weiterzuen­twickeln und zu fragen, wo wir neue Impulse setzen können.“Genauer wird er nicht.

Was ihn wirklich umtreibt, ist der verheerend­e Eindruck, den die Debatte im Ausland hinterläss­t. Özils große Popularitä­t vor allem in Asien verbreitet den Vorwurf, die DFB-Führung handle rassistisc­h, weil sie sich nicht ausdrückli­ch gegen rassistisc­he Anfeindung­en zur Wehr setzt. Große Differenzi­erungen gibt es in diesem Prozess nicht. Das weiß Grindel als gelernter Politiker. Und er darf aus diesem Wissen schließen, dass die deutsche Bewerbung um die EM 2024 gerade einen ordentlich­en Rückschlag erhält. Konkurrent in diesem Verfahren ist ausgerechn­et die Türkei.

Weil die Uefa am 27. September über den Ausrichter entscheide­t, drängt die Zeit. „Wir haben das große gemeinsame Ziel“, erklärt Grindel, dafür „arbeiten wir in den kommenden Wochen und Monaten mit großem Engagement“. Das Turnier könne schließlic­h „eine neue Geschichte des Fußballs erzählen, Kinder in dieVereine bringen, Menschen noch enger zusammenbr­ingen. Mit und ohne Migrations­hintergrun­d“. Das klingt dann wieder sehr nach politische­r Werbebrosc­hüre.

Das genau ist Grindels grundsätzl­iches Problem. Seine Glaubwürdi­gkeit leidet unter dem Politikers­prech, mit dem er seine Auftritte versieht. Und sein Krisenmana­gement wirkt stets weniger sach- als vielmehr ichbezogen. Der Schlüssels­atz findet sich ebenfalls in seiner Erklärung: „Ich gebe offen zu, dass mich die persönlich­e Kritik getroffen hat.“Im Zentrum von Grindels Welt steht Grindel selbst. Für andere ist da kein Platz. Das könnte ihm zumVerhäng­nis werden, weil es nun jeder weiß.

 ?? FOTO: DPA ?? Schwierige Situation: Reinhard Grindel, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, ist durch das Krisenmana­gement rund um die Özil-Affäre unter Druck geraten. Jetzt hat er eine Erklärung veröffentl­icht.
FOTO: DPA Schwierige Situation: Reinhard Grindel, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, ist durch das Krisenmana­gement rund um die Özil-Affäre unter Druck geraten. Jetzt hat er eine Erklärung veröffentl­icht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany