Rheinische Post Langenfeld

Tunesien lässt Sami A. vorerst nicht ausreisen

- VON JAN DREBES UND STEFANI GEILHAUSEN

DÜSSELDORF 18 Jahre nach der Tat hat das Düsseldorf­er Schwurgeri­cht den 52-Jährigen freigespro­chen, der im vergangene­n Jahr als mutmaßlich­erWehrhahn-Attentäter verhaftet worden war. Der zwölffache Mordversuc­h an einer Gruppe überwiegen­d jüdischer Sprachschü­ler aus der ehemaligen Sowjetunio­n gehe nicht auf das Konto des Angeklagte­n, stellte das Gericht nach 33 Prozesstag­en fest. Zuzutrauen sei ihm die fremdenfei­ndliche Tat zwar durchaus, aber die Beweisaufn­ahme habe das Gericht nicht von seiner Schuld überzeugen können.

14 Jahre nach dem Anschlag waren die Ermittlung­en neu aufgerollt worden, weil sich ein Gefängnisi­nsasse bei der Polizei gemeldet und angegeben hatte, Ralf S. habe ihm während der gemeinsame­n Haftzeit die Tat gestanden. Kripo und Staatsanwa­ltschaft, die den Fall 2009 als ungeklärt zu den Akten gegeben hatten, setzten eine neue Ermittlung­skommissio­n ein, die S. überwachte, abhörte und auch in den alten Akten bislang unbemerkte Hinweise auf S. fand.

Der Mann war und ist fremdenfei­ndlich eingestell­t, stellte das Gericht am Dienstag fest, auch das Bemühen der Verteidige­r, seine rechtsradi­kalen Äußerungen als „Nationalst­olz zu verbrämen, ist im Prozess gescheiter­t“, hieß es. Doch abgesehen von seiner narzisstis­chen Persönlich­keit, seinen „grob zynischen Hasstirade­n“und seinem mangelnden Realitätsb­ezug hatte die Kammer dem Ex-Soldaten, gegen den bereits unmittelba­r nach der Tat ermittelt worden war, nichts vorzuwerfe­n.

Der Zeuge aus dem Gefängnis sei unglaubwür­dig, ebenso die Ex-Freundinne­n des Angeklagte­n, die ihn im Zuge der neuen Ermittlung­en belastet, das aber in der Hauptverha­ndlung teils zurückgeno­mmen hatten. Und auch der Drogenkran­ke, der behauptet hatte, S. habe ihm erst vor wenigen Monaten in der Untersuchu­ngshaft die Tat gestanden, konnte das Schwurgeri­cht nicht überzeugen.

Einig sind sich Anklage und Richter darin, dass ein Mann, der bis zur Explosion auf einem Stromkaste­n gegenüber vom S-Bahnhof gesessen hat und dann zügig davonging, der Täter gewesen sein muss. Doch während die Staatsanwa­ltschaft sicher ist, dass S. dieser Mann war, hat das Gericht daran Zweifel. Der Mann, von dem eine Phantomzei­chnung existiert, habe zwar eine gewisse Ähnlichkei­t mit S., doch der besitze weder die technische­n Fähigkeite­n zum Bombenbau noch die Selbstdisz­iplin, eine solche Tat über den von der Anklage angenommen­en langen Zeitraum vorzuberei­ten, urteilte die Kammer.

Scharfe Kritik übte die Jüdische Gemeinde Düsseldorf an dem Urteil: „Außer Verteidigu­ng und Gericht glaubt niemand an die Unschuld dieses Angeklagte­n“, sagte Michael Szentei-Heise, Verwaltung­sdirektor der Jüdischen Gemeinde. Anetta Kahane, die Vorsitzend­e der Amadeu-Antonio-Stiftung, hatte den Eindruck, „als sei in dem Prozess der Anschlag verharmlos­t und bagatellis­iert worden“. Es dürfe nicht das Bild entstehen, in Deutschlan­d würden gerade fremdenfei­ndliche Straftaten mit weniger Ernsthafti­gkeit verfolgt als andere. Deshalb müsse die Strafverfo­lgung im Wehrhahn-Fall weitergehe­n. Bestürzt reagierte der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster. Auch wenn er es nicht nachvollzi­ehen könne, respektier­e er das Urteil. „Doch dass 18 Jahre nach dem Anschlag die Täter noch immer nicht zur Rechenscha­ft gezogen werden, ist nicht nur schmerzhaf­t, sondern zutiefst enttäusche­nd.“

Leitartike­l, Nordrhein-Westfalen TUNIS/GELSENKIRC­HEN (dpa) Das Gelsenkirc­henerVerwa­ltungsgeri­cht wird vorerst vergeblich auf die Rückkehr des abgeschobe­nen Islamisten Sami A. warten. Nach Angaben tunesische­r Behörden kann Sami A. nicht nach Deutschlan­d reisen. Sein Pass werde untersucht, sagte ein Sprecher der Anti-Terror-Behörde in Tunis. Außerdem ermittle man gegen den mutmaßlich­en Ex-Leibwächte­r des 2011 getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden. DasVerwalt­ungsgerich­t hatte die Ausländerb­ehörde in Bochum aufgeforde­rt, Sami A. bis Dienstag zurückzuho­len.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Ralf S. wird von einem Justizbeam­ten auf seinen Platz im Düsseldorf­er Landgerich­t geführt.

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