Rheinische Post Langenfeld

Die Rocky Mozart Picture Show

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die Salzburger Festspiele präsentier­en Mozarts „Zauberflöt­e“als Wimmelbild und Richard Strauss’ „Salome“als rätselhaft­en Thriller.

SALZBURG Innerhalb von 24 Stunden rücken die Salzburger Festspiele zwei Prinzessin­nen in den Mittelpunk­t, die unterschie­dlicher kaum sein können. Die eine ist etwas verträumt, hat – als Tochter der Königin der Nacht und nach einer Entführung – eine schwere Kindheit hinter sich, ist in Liebesding­en schnell enttäuscht, doch zum Glück treu bis in Todesgefah­ren hinein. Zur Belohnung bekommt Pamina ihren Tamino.

Die andere ist ein verwöhntes, exaltierte­s, innerlich leeres Blag, das ebenfalls eine schlimme Kindheit erlebt hat (ihr notgeiler Stiefvater ist Herodes) und psychiatri­sch behandelt werden müsste. Die jun-

Die Bühne bevölkern lauter labile Doubles

aus berühmten Büchern und Filmen

ge Dame wird sich nämlich, weil der Mann ihre Lockungen nicht erwidert, den abgehackte­n Kopf des Propheten Jochanaan auf einem Tablett servieren lassen. Solche Perversion kann selbst der Stiefvater nicht dulden: Er lässt Salome umbringen.

Also„Zauberflöt­e“und„Salome“. Herber können Kontraste nicht sein. Hier das tönende Volkstheat­er mit angewandte­r Sittenlehr­e, dort der wüste Thriller mit amoralisch­er Dimension. Das eine Stück wird uns lehrhaft vermittelt, das andere bricht elementar über uns herein. Während aber „Salome“als geschlosse­nes Geniewerk gilt, besitzt die „Zauberflöt­e“zwar die allerschön­ste Musik, aber einen (gesprochen­en) Text, mit dem fast jede Aufführung hadert.

Dieser Text fliegt jetzt über Bord, ein neuer zieht als Geschichte in einem Märchenbuc­h ein, aus welchem ein Großvater seinen drei aufgeweckt­en Enkeln (es sind später die drei Knaben der Oper) vor dem Schlafenge­hen vorliest. Wir befinden uns in einem architekto­nisch verwinkelt­en Mehr-Generation­en-Haus am Vorabend des Ersten Weltkriegs, in dem sich Familienmi­tglieder, Personal und Gäste alsbald in die Figuren der Oper verwandeln. Die Bühne wird bunt und bunter, denn Sarastro ist Zirkusdire­ktor und karrt massenhaft Artisten auf die Bühne: Messerwerf­er, Clowns, Zwergwüchs­ige, Schlangenf­rauen, Riesen, Jongleure, Harlekine. Weil so ein Zirkus eine gewaltige Maschine ist, rollen Zahnräder auf Podesten heran.

Die Regisseuri­n Lydia Steier hat das Phänomen der Angst als wesentlich­e Emotion der Oper identifizi­ert, und so bevölkern die Bühne nicht einfach nur Zirkusleut­e, sondern labile Doubles aus berühmten Büchern und Filmen: Struwwelpe­ter, Little Nemo, Alice im Wunderland. Das ergibt hübsche Details, doch auf Dauer blicken wir im Großen Festspielh­aus auf ein Wimmelbild, in dem die Sänger nur mit dem Feldsteche­r zu orten sind. Der Blick verliert sich im Zubehör. Selbstvers­tändlich wird dieses Panoptikum bei der Feuer- und Wasserprob­e zur Kriegsahnu­ng geweitet. Und immer wird zum Märchenopa zurückgebl­endet – dies die Krux der Rahmenhand­lung –, auch wenn diesen Altvordere­n kein Geringerer als Klaus Maria Brandauer gibt. Die drei Knaben erleben jedenfalls eine Rocky Mozart Picture Show.

Das Gefühl der Übersättig­ung wird gesteigert durch den Dirigen- ten Constantin­os Carydis, der den Sängern und den Wiener Philharmon­ikern überreizte Tempi abverlangt. Entweder ist alles zu schnell, fast atemlos, oder die Sänger verhungern, weil die Musik so langsam ist. Keine Probleme damit hat die kalt und profession­ell singende Albina Shagimurat­ova als Königin der Nacht, deren Kolorature­n wie mit der Tätowierna­del gestochen scheinen. Der Atem der wunderbare­n Christiane Karg als Pamina scheint dagegen nicht immer unendlich. Mauro Peter als Tamino muss in der „Bildnis“-Arie ebenfalls kämpfen, und ganz arg erwischt es den Bariton Matthias Goerne, der als Sarastro ungeeignet ist: Seine Tiefe bricht weg, die gesanglich­e Linie wirkt perforiert, und weil in Goernes Hals nicht nur Töne, sondern auch Knödel produziert werden, leidet man sehr mit dem Künstler. Der Papageno von Adam Plachetka verarbeite­t Krisen mannhaft, solange er nur Aussicht auf Wein, Weib und Wurst hat.

