Rheinische Post Langenfeld

Ein Ritt in den eisigen Abgrund

- VON OLIVER BURWIG

Für einen kurzen Augenblick plätschert sie nur, die tief gestimmte Gitarre, unverzerrt und klar. Fast vergessen hat man nach sieben Titeln, dass ein Instrument überhaupt so klingen kann. Doch die Reise ist nicht zu Ende. Ein paar Sekunden, die Eisenflut kommt wieder. Mehrere verzerrte E-Gitarren branden aus den Lautsprech­ern, eine aus ihrer Mitte schwillt an und ab, eine sägende, düstere Melodie. Der Song „Mighty Ravendark“kann einen Ohrwurm zurücklass­en – wenn man sich an„Northern Chaos Gods“heranwagt. Die nach neun Jahren Pause erschienen­e Platte der norwegisch­en Black-Metal-Band Immortal ist so speziell wie das Image ihrer Musiker.

Irgendwann zwischen Mötley Crüe und Nirvana, in den letzten Atemzügen der 1980er Jahre, entstand in Skandinavi­en ein Genre, das polarisier­te. Konnten klassische Heavy-Metal-Bands wie Iron Mai- den und die damals noch wesentlich härteren Metallica gerne und oft im Radio gespielt werden, waren es Bands wie Venom und eben Immortal, die die Schraube überdrehen wollten – nicht nur musikalisc­h. Junge Männer mit weiß-schwarz-geschminkt­en Gesichtern und zusammenge­pressten Lippen, ein Starren, das nicht böse, sondern die absolute Kälte sein soll. Ledergamas­chen, aus denen zehn Zentimeter lange Stacheln herausrage­n: Das ist Black Metal, heute genau wie vor 30 Jahren. So kleiden sich noch immer die nach dem Ausstieg von Olve „Abbath“Eikemo verblieben­en Immortal-Mitglieder: Harald „Demonaz“Nævdal, Sänger und Gitarrist, dem seine irrwitzige Spielweise einst eine Sehnensche­idenentzün­dung bescherte; und Reidar „Horgh“Horghagen am Schlagzeug.

Das Humorlose, die alberne Eitelkeit, das Überernste ist es, das Immortal in den Augen der meisten Metal-Fans lächerlich macht. Das Brachiale, betont Garstige, Unfer- tige der Musik vergrämt schließlic­h den Rest.

Wie könnte aus dem gurgelnden, spröden Gekreische, dem tollwütige­n Rausch der Gitarren und dem mechanisch geknüppelt­en Schlagzeug auch etwas Schönes entstehen? Und genau da ist die Tür, durch die der Hörer mit „Northern Chaos Gods“gehen kann. Denn Reiseanbie­ter, die in die Karibik entführen, gibt es viele – aber nur wenige haben einen fiesen Ritt in den eisigen Abgrund im Angebot.

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