Tunesien lässt Sami A. vorerst nicht ausreisen
DÜSSELDORF 18 Jahre nach der Tat hat das Düsseldorfer Schwurgericht den 52-Jährigen freigesprochen, der im vergangenen Jahr als mutmaßlicherWehrhahn-Attentäter verhaftet worden war. Der zwölffache Mordversuch an einer Gruppe überwiegend jüdischer Sprachschüler aus der ehemaligen Sowjetunion gehe nicht auf das Konto des Angeklagten, stellte das Gericht nach 33 Prozesstagen fest. Zuzutrauen sei ihm die fremdenfeindliche Tat zwar durchaus, aber die Beweisaufnahme habe das Gericht nicht von seiner Schuld überzeugen können.
14 Jahre nach dem Anschlag waren die Ermittlungen neu aufgerollt worden, weil sich ein Gefängnisinsasse bei der Polizei gemeldet und angegeben hatte, Ralf S. habe ihm während der gemeinsamen Haftzeit die Tat gestanden. Kripo und Staatsanwaltschaft, die den Fall 2009 als ungeklärt zu den Akten gegeben hatten, setzten eine neue Ermittlungskommission ein, die S. überwachte, abhörte und auch in den alten Akten bislang unbemerkte Hinweise auf S. fand.
Der Mann war und ist fremdenfeindlich eingestellt, stellte das Gericht am Dienstag fest, auch das Bemühen der Verteidiger, seine rechtsradikalen Äußerungen als „Nationalstolz zu verbrämen, ist im Prozess gescheitert“, hieß es. Doch abgesehen von seiner narzisstischen Persönlichkeit, seinen „grob zynischen Hasstiraden“und seinem mangelnden Realitätsbezug hatte die Kammer dem Ex-Soldaten, gegen den bereits unmittelbar nach der Tat ermittelt worden war, nichts vorzuwerfen.
Der Zeuge aus dem Gefängnis sei unglaubwürdig, ebenso die Ex-Freundinnen des Angeklagten, die ihn im Zuge der neuen Ermittlungen belastet, das aber in der Hauptverhandlung teils zurückgenommen hatten. Und auch der Drogenkranke, der behauptet hatte, S. habe ihm erst vor wenigen Monaten in der Untersuchungshaft die Tat gestanden, konnte das Schwurgericht nicht überzeugen.
Einig sind sich Anklage und Richter darin, dass ein Mann, der bis zur Explosion auf einem Stromkasten gegenüber vom S-Bahnhof gesessen hat und dann zügig davonging, der Täter gewesen sein muss. Doch während die Staatsanwaltschaft sicher ist, dass S. dieser Mann war, hat das Gericht daran Zweifel. Der Mann, von dem eine Phantomzeichnung existiert, habe zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit S., doch der besitze weder die technischen Fähigkeiten zum Bombenbau noch die Selbstdisziplin, eine solche Tat über den von der Anklage angenommenen langen Zeitraum vorzubereiten, urteilte die Kammer.
Scharfe Kritik übte die Jüdische Gemeinde Düsseldorf an dem Urteil: „Außer Verteidigung und Gericht glaubt niemand an die Unschuld dieses Angeklagten“, sagte Michael Szentei-Heise, Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde. Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, hatte den Eindruck, „als sei in dem Prozess der Anschlag verharmlost und bagatellisiert worden“. Es dürfe nicht das Bild entstehen, in Deutschland würden gerade fremdenfeindliche Straftaten mit weniger Ernsthaftigkeit verfolgt als andere. Deshalb müsse die Strafverfolgung im Wehrhahn-Fall weitergehen. Bestürzt reagierte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Auch wenn er es nicht nachvollziehen könne, respektiere er das Urteil. „Doch dass 18 Jahre nach dem Anschlag die Täter noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ist nicht nur schmerzhaft, sondern zutiefst enttäuschend.“
Leitartikel, Nordrhein-Westfalen TUNIS/GELSENKIRCHEN (dpa) Das GelsenkirchenerVerwaltungsgericht wird vorerst vergeblich auf die Rückkehr des abgeschobenen Islamisten Sami A. warten. Nach Angaben tunesischer Behörden kann Sami A. nicht nach Deutschland reisen. Sein Pass werde untersucht, sagte ein Sprecher der Anti-Terror-Behörde in Tunis. Außerdem ermittle man gegen den mutmaßlichen Ex-Leibwächter des 2011 getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden. DasVerwaltungsgericht hatte die Ausländerbehörde in Bochum aufgefordert, Sami A. bis Dienstag zurückzuholen.
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