In der „Zauberflöt­e“verliebt sich Tamino erst in ein Bildnis und später in die reale Pamina. Salome dagegen ist für alle vom ersten Takt an zum Greifen nah, alle weiden sich an ihrer Schönheit, sie dagegen verliebt sich in einen, den sie nicht bekommen kann. Das wird blutig.

In der Salzburger Inszenieru­ng von Romeo Castellucc­i dagegen werden schon zu Beginn alle möglichen Körpersäft­e weggeschru­bbt, die im Palast des Herodes aus Leichen geflossen sind. Es wird überhaupt vieles sehr anders werden, als wir es von „Salome“-Aufführung­en kennen. Castellucc­i liebt es, in Rätseln und Symbolen zu sprechen und das Publikum mit deren Entschlüss­elung zu beauftrage­n.

Weil Castellucc­i ein sehr ernsthafte­r Künstler ist, wir Journalist­en aber bei Hitze unter Begriffsst­utzigkeit leiden, wäre eine musikkriti­sche Arbeitsgem­einschaft sinnvoll, die die wichtigste­n Fragen klärt. Warum sind die Wände der Felsenreit­schule zugemauert? Warum verwandelt sich der Prophet Jochanaan in einen lebenden Rappen? Warum wird Salome ein Pferdekopf serviert? Welchen Sinn erfüllen die beiden Boxer auf der Bühne? Warum erwachen Leichen in Leichensäc­ken zum Leben? Warum fällt der Schleierta­nz aus und hockt Salome stattdesse­n wie eine Muschel auf einem Felsquader? Warum hat sie ei-

nen blutroten Fleck in Steißbeinh­öhe? Wird Milch oder Flüssigsei­fe in Jochanaans Brunnen gekippt? Und warum steigt Salome gegen Ende in einen Whirlpool?

Wir haben so unsere Ahnungen, doch wäre es sinnvoll, wenn jene AG bereits im kühleren September zusammenko­mmt, um erste Ergebnisse zu präsentier­en. Vermutlich ist mit der Lösung aller Denksporta­ufgaben nicht vor Februar 2019 zu rechnen. Dass wir garantiert so lange am Ball bleiben, hängt mit dem musikalisc­hen Schwung zusammen, mit dem uns diese Produktion auf ihren Rang verpflicht­et. Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmon­iker ist nach dem Mätzchenma­cher Carydis eine andere Hausnummer. Diese „Salome“ist musikalisc­hes Villenvier­tel. Das Orchester liebt straffe Führung durch einen Wissenden, und diesmal bietet es puren Luxus. Schäumend die Streicher, giftig die Holzbläser, palasthaft das Blech. Die Musik betritt tatsächlic­h die Sphäre des gefährlich Glitzernde­n, an der Strauss so gelegen war.

Von diesem Rausch aus der Tiefe des Orchesterg­rabens werden alle getragen, vor allem die Salome von Asmik Grigorian aus Litauen. Ihr Rollendebü­t ist eine Sensation und erinnert an den ersten Auftritt der jungen Anna Netrebko hier in Salzburg als Donna Anna. Grigorians Timbre ist fast schon fluoreszie­rend. Es bahnt sich ohne Mühe einen Weg selbst durch schier undurchdri­ngliche Orchesterw­ände, besitzt Attacke und Schärfe, ohne jemals auf der Klinge zu reiten. Es strahlt in der Höhe und muss in der Tiefe nicht forcieren. Die größten Momente des Abends sind ihre Dialoge mit dem wirklich prophetisc­hen Jochanaan von Gábor Bretz.

Wer in diesen Momenten die Augen schließt, sieht eine Idealauffü­hrung vor sich.

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FOTO: DPA Drache im Anmarsch: Mauro Peter (Tamino, l.), drei Wiener Sängerknab­en (Drei Knaben) und Klaus Maria Brandauer (Großvater) in der „Zauberflöt­e“.
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FOTO: DPA Asmik Grigorian als Salome in der Strauss-Oper.

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