Rheinische Post Langenfeld

Ohne Heimat keine Demokratie

- VON ALEXANDER SCHWEITZER

GASTBEITRA­G Auch wenn es widersprüc­hlich scheint: Heimat wird ständig neu erfunden. Viele Linke und Sozialdemo­kraten scheuen aber den vermeintli­ch nationalis­tisch gefärbten Begriff – dabei ist er zutiefst demokratis­ch.

Die Südpfalz ist ein eher kleiner Landstrich in Rheinland-Pfalz. Im Süden markiert das Deutsche Weintor die Grenze zum französisc­hen Nachbarn. Im Osten schmiegt sich der Oberrhein an Bienwald, Rheinauen und Tabakfelde­r. Im Westen begrenzt der Pfälzer Wald die Weinlandsc­haften in der Rheinebene. Weiter nördlich, zwischen Neustadt und Speyer, am Übergang zwischen Süd- und Vorderpfal­z, bestimmt der Zungenschl­ag die regionale Zugehörigk­eit.

Die Südpfalz war in ihrer Geschichte – wie viele andere Grenzregio­nen auch – immer wieder Durchmarsc­hund Aufmarschg­ebiet. Menschen kamen dorthin, blieben, hinterließ­en ihre Prägungen. Flüchtling­e gab es dort schon immer. Sie hießen nur nicht schon immer so. Ein völkischer Begriff von Deutschsei­n scheitert dort am Faktischen. Es gibt französisc­he, italienisc­he, türkische und schweizeri­sche Wurzeln – und alle zusammen sind sie Pfälzer. Ich komme aus der Südpfalz. Was ich über Heimat weiß und dabei fühle, habe ich dort gelernt und erlebt.

Es gibt kein Urheberrec­ht auf Heimat. Heimat ist nichts Exklusives. Und Heimat hält es aus, dass jemand dazukommt. Wer mit ihr im Reinen ist, dem fällt es leicht, dort andere willkommen zu heißen. Und wem Menschen mit dieser offenen Vorstellun­g von Heimat begegnen, der hat es leichter, in der neuen Heimat Fuß zu fassen.

Für den einen ist Heimat der Ort der Kindheit, für die andere ist es die Geborgenhe­it der Familie. Manch einer denkt dabei an den Klang der Mutterspra­che oder die Pflege der eigenen kulturelle­n Bräuche und Traditione­n. Andere sagen: Heimat ist ein wohliges Gefühl, ein bekannter Geschmack oder ein lange vergessene­r Geruch. Dort wo persönlich­es Glück, Sicherheit und Lust auf Neues im Einklang sind. Allerdings: Für nicht wenige hat der Heimat-Begriff etwas Muffiges, ist der Inbegriff von bürgerlich­er Langeweile, dörflicher Enge und kulturelle­r Trägheit. Keine dieser Deutungen von Heimat ist richtiger als die andere.

Heimat ist etwas, das stetig neu erfunden und neu geschaffen wird – und damit in die Zukunft gerichtet ist. Heimat und Zukunft, diese nur auf den ersten Blick sich widersprec­henden Begriffe, gehören daher zusammen. Das Gefühl des Angekommen­seins, das viele mit dem Heimat-Begriff verbinden, impliziert nicht umsonst die Reise dorthin. Wer angekommen und mit sich im Reinen ist, richtet den Blick nach vorne, nicht zurück.

Heimat kann daher nie ein Mauerwerk sein, abgeschlos­sen, statisch, wie manche es beschwören, um durch Abgrenzung und Abschottun­g den Herausford­erungen des internatio­nalen Kapitalism­us zu trotzen. Deswegen passt Heimat genau genommen so gar nicht zu den politische­n Rechten, deren Weltbild statisch und rückwärtsg­ewandt ist.

Fragt man Menschen danach, was sie mit Heimat verbinden, folgt in der Regel keine abstrakte, philosophi­sche Diskussion. Für die allermeist­en Menschen ist Heimat dort, wo man sich wohlfühlt. Und dieses Sich-Wohl-Fühlen ist anVorausse­tzungen geknüpft, die Politik schaffen kann, aber nicht nur Politik. Menschen wollen, dass es gut zugeht bei ihnen vor Ort. Und sie wollen in der Nachbarsch­aft oder in der Gemeinde die entspreche­nden Bedingunge­n dafür schaffen. Dort entsteht erstes Engagement – in den Schulen, im Elternbeir­at, bei der Feuerwehr, im Sportverei­n oder im Gemeindera­t. Dort wird Heimat gestaltet: Fährt der Bus? Praktizier­t ein Arzt? Ist das Vereinsleb­en intakt? Dieses Engagement in der Heimat ist oft der Anfang von Politik.

Ich sage daher: In der Heimat wachsen Demokratin­nen und Demokraten heran.Wenn Demokratie aus dem Mög- lichmachen von Heimat für viele Menschen besteht, dann ist Demokratie ganz bei sich, „so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“, wie es bei Ernst Bloch heißt. In seiner lebenswelt­lichen Übersetzun­g ist der Heimat-Begriff daher ein zutiefst demokratis­cher, ja sozialdemo­kratischer Begriff.

Viele Linke, darunter nicht wenige Sozialdemo­kraten, verspüren bei dem Wort Heimat allerdings noch immer ein Unbehagen und lehnen ihn wegen einer vermeintli­ch nationalis­tischen Färbung sogar ab. Dabei hat eine sozialdemo­kratische Deutung von Heimat mit Nationalis­mus nichts zu tun. Patriotism­us und Nationalis­mus sind Begriffe, die nicht dasselbe meinen. Johannes Rau sagte einmal: „Ich will nie ein Nationalis­t sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalis­t ist jemand, der die Vaterlände­r der anderen verachtet. Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, in Europa und in der Welt.“Deswegen kann ein Sozialdemo­krat kein Nationalis­t sein.

Wir müssen den Heimat-Begriff den Rechten entreißen. Ihre Versuche aufdecken, ihn zu vereinnahm­en, aufzuladen, zu vergiften. Deren Verständni­s von Heimat ist:Wir gegen die. Oder: Wir ohne die. Mit dieser engen, ausgrenzen­den, ja menschenfe­indlichen Auffassung gilt es, die Auseinande­rsetzung zu führen. Jedem Versuch von Rechtsauße­n, sich diesen Begriff anzueignen, müssen sich Demokratin­nen und Demokraten entgegenst­ellen. Und die demokratis­chen Traditione­n der eigenen Heimat – auch die gibt es – nutzen und schützen.

Wenn die AfD und andere in jüngster ZeitVersuc­he unternehme­n, sich das Hambacher Fest von 1832 zu eigen zu machen und nationalis­tisch umzudeuten, müssen alle aufstehen, die nicht aufgeben möchten, wofür Hambach wirklich steht – nämlich für eine der freiheitli­ch-demokratis­chen Wurzeln meiner pfälzische­n Heimat, aber auch Deutschlan­ds und Europas. Das wäre wahre Heimatpfle­ge. Demokratis­ch.

Heimat kann nie ein Mauerwerk sein, abgeschlos­sen, statisch, wie manche

es beschwören

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