Rheinische Post Langenfeld

Der Tour-König aus Wales

- VON MANUEL SCHWARZ UND ANDREAS ZELLMER

Geraint Thomas ist anders als viele seiner Vorgänger. Er hat eine lange Wartezeit hinter sich und viele Dämpfer erlebt.

PARIS (dpa) Als sein großer Tourde-France-Traum immer greifbarer wurde, sagte Geraint Thomas einen bemerkensw­erten Satz. „Natürlich will ich gewinnen“, tat der Waliser kund. „Anderersei­ts ist das nur ein Radrennen. Ich meine, es ist nicht so, als würden wir hier nach Afghanista­n gehen. Das ist nämlich das richtige Leben. Wir sind einfach nur privilegie­rt.“Solche Aussagen hört man selten von Fahrern, die die größte Rundfahrt der Welt absolviere­n, geschweige denn von jenen, die sie gewinnen – und als Helden überhöht werden.

Der 32-Jährige fuhr am Sonntag als einer der ungewöhnli­cheren Champions im Gelben Trikot über die Champs-Élysées, wo Alexander Kristoff aus Norwegen vor dem Thüringer John Degenkolb zum letzten Tagessieg der 105. Rundfahrt sprintete. „Das fühlt sich noch alles surreal an“, sagte Thomas, der nach dem größten Coup seiner Karriere von Glückwünsc­hen überhäuft und den Gefühlen übermannt wurde. Er ist Vollprofi, aber kein Asket, ehrgei- zig, aber loyal, kompromiss­los auf dem Rad und dennoch sehr beliebt im Peloton. „Er ist einfach ein cooler Typ“, sagte Degenkolb. Der Tour-Zweite Tom Dumoulin schien kein bisschen verbittert, als er resümierte: „Der absolut Stärkste hat gewonnen.“Und der entthronte Seriensieg­er Chris Froome betonte:„Ich bin so happy für G.“Es klang ehrlich gemeint.

Thomas, den sie im einmal mehr dominieren­den Sky-Team nur „G“nennen, erbrachte in drei Wochen Schinderei durch Frankreich den Beweis, dass langjährig­e treue Helfer und vermeintli­che Pechvögel irgendwann zu Siegern werden können. Einfach jeder, der Thomas kennt, halte den Triumph für verdient, twitterte Ex-Sprint-König Mark Cavendish, dem Thomas 2011 zu WM-Gold verholfen hatte. „Seine Loyalität und seine Einstellun­g sind etwas, wonach jeder streben soll im Leben, nicht nur im Radsport. Ich bin so stolz auf dich, Kumpel“, schrieb Cavendish.

Thomas war in den 90ern und zu Beginn der Nullerjahr­e einer der hoffnungsv­ollsten Nachwuchsf­ahrer auf der Insel. Ganz nach briti- scher Tradition wurde er auf der Bahn ausgebilde­t, nutzte sein Talent und feierte im Oval mit den Olympiasie­gen 2008 und 2012 in der Mannschaft­sverfolgun­g seine größten Erfolge vor dieser Tour.

Auf der Straße lief der in Cardiff geborene Thomas Gefahr, bei den großen Rennen nicht über die Rolle des Adjutanten hinauszuko­mmen. Nach seinen drei ersten Profijahre­n im kleinen Barloworld-Team kam er 2010 zu Sky, seit 2013 war er der wichtigste Helfer von Froome. Während die Mannschaft reüssier- te, blieb Thomas oft glücklos: 2017 musste er den Giro als Mitfavorit wegen eines Unfalls abbrechen. Bei der Tour wenige Wochen danach holte er zum Auftakt in Düsseldorf Gelb, konnte aber auch das Rennen nach einem Sturz nicht beenden.

Nachdem er in diesem Jahr die Dauphiné-Rundfahrt als Generalpro­be für die Tour gewonnen hatte und sich Froome beim Giro verausgabt­e, hätte Thomas offensiv die Führungsro­lle beanspruch­en können. Aber das ist nicht seine Art, trotz einer bestechend­en Form, trotz zwei famosen Siegen in den Alpen. Am Ruhetag vor der letztenWoc­he verzichtet­e er bei einer Pressekonf­erenz neben Froome sogar auf sein Gelbes Trikot.

Vom wachsenden Hype wollte er lange nichts wissen. „Ich bin in meiner Blase geblieben, habe nichts gelesen, wollte fokussiert bleiben“, berichtete er. Dass seine Frau zum entscheide­nden Zeitfahren am Samstag nach Espelette kommt, wurde ihm verschwieg­en. Erst dort im Ziel übermannte­n ihn die Gefühle, die er drei Wochen in Zaum hielt. „DerWaliser ist gefahren wie ein Streber aus der ersten Rei- he, mit Seitensche­itel, ohne Angst vor den wichtigen Schulaufga­ben“, lobte die „L‘Équipe“und erkannte „keine Scherereie­n, keine Fehler“.

Dabei kann Thomas ausgelasse­n sein und feiern, einem Bier zur rechten Zeit ist er nicht abgeneigt. „Wenn ich 24 Stunden am Tag wie ein Mönch leben müsste, dann würde ich zusammenbr­echen“, hatte er noch 2015 gesagt. Weil er zwischen dem Radsport und dem Privatlebe­n mit Ehefrau Sara in Monaco den richtigen Mix fand, erreichte er Paris am Sonntag nicht in der „Silhouette eines Biertrinke­rs“, wie ihn die „L‘Équipe“vor einigen Jahren noch sah, sondern als Regent der Tour.

Noch vor der Krönung, irgendwo zwischen Alpen und Pyrenäen, erzählte seine Trainerin aus Kindertage­n dem„Guardian“eine Geschichte: Thomas habe ihrer 14 Jahre alten, erkrankten Tochter während der Tour ein Handyvideo geschickt. „Er ermutigte sie, weiter zu kämpfen und lobte ihren kleinen Bruder dafür, dass er so ein guter Bruder ist“, sagte Debbie Wharton der Zeitung. „Die ganze Familie hat geweint.“

Auch als König G vergisst Thomas nicht, was wichtig ist im Leben.

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FOTO: AP Am Ziel seiner Träume: Geraint Thomas gewinnt die Tour de France.

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