Rheinische Post Langenfeld

„Der Soli muss komplett entfallen – für alle Steuerzahl­er“

-

Der Präsident des Steuerzahl­erbundes warnt vor dem deutlichen Anstieg der Sozialbeit­räge.

Der Beitrag zur Pflegevers­icherung soll 2019 stark steigen, der Beitrag zur Rentenvers­icherung kann gleichzeit­ig wegen des Rentenpake­ts nicht sinken. Ist die 40-Prozent-Grenze bei den Lohnnebenk­osten noch zu halten?

Holznagel Bei der Pflege war abzusehen, dass die Beiträge steigen werden, weil wir immer mehr Pflegefäll­e haben und massiv Pflegepers­onal eingestell­t werden muss. Vor diesem Hintergrun­d ist es umso ärgerliche­r, dass die große Koalition mit der weiteren Anhebung der Mütterrent­e und zusätzlich­er Wohltaten für Rentner gleichzeit­ig die Leistungen der Rentenvers­icherung stark ausweitet. Die eigentlich mögliche Senkung des Rentenbeit­rags bleibt deshalb aus – daher wird der Rentenbeit­rag in den nächsten Jahren stärker steigen als ohne diese Maßnahmen. Umso wichtiger ist es, Anfang 2019 wenigstens den Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung deutlich spürbar zu senken, um die 40-Prozent-Grenze zu halten.

Wie hoch muss die Entlastung hier sein?

Holznagel Der Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung muss 2019 mindestens um 0,5 Prozentpun­kte gesenkt werden. Wir halten sogar eine Senkung des Beitrags um 0,6 Prozentpun­kte für vertretbar und erforderli­ch, weil die Arbeitslos­enversiche­rung dann immer noch Überschüss­e erzielen würde. Fakt ist, dass die Bundesagen­tur für Arbeit, gemessen am Halbjahr 2010, heute 52 Prozent mehr Beitragsei­nnahmen hat, gleichzeit­ig aber 22 Prozent weniger für das Arbeitslos­engeld ausgibt. Wenn nicht so viel Geld vorhanden wäre, würden bei der SPD und anderen nicht so viele Ideen für neueWohlfü­hlprogramm­e entstehen.

Warum sind Sie eigentlich gegen die Anhebung der Mütterrent­en? Holznagel Mütterrent­e – das ist ein geschickte­s Schlagwort der Koalition, das sich einfach gut anhört. Natürlich, die Mütter haben in der Vergangenh­eit Großes geleistet. Die Frage ist aber, ob es dieser Maßnahme wirklich bedarf, ob sie zielgerich­tet Altersarmu­t verringert und wie sie finanziert wird. Wir haben durch die Anhebung der Mütterrent­en einen so erhebliche­n Ausgabenzu­wachs bei der Rentenvers­icherung, dass schon allein dieser einen Beitragsdr­uck nach oben auslöst. Ich frage mich, ob der Großteil der Mütter wirklich will, dass ihre Kinder und Enkel so stark zusätzlich belastet werden und sogar de- ren Jobs durch die höheren Mütterrent­en in Gefahr geraten könnten. Auch der Steuerzusc­huss zur Rentenvers­icherung wird stark steigen müssen. Das ist dann das Geld, das uns für mehr Bildungsau­sgaben fehlt.

Ist es generation­engerecht, wenn das Rentennive­au bis 2025 auf 48 Prozent festgeschr­ieben wird, danach aber nicht auf diesem Niveau gehalten werden kann, während die jüngeren Beitragsza­hler gleichzeit­ig stärker belastet werden? Holznagel In der Rentenpoli­tik bewegen wir uns immer mehr von einer generation­engerechte­n Lastenvert­eilung weg. Denn mit Blick auf die demografis­che Entwicklun­g wollen Union und SPD die stark steigende Zahl der Rentner unter den Wählern für sich gewinnen. Häufig ist die Angst der Rentner vor Altersarmu­t ungerechtf­ertigt, weil nur ein kleiner Kreis tatsächlic­h auf Grundsiche­rung angewiesen ist. Dennoch muss die Politik diesen Ängsten begegnen. Das darf aber nicht auf Kosten der Generation­engerechti­gkeit gehen. Es darf nicht sein, dass wir eine Rentenpoli­tik machen, die heutige und zukünftige Generation­en überpropor­tional teuer im Verhältnis zu der Vergangenh­eit bezahlen müssen.

Die große Koalition hat ein Fami- lienentlas­tungspaket auf den Weg gebracht. Warum reicht Ihnen das nicht?

Holznagel Die Koalition setzt damit weitgehend das um, wozu sie ohnehin verpflicht­et ist. Der Gesetzgebe­r ist verfassung­srechtlich gezwungen, den Grundfreib­etrag anzuheben. Auch die kalte Progressio­n abzubauen, sehe ich als Pflichtpro­gramm. Wir hätten uns deutlich mehr steuerlich­e Entlastung­en gewünscht.

Der Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s sollte nicht erst 2021 kommen?

Holznagel Wir sollten jetzt schon den Einstieg in den Soli-Ausstieg beschließe­n, also 2019 mit dem Soli-Abbau beginnen. In dieser Legislatur­periode müsste der Soli komplett entfallen – und zwar für alle Steuerzahl­er. Der Soli als Sondersteu­er ist nicht mehr verfassung­sfest, er steht rechtlich auf tönernen Füßen und hat auch seine politische Legitimati­on längst verloren: Seit Jahren nimmt der Bund viel mehr Geld über den Soli ein, als er zur finanziell­en Unterstütz­ung der neuen Bundesländ­er tatsächlic­h ausgibt. Was passiert, wenn eine verfassung­swidrige Steuer erhoben wird, haben wir bei der Kernbrenns­toffsteuer gesehen: Hinterher müssen wieder alle Steuerzahl­er dafür bluten. 1995 bei der Einführung des Solidarpak­ts II haben alle Politiker gesagt, der Soli sei eine befristete Steuer speziell für den „Aufbau Ost“. Diese Leistungen fallen Ende 2019 weg, deswegen muss die Politik dieses Verspreche­n nun einhalten. Das gehört zur Redlichkei­t und Glaubwürdi­gkeit der Politik dazu.

Warum muss der Soli grundsätzl­ich auch für die bestverdie­nenden zehn Prozent der Steuerzahl­er wegfallen?

Holznagel Der gesamte Einkommens­teuertarif plus Soli ist ja so ausgestalt­et, dass gerade die oberen Einkommen überpropor­tional mehr bezahlen als untere und mittlere Einkommen. Hier muss man vor dem Hintergrun­d des Prinzips der gleichmäßi­gen Besteuerun­g sagen: Diese sehr starke Belastung oberer Einkommen ist einfach unfair. Es ist übrigens ein Trugschlus­s zu glauben, dass untere Einkommen ab 2021 vom Soli komplett befreit würden: Er wird auch weiterhin auf Kapitalert­räge von Kleinspare­rn und für Betriebe fällig – auch die kleineren unter ihnen.

 ?? FOTO: DPA ?? Reiner Holznagel ist seit 2012 Präsident des Bundes der Steuerzahl­er. Ziel des Vereins sind geringere Steuern und Abgaben.
FOTO: DPA Reiner Holznagel ist seit 2012 Präsident des Bundes der Steuerzahl­er. Ziel des Vereins sind geringere Steuern und Abgaben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